1918-07-11-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14103
Zentraljournal: 1918-A-31345
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Kaukasus Kampagne
Praesentatsdatum: 08/27/1918 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J. Nr. D. 138
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/15/2012


Der Leiter der deutschen Delegation im Kaukasus (Kreß von Kressenstein) an den Reichskanzler (Hertling)

Bericht



Nr. 11

Tiflis, den 11. Juli 1918

Heute hat mich der armenische Bischof Mesrop, ehemaliger Verweser des Erzbistums Tiflis, besucht, wie ich Euerer Exzellenz bereits anderweitig berichtete.

Der Bischof, ein ehrwürdiger Mann, Ende der Fünfziger Jahre, ist in Dorpat geboren und spricht gut deutsch. Er ist allein zu Pferde über das Gebirge durch die tatarischen Banden hindurch in steter Lebensgefahr von Eriwan nach Tiflis geritten, um die deutsche Hilfe zur Rettung der Reste der armenischen Nation zu erbitten.

In ergreifenden Worten schildert der Bischof das Schicksal seiner Nation. Er hat sich redlich bemüht, das Elend zu lindern und zu helfen. Mehr als eine halbe Million von Armeniern aus den von den Türken besetzten und bedrohten Gebieten haben in der ersten Hälfte des April in panikartiger Flucht ihre Dörfer verlassen und sind vor den Türken geflohen. Sie sind z.Zt. in der Gegend von Eriwan versammelt. Man hat zwar etwas Geld aufgebracht, um sie zu unterstützen, aber sie bekommen auch für schweres Geld nichts zu essen. Viele, viele Tausende leben seit Wochen nur von Gras. Selbstverständlich wüten ansteckende Krankheiten und fordern zahllose Opfer unter den halbverhungerten und verelendeten Menschen.

Die Türken haben ungeachtet des Friedensvertrages von Batum und der Anerkennung der Selbständigkeit von Armenien das armenische Gebiet nicht geräumt und erlauben vor allem dem in Tiflis sitzenden Nationalrat und den in Georgien befindlichen Flüchtlingen nicht, in die Heimat zurückzukehren. Da der Nationalrat keine Verbindung mit Armenien hat, kann er seinen Regierungspflichten nicht nachkommen.

Die Ernte wird in den nächsten Tagen reif. Sie soll besonders in dem Gebiet zwischen Sardarabad-Igdür und Darvala gut sein. Wenn aber den armenischen Bauern nicht in kürzester Zeit gestattet wird, in ihre Heimat zurückzukehren, so ist die Ernte verloren. Die Armenier müssen dann entweder Hungers sterben, oder ihre Ernährung fällt den Mittelmächten zur Last.

Etwa 14000 Armenier im Alter zwischen 17 und 60 Jahren sollen von den Türken zum Arbeitsdienst gepresst sein. Nach Angabe des Bischofs herrscht grösstes Elend unter ihnen. Jeder Armenier erhält trotz schwerer Arbeit täglich nur ein Stück türkisches Hartbrot (etwa 200 g.). Der Bischof appelliert im Namen der armenischen Nation und in seiner Eigenschaft als Priester einer christlichen Kirche an die Grossmut Seiner Majestät des Kaisers und der deutschen Regierung. Nur Deutschland sei in der Lage, die Türkei zu zwingen, dass sie von ihrem verbrecherischen Beginnen einer systematischen Aushungerung der geringen Reste der armenischen Nation ablasse.

Deutschland müsse sich bewusst sein, dass es vor der Geschichte die Verantwortung zu tragen habe, wenn es seine Macht nicht dazu ausnutze, um eine christliche Nation vor der Ausrottung durch die Muhammedaner zu schützen.

Euere Exzellenz bitte ich, meine persönliche Anschauung dahin äussern zu dürfen, dass nach all den zahlreichen Nachrichten und Berichten, die ich hier erhalten habe, wohl kaum ein Zweifel darüber bestehen dürfte, dass die Türken systematisch darauf ausgehen, die wenigen Hunderttausende von Armeniern, die sie bis jetzt noch am Leben gelassen haben, durch systematische Aushungerung auszurotten.

Es steht mir nicht zu, Euere Exzellenz auf die Pflichten aufmerksam zu machen, die Deutschland als christliche Nation den christlichen Armeniern gegenüber zu erfüllen hat, und auf den Eindruck, den es auf unsere öffentliche Meinung und die ganze christliche Welt machen wird, wenn wir die Armenier nicht vom Untergange retten. Ich darf aber die Aufmerksamkeit Euerer Exzellenz darauf lenken, dass unser Ansehen im Kaukasus und den umliegenden Gebieten schweren Schaden leiden, und die Ausführung des wirtschaftlichen und politischen Programms, das wir hier verfolgen, ausserordentlich erschwert werden wird, wenn es uns nicht gelingt, die Armenier gegen die Türken zu schützen.

Entschieden wird man uns vorwerfen, dass uns der gute Wille gefehlt habe, oder man wird annehmen, dass wir nicht die Kraft und die Macht besitzen, den Türken gegenüber unseren Willen durchzusetzen. Wir würden uns die zahlreichen und infolge ihres grossen Reichtums sehr einflussreichen Georgier armenischer Abstammung zu unversöhnlichen Feinden machen und würden unseren Gegnern ein ganz besonders wirksames Propagandamittel gegen uns in die Hand geben.

Ich bitte deshalb Euere Exzellenz ebenso dringend wie gehorsamst, mit allen verfügbaren Mitteln und möglichst rasch einen energischen Druck auf die türkische Regierung auszuüben, dass sie sofort ihre Truppen aus Armenien zurückzieht, den geflüchteten Armeniern die Rückkehr in ihre Heimat gestattet, dafür sorgt, dass die Armenier unbehindert und ungefährdet an Leben und Gut ihre Ernte einbringen können, und dass die zum Arbeitsdienst gepressten Armenier sofort in ihre Heimat entlassen werden.


Kreß


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