1916-11-13-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14094
Zentraljournal: 1916-A-31127
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 11/17/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 703
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Geschäftsträger der Botschaft Konstantinopel (Radowitz) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 703

Pera, den 13. November 1916.

Wie der Kaiserliche Konsul zu Smyrna meldet, haben die dortigen Behörden mit der Verschickung der armenischen Bevölkerung begonnen. Den Anlaß dazu bot der Umstand, daß angeblich vor einigen Wochen auf dem katholischen Friedhofe alte Bomben und dergleichen Material aufgefunden wurden, die von Armeniern dort versteckt sein sollen. Daraufhin forderte der Wali den armenischen Bischof, bezw. die Gemeinde auf, die verdächtigen Personen zu benennen und noch vorhandene Waffen abzuliefern, der Bischof erklärte jedoch, daß ihm keine solche Personen bekannt und keine Waffen mehr versteckt seien.

Infolgedessen wurden am 8. d.M. eine Anzahl Verhaftungen vorgenommen und den folgenden Tag 300 Armenier ohne Unterschied des Alters und Geschlechts mit der Eisenbahn abgeschoben; weitere Transporte sollen folgen. Die Verschickung wird vom Polizeichef von Smyrna geleitet, dem der Wali freie Hand gelassen hat.

Der zurzeit in Smyrna anwesende Marschall Liman von Sanders hat den Wali darauf aufmerksam gemacht, daß diese Massenverschickung die militärischen Interessen schädige und er daher weitere Verhaftungen und Abschiebungen nicht dulden würde.

Der Wali hat zu seiner Rechtfertigung erklärt, daß das jungtürkische Komitee in Smyrna immer unzufriedener mit seiner Schonung der Armenier geworden und dadurch auch seine Stellung in Konstantinopel erschüttert sei; die Austreibung der Armenier sei von Konstantinopel aus verlangt worden.

In dieser Hinsicht darf ich mich auf einen früher vorgelegten Leitartikel des Teswiri Efkiar vom 6. Oktober d.J. beziehen, in welchem die Verschickung der Armenier aus den Städten und Bezirken, in denen sie bisher noch geduldet worden waren, gefordert worden war.

Ich halte es für ausgeschlossen, daß durch Vorstellungen bei der Pforte die Zurücknahme dieser Maßregel noch zu erreichen ist, und muß befürchten, daß man in absehbarer Zeit auch an die Austreibung der hiesigen Armenier gehen wird.

Nachträglich ging mir ein Schreiben des Marschalls Liman von Sanders vom 12. d.M. zu, dem eine Aufzeichnung des Grafen Spee vom 11. d.M. beigefügt war.

Der Marschall schreibt folgendes: "Da derartige Massen-Deportationen in das militärische Gebiet hinübergreifen - Wehrpflichtige, Gebrauch der Eisenbahnen, Gesundheitsmaßnahmen, Unruhe der Bevölkerung in einer Stadt nahe vor dem Feinde, pp. - so hatte ich den Wali benachrichtigt, daß ohne meine Genehmigung derartige Massenverhaftungen und -deportationen nicht mehr stattfinden dürften. Ich verständigte den Wali, daß ich sie im Wiederholungsfalle mit Waffengewalt verhindern lassen würde.

Daraufhin hat der Wali nachgegeben und mir zugesagt, daß sie unterbleiben würden.

Da er aber angibt, von Constantinopel aus (Talaat Bey) dazu veranlaßt zu sein, so bin ich nicht sicher, daß nur vielleicht andere Wege gewählt werden.

Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, beläuft sich die Zahl der in Smyrna lebenden Armenier auf 6 – 7000, darunter die reichsten Leute der Stadt, aber auch einzelne üble Persönlichkeiten."

Aus der Aufzeichnung des Grafen Spee füge ich folgendes hinzu:

"Die ganze Angelegenheit ist, abgesehen von der rechtlichen Vergewaltigung und den unabsehbaren Folgen für die Opfer, für die deutschen Interessen bezw. das deutsche Ansehen von größter Tragweite.

Die Maßnahmen der Regierung erfolgten in einer Zeit, zu welcher außer dem deutschen Korpskommandeur auch der Oberbefehlshaber, Marschall Liman von Sanders, in Smyrna anwesend war. Das Gerücht geht in der Stadt, daß das planmäßige Vorgehen von den Deutschen vorbereitet sei, damit sie sich der ihrem Handel unbequemen armenischen Konkurrenten auf diese Weise entledigen könnten.

Materiell wird ein direkter Schaden entstehen, da tatsächlich die armenischen Kaufleute deutsche Waren in großem Umfange abgenommen haben, die zum Teil noch nicht bezahlt sind. Die von den Armeniern noch zurückgehaltene Ware wird unter Anwendung des neuen Gesetzes über zurückgelassene Habe den üblen türkischen Elementen die Handhabe bieten, sich ohne weiteres in den Besitz dieser Waren gleichzeitig mit den sehr beträchtlichen Vermögen der Armenier zu setzen. Und dies alles unter dem billigen Vorwande, daß die Deutschen es gemacht haben.

Die im großen und ganzen unter französischem und englischen Einfluß aufgewachsene christliche Bevölkerung nimmt diese Nachrichten nicht ungerne auf, um gar nicht zu reden von den Angehörigen der feindlichen Staaten, die dem amerikanischen Konsul nahestehen und dessen Berichterstattung entsprechend ausfallen wird."


Radowitz


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