1919-02-07-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14105
Zentraljournal: 1919-A-03908
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 02/08/1919 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Das Auswärtige Amt an den ehemaligen Generalstabschef der türkischen Armee (Bronsart von Schellendorff)

Schreiben



Berlin, den 7. Februar 1919.

Hochverehrter Herr General!

Der Missionsdirektor Herr Dr. Carl Axenfeld hat Euerer Exzellenz in diesen Tagen die Bitte vorgelegt, ihm darüber Auskunft zu geben, in wieweit die feindlicherseits erhobene Beschuldigung, dass deutsche Offiziere für die Massnahmen gegen die Armenier verantwortlich seien, auf Wahrheit beruht. Ich möchte mir erlauben, meinerseits diese Bitte zu unterstützen. Es ist für uns politisch von grösster Wichtigkeit, die Wahrheit festzustellen. Nach dem, was ich bisher in Erfahrung gebracht habe, bin ich überzeugt, dass die Beschuldigung sich als ungerechtfertigt erweisen wird.

Festzustehen scheint, dass Enver Pascha die Verordnung über die Aussiedelung der Armenier dem Marschall Freiherrn von der Goltz gezeigt und seine Meinung darüber erbeten hat. In dieser Verordnung war nur von der vorübergehenden Entfernung gewisser Bevölkerungselemente aus einigen Zentren die Rede. Feldmarschall von der Goltz konnte2 sich danach kein Bild von dem tatsächlichen Charakter der geplanten Maßnahme machen. Er soll geantwortet haben, es seien ja in der Gegend von Adana ausgedehnte unbewohnte Ländereien, auf denen die Armenier angesiedelt werden könnten.3

Natürlich ist damit zu rechnen, dass sich die Türken jetzt hinter die Äusserung des Feldmarschalls, der damals übrigens nur persönlicher Adjutant des Sultans war, verstecken werden. Ich finde aber, dass unsere Position insoweit nicht schlecht ist. Ernster wäre es, wenn sich die Türkische Regierung darauf berufen könnte, dass der Rat zur Aussiedelung der Armenier von deutschen Offizieren ausgegangen ist. Es wäre uns vor allem wichtig, von Euerer Exzellenz zu hören, ob dies Ihrer Kenntnis der Dinge nach geschehen ist.

Falls Sie glauben, dass sich in den Akten der Militärmission oder des Großen Hauptquartiers etwas Schriftliches darüber befindet, wäre ich sehr dankbar, wenn Sie mich wissen liessen, in welchem Aktenstück und unter welchem Datum zu suchen sein würde. Die Akten befinden sich hier beim Grossen Generalstab.

Mit dem Ausdruck der ausgezeichnetsten Hochachtung Euerer Exzellenz ergebenster


[nicht abgezeichnet]


[Schreiben Karl Axenfelds an General Bronsart von Schellendorf im Jagdhaus Damerow, Mecklenburg 6.2.1919]

Abschrift.

Euer Exzellenz

bitte ich ergebenst, mir in folgender Angelegenheit gütige Auskunft zu geben. In einem Artikel der „Allgemeinen Missions Zeitschrift“ 1919 Seite 36 sagt Professor Richter:

„Es waren deutsche Offiziere, welche den Türken bei dem Vormarsch der türkischen Armee nach Transkaukasien und noch mehr bei ihrem Rückzug in die grossarmenischen Vilajets den Rat geben, die unzuverlässige armenische Bevölkerung der Grenzgebiete zu evakuiren.“

Außerdem schrieb kürzlich die „Deutsch-Armenische Korrespondenz“, daß die türkische Verordnung, welche die Aussiedelung der Armenier aus gewissen Gebieten vorgesehen habe, (sie teilt dabei ihren Wortlaut mit) von ihren türkischen Urhebern Exzellenz von der Goltz vor ihrer Ausführung vorgelegt sei und seine Zustimmung gefunden habe. Beide Versionen dieser Nachricht kursierten ja seit lange nicht nur im Ausland und in der Türkei, sondern als offenes Geheimnis in heimatlichen politischen und militärischen Kreisen und sind auch mir zum Teil unter Nennung anderer Namen seit langem zugetragen worden. Herr Geheimrat Göppert vom Auswärtigem Amt beklagt beide Veröffentlichungen lebhaft als Verstärkung der verhängnisvollen Ententebeschuldigung und bittet mich, in der A. M. Z. [Allgemeine Missions-Zeitschrift] in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der Orient- und Islam-Kommission eine Berichtigung schleunigst zu veröffentlichen. Professor Richter hat auf meine Frage als seinen Gewährsmann Herrn Botschaftsprediger Graf Lüttichau genannt. Letzterer schreibt mir, er habe niemals gesagt: daß deutsche Offiziere „den Rat“ gaben, also sozusagen die Urheber des Gedankens waren. Er fährt fort:

„Wohl aber haben deutsche Offiziere aus militärischen-strategischen Gründen den Evakuierungsmaßnahmen zugestimmt, und es mag oft so gegangen sein, wie ich es in meinem Bericht ausführte, daß man türkischerseits diese Zustimmung so drehte, als ob sie deutscher Wunsch oder Befehl gewesen wäre. Es wäre sehr wichtig, darüber einmal genaueres festzustellen zur Steuer der Wahrheit! Sollte es so sein, wie ich leider fürchte, daß die Türken die deutschen Offiziere vorgeschoben haben, und daß diese in Unkenntnis der politischen Folgen sich vorschieben ließen, so dürfte eine Verheimlichung nichts nützen, weil dann schriftliche Befehle mit Unterschriften vorliegen. Das ganze Kapitel ist ja so unsäglich tragisch, weil wir auch da ganz einfach die Betrogenen sind, die die Schuld anderer tragen und büßen müssen.’’

Zugleich gibt mir Graf Lüttichau den Rat, mich an Euer Exzellenz als denjenigen zu wenden, der mir die genaueste Auskunft geben könnte, und Herr Geheimrat Göppert bestärkt mich darin. Mir liegt auch nicht nur an einer schlechthin unanfechtbaren Richtigstellung der Richter’schen Mitteilung. Ich stehe im Begriff, über die armenische Katastrophe und die Stellung, die die deutsche Regierung, auch das deutsche Volk und insbesondere die deutschen Christenkreise zu ihr eingenommen haben, im Einverständnis mit dem Auswärtigen Amt und unter Benutzung der amtlichen Akten eine größere Broschüre zu veröffentlichen, die vornehmlich auf das Ausland wirken soll. Hier helfen Beschwichtigungsworte nichts, sondern nur die rechtgedeutete volle Wahrheit. Im allgemeinen hat Deutschland diese Wahrheit nicht zu scheuen und, sollte bez. des Evakuierungsbefehls es so stehen, wie Graf Lüttichau annimmt, so wäre auch das zu begreifen. Euer Exzellenz wäre für gütige Auskunft und Beratung, wie für jeden Wink im Interesse der beabsichtigten Schrift außerordentlich dankbar

in besonderer Hochachtung ergebenst


[Dr. Karl Axenfeld]



1Aus dem Konzept gestrichen: „oder dass doch nur sehr wenig davon übrig bleiben“
2Aus dem Konzept gestrichen: „die Bedeutung der Sache nicht übersehen, hatte auch keinerlei amtliche Befugnis, sich einzumischen, da er ja damals nur persönlicher Adjutant des Sultans war“
3Aus dem Konzept gestrichen: „Er hielt es also für möglich, die Massnahmen auszuführen.“



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