1915-12-10-DE-002-V

DuA Dok. 212

Matthias Erzberger an den Legationsrat im Auswärtigen Amt Rosenberg
Berlin, den 10. Dezember 1915

Sehr geehrter Herr Baron.

Herr Dr. Straubinger schreibt mir unter dem 25. November von Konstantinopel:

"1) Die armenische Frage. Ich habe mich mit dieser bisher mehr privat beschäftigt und Ihnen nur weniges darüber mitgeteilt, zumal Sie sicherlich die Akten der hiesigen Botschaft bezw. des A. Amtes durchgesehen haben. Was mich jetzt aus der Reserve heraustreibt, ist die Möglichkeit der Hilfeleistung. Bisher war solche unmöglich. Auch die Amerikaner konnten nicht an die Hilfsbedürftigen herankommen. Dieser Tage sagt mir Msgr. Dolci, dass der Minister des Auswärtigen ihm versprochen habe, die kath. Armenier dürften zurückkehren. Sollte dieses Wort sich bewahrheiten, so ist die Möglichkeit der Hilfeleistung wohl gegeben. Das Gerücht, dass alle Armenier ausgerottet seien, ist nämlich nicht wahr; es existieren deren ausser in der europäischen Türkei noch die in die Berge versprengten, sowie einige Gemeinden an den Bahnlinien und diejenigen, die die Deportation aushielten. Die drei Dinge, die zur Erhaltung des Restes der Armenier notwendig sind: Möglichkeit der Rückkehr für alle, Möglichkeit der Hilfeleistung (Kleidung und Nahrung für den Winter) seitens Europäer und Amerikaner, Möglichkeit der Wiedererlangung des alten Besitztums. Letzteres ist nämlich, soweit es nicht zerstört ist, durch das Liquidationsgesetz das ich Ihnen seinerzeit zuschickte, so gut wie verloren."

Ich würde mich nun gern mit Ihnen über diese Punkte bei gegebener Gelegenheit unterhalten. Vielleicht können wir an einem Abend dieser oder der nächsten Woche uns einmal verständigen.


Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr sehr ergebener

M. Erzberger

[Erlaß Jagow an Botschaft Konstantinopel 12. 12.]

Nr. 953

Dr. Straubinger schreibt an den Reichstagsabgeordneten Erzberger unter dem 25. November.

"Dieser Tage sagt mir Msgr. Dolci, dass der Minister des Auswärtigen ihm versprochen habe, die kath. Armenier dürften zurückkehren. Sollte dieses Wort sich bewahrheiten, so ist die Möglichkeit der Hilfeleistung wohl gegeben. Das Gerücht, dass alle Armenier ausgerottet seien, ist nämlich nicht wahr; es existieren deren ausser in der europäischen Türkei noch die in die Berge versprengten, sowie einige Gemeinden an den Bahnlinien und diejenigen, die die Deportation aushielten. Die drei Dinge, die zur Erhaltung des Restes der Armenier notwendig erscheinen, sind: Möglichkeit der Rückkehr für alle, Möglichkeit der Hilfeleistung (Kleidung und Nahrung für den Winter) seitens Europäer und Amerikaner, Möglichkeit der Wiedererlangung des alten Besitztums. Letzteres ist nämlich, soweit es nicht zerstört ist, durch das Liquidationsgesetz so gut wie verloren."

Ew. pp. bitte ich, sich zu Dr. Straubingers Anregung [Schreiben] äußern zu wollen.


Copyright © 1995-2024 Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.): www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved