1916-10-17-DE-001
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Quelle: /PA-AA/R 20108
Zentraljournal: 1916-A-31706
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 10/17/1916
Telegramm-Ankunft: 05/20/2014
Praesentatsdatum: 11/23/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 598
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Athen (Mirbach) an das Auswärtige AmtTelegraphischer Bericht

Telegraphischer Bericht


Athen, den 17. Oktober 1916

Ankunft Berlin 23. November 1916


Wenn auch die revolutionäre Bewegung in Griechenland, besonders auf den Inseln, wegen der weitgehenden Unterstützung der Entente nicht ganz scheitern kann, so darf doch zunächst ein Mißerfolg festgestellt werden. Von der erhofften einmütigen Volkserhebung kann keine Rede sein.

Die Bewegung der „nationalen Verteidigung“ setzte bekanntlich am 3. September in Saloniki ein. Der größere Teil der dortigen Truppen weigerte sich für die Entente zu kämpfen. Unter den übrigen sowie den aus Thasos und Kawalla herangeführten „Freiwilligen“ hat es seither zahlreiche Desertionen gegeben. Die Rekrutierungsversuche auf der Chalcidice begegneten bewaffnetem Widerstand.

Die Nachrichten von den Inseln sind unzuverlässig. Am 25. September verließ Venizelos Athen um in Kreta unter dem Schutze der Entente-Kanonen seine provisorische Regierung einzurichten. Wenn dieser auch wohl nur passiver Widerstand geleistet wurde, scheint doch die neue Regierung nur geteiltes Entgegenkommen gefunden zu haben, obwohl die volkstümlichsten Personen Venizelos, der „Seeheld“ Coundouriotis und der bekannte General Danglis an ihrer spitze stehen. Zahlreiche Inseln sollen sich der Bewegung angeschlossen, darunter Samos, Chios, Mytilene, welche Venizelos auf seiner Reise nach Saloniki besuchte. In Saloniki wurde die provisorische Regierung endgültig konstituiert und ein Ministerium gebildet, dessen auswärtiges Portefeuille der Direktor des hiesigen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten Poli[nicht lesbar] übernommen hat.

Bis zur Ankunft Venizelos in Saloniki am 9. Oktober wurde die Befreiung Macedoniens und der Kampf gegen die Bulgaren für den einzigen Zweck der Bewegung ausgegeben. Nun sind zwar viele bereit, Venizelos und die Entente hochleben zu lassen, weil sie von ihnen das tägliche Brot erwarten, wenige aber geneigt, für irgendwelche Ideale ins Feld zu ziehen. Die mangelnde Kriegsfreudigkeit , die auch der Kern der Reservisten-Bewegung ist, hat die Revolutionsbewegung zunächst lahm gelegt. In seiner Begrüßungsansprache dankte General Sarrail der provisorischen Regierung als „den Männern, die ihm ein Bataillon geschickt hätten, das bereits an der Front kämpfte.“ Die Kompagnien dieses Bataillons haben nur schwache Bestände. Sonst ist über das Ergebnis der Rekrutierung nichts genaues bekannt. Venizelistische Kreise nehmen an, daß in Saloniki 15000 Freiwillige sind und hoffen auf 12000 Mann aus Kreta, gleich viel aus Mytilene, aus Chios und Samos 5000, ferner auf 7000 aus Egypten und auf ein Kontingent aus Cypern. Trotz des starken Drucks bei der Rekrutierung dürften auch in Monatsfrist keine 50000 Mann zusammen kommen. Die Aufstandbewegung in Epirus ist vorläufig gescheitert. In Alt-Griechenland verhalten sich die venizelistischen Elemente noch zurückhaltend, doch finden fortgesetzte Desertationen nach Saloniki statt, meist von Offizieren, besonders der Marine.

Neuerdings ist der Feldzug gegen Bulgarien als Ziel der nationalen Bewegung in den Hintergrund getreten. Diese zeigt immer deutlicher einen königsfeindlichen Charakter. In seinen Ansprachen greift Venizelos Seine Majestät den König mit scharfen und gehässigen Worten an und seine Presse versteigt sich häufig zu Drohungen. Die innere Krise Griechenlands hat sich, noch schärfer als bisher, zum Zweikampf zwischen dem König und Venizelos zugespitzt. Der Ausgang dieses Ringens kann trotz der Kriegsunlust der breiten Massen nicht zweifelhaft erscheinen, wenn die Entente ihre Machtmittel ausnutzt. Die provisorische Regierung ist noch nicht anerkannt worden. Die Wahrscheinlichkeit ihrer Verlegung nach Athen oder wenigstens nach dem Piräus wird aber immer größer. Die am 16. Oktober begonnene und an sich unbegründete Besetzung von Athen und dem Piräus scheint darauf vorzubereiten. Unter dem Schutze der Entente-Flotte könnte Venizelos ungestraft die Republik ausrufen. In diesem Falle ist damit zu rechnen, daß auch in Alt-Griechenland die große Mehrheit mit dem Strome schwimmt und den König verläßt, zumal gegenwärtig sorgfältig vermieden wird, die ernste Frage eventueller Kriegsleistungen Griechenlands zu erörtern.


[Mirbach]



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