1916-10-11-DE-001
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Quelle: /PA-AA/R 20103
Zentraljournal: 1916-A-27617
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 10/11/1916 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


"Tribuna" (Italien)

Die Bedeutung von Monastir


11. Oktober 1916
Die Bedeutung von Monastir.

Der Kampf um Monastir wird voraussichtlich ein schwerer sein. Nicht nur die Bulgaren, sondern auch, und vielleicht noch mehr, ihre Verbündeten werden die „Perle“ des Balkans hart verteidigen. Das bulgarische Interesse steht unter dem Schutz des deutschen. Die mächtigen Kanonen und erlesenen Truppen, die die Deutschen rings um die weiße Stadt aufgestellt haben, sollen die politisch-militärischc Position der Zentralmächte im Orient schirmen. Der Kampf wird hart sein, weil er entscheidend sein wird.

So gefährlich die kindische Methode der angenehmen Vorspiegelungen sich wiederholt erwiesen hat, so finden die balkanisch-orientalischen Märchen, die oft vom Feinde selbst zu durchsichtigen Zwecken ausgestreut sind, bei uns doch immer wieder Anklang. Aber es währt nicht lang und die Tatsachen mit ihrer unerbittlichen Logik strafen sie Lügen. Auf die vorletzte Blumenlese von Nachrichten über einen angeblichen Sonderfrieden mit Bulgarien und der Türkei folgte eine feindliche Offensive gegen Saloniki, und die neulichen Hirngespinste anläßlich der verzögerten Kriegserklärung Bulgariens an Rumänien werden zerrissen durch die machtvolle Offensive in der Dobrudscha, welche die rumänische Intervention um den unmittelbaren Effekt, auf den wir mit Recht rechnen konnten, gebracht hat.

Und es kann kaum anders sein. Wie werden immer wieder unten solchen Enttäuschungen zu leiden haben, solange wir übersehen, daß Türken und Bulgaren erst dann ernstlich an einen Abfall denken werden, wenn sie darin das äusserste Rettungsmittel erblicken. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß die Balkanvölker sich im allgemeinen übermüßig von Ereignissen beeinflussen lassen, die ihnen nicht ans eigene Fleisch gehen. Erst wenn die Communiqués des bulgarischen Generalstabes eine Niederlage auf einem vitalen Punkt der Balkanfront nicht werden verbergen können, wird es in Sofia Heulen und Zähneklappern geben.

Während man bei uns geistvolle Hypothesen aufbaute über die geheimen Gründe, weshalb Bulgarien drei oder vier Tage mit der Kriegserklärung an Rumänien zögerte, war man in Sofia daran, die Offensive in der Dobrudscha ins Werk zu setzen, und während man bei uns über das alte Thema der Eifersüchteleien zwischen Enver, Dschemal und Talaat phantasierte, sammelten die Türken unter deutscher Leitung zwischen Adrianopel und dem Marmarameer ein neues Heer, das in Thrazien, Mazedonien und an der rumänischen Grenze operieren sollte.

Also nicht nur kein Abfall, sondern vielmehr eine verstärkte Tätigkeit und ein guter Wille, die sehr lehrreich sind. Sicherlich würden die Balkanvölker bei ihrer vorhin angedeuteten Psychologie nicht in solche Leitungen eingewilligt haben, wenn sie nicht überzeugt wären, eine gute und sichere Spekulation zu machen. Aber da sie nur in das Vertrauen setzen, was sie mit Händen greifen können, so mußte ihre Kraftentfaltung ein unmittelbarer und lokaler Kraftbeweis seitens der Zentralmächte vorausgehen. Man kann ruhig behaupten, daß die Bulgaren, wenn sie in der Dobrudscha die Ankündigung vorausschickten: „uns führt Mackensen“ wohl hofften, durch den Berliner Fetisch den rumänischen Soldaten einzuschüchtern, aber daß sie für ihr Teil nur darum mit Zuversicht marschierten, weil der Berliner Fetisch ein großes Gefolge von Waffen und Bewaffneten mit sich führte.

Wir haben stets ohne Umschweife gesagt, daß Rumänien von einer schweren Gefahr bedroht ist, da der große Schlag des Generalissimus Hindenburg wahrscheinlich Bukarest zum Ziele hat. Die Standhaftigkeit des Basileus, des Zaren Ferdinand und der Türken sind ein beredter und sicherer Beweis dafür. Wenn man in Sofia, Stambul und Athen mehr als je Vertrauen in den Berliner Verbündeten hat, so ist es ein Zeichen, daß vom Norden her bedeutende deutsche Kräfte nach dem Balkan geworfen werden. Ich weiß, man hat bereits hundertmal die Erschöpfung der feindlichen Reserven ausgerechnet, aber der Feind ist zweifellos noch in der Lage, wenn auch unter Zuhilfenahme von Auskunftsmitteln, im Balkan ein großes Heer zu konzentrieren, um den Weg nach dem Orient, der für Deutschland die ultima ratio des Krieges war, zu verteidigen. Die Bulgaren haben ihr Heer vermutlich um 70- 80000 Mann in Mazedonien ausgehobene Mannschaften vermehrt und zum ersten Mal auch die unter ihrer Herrschaft lebenden Türken zum Heeresdienst herangezogen und dadurch weitere 50000 Mann gewonnen. Die Türkei war von jeher eine ergiebige Rekrutierungsquelle. Zum Glück steht Russland, dessen Rüstung sich immer mehr vervollkommnet, hinter dem von tödlicher Gefahr bedrohten Rumänien. Aber es darf uns nicht genügen, unsere neuen Verbündeten zu retten. Wir müssen siegen, und zwar hier im Orient siegen, auf dem vom Feind aus guten Gründen erwählen Schauplatz.

Zunächst müssen wir, wie es Berlin getan hat, die balkanische Psychologie richtig einschätzen. In Berlin weiß man sehr gut, daß kein deutscher Heerführer, wie groß auch sein Ruf sei, die Bulgaren in der Dobrudscha halten könnte, wenn diese Monastir vor dem Fall wüßten. Der Verlust von Monastir bedeutet den Verlust von Mazedonien, das Zerrinnen des bulgarischen nationalen Programmes und damit wäre die Rechtfertigung des bulgarischen Krieges zunichte.

Mehr noch. Es wäre der Zusammenbruch der ganzen deutschen Balkanpolitik, deren Schlüsselpunkt Monastir ist. Ich habe bereits früher einmal dargelegt, auf welchem Plan Deutschland seine Aktion gründete, um Bulgarien gleich und Griechenland mit der Zeit auf seine Seite zu ziehen. Monastir den Bulgaren, Epirus mit Valona dem Basileus. Die italienische Aktion in Albanien bringt durch immer weiteres Vordringen in jene Zonen, die der Feind dem König Konstantin bestimmt hatte, diese Konstruktion ins Wanken. Die Eroberung von Monastir wird sie völlig zerstören, indem sie die Balkanvölker überzeugt, daß das Übergewicht auf Seiten des Vierverbandes und es ein verhängnisvoller Fehler ist, gegen uns zu sein. Dies wäre für Türken und Bulgaren das Signal: „Rette sich, wer kann!“

Aber gerade wegen der ausserordentlichen politischen und militärischen Bedeutung der Stadt wird der Feind höchstwahrscheinlich alles tun, um Monastir zu halten, und auf die Gefahr hin, den Angriff gegen Rumänien zu verlangsamen, bedeutende Hilfskräfte zur Verteidigung von Monastir schicken, indem er diese direkte Aktion durch Diversionen auf anderen Punkten der Salonikifront unterstützt. Wenn man bedenkt, daß er im Balkan die besseren Positionen innehat, daß der Winter vor der Tür steht, der dem Feinde wegen der vielen eingeborenen Truppen, über die er verfügt, von Vorteil ist, daß seine Kräfte denen des schwachen serbischen Heers überlegen sind, so ergibt sich die Frage, ob die alliierte Streitmacht an der Salonikifront, Albanien inbegriffen, genügt, um das ihr gesteckte Ziel zu erreichen? Ich würde gern bejahend antworten, fürchte aber, daß dies der Wirklichkeit widerspräche. Die Heere von Saloniki müssen stark genug sein, um in Mazedonien zu siegen, und das bald. Dies ist sowohl wegen der militärischen als auch der politischen Folgen unendlich wichtiger als die problematischen 25000 griechischen Soldaten oder Komitadschis, die vielleicht - vielleicht aber auch nicht - auf das Geheiß von Venizelos marschieren werden.



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