1917-04-07-DE-001-V

DuA Dok. 331; 332 (gk.)

Der Botschaftsrat in Konstantinopel (Waldburg) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Nr. 237

Pera, 7. April 1917

Im Anschluss an Bericht vom 5.4.17, Nr. 229.

5 Anlagen

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg mit dem Anheimstellen der weiteren Veranlassung gehorsamst überreicht.


In Vertretung

Waldburg

Anlage 1

1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungskreis?

a) Zum Islam übergetretene Armenier: in Beirut ca. 40 Familien; in Saida und Sur ca 200 Familien. Für diese Familien sorgen die türkischen Regierungsstellen durch Brotverteilung, Arbeitsnachweis etc.

b) Nicht zum Islam übergetretene gregorianische Armenier, die sich meistenteils heimlich, d.h. ohne bei der Polizei gemeldet zu sein, hier aufhalten:

In Beirut 17 Familien, davon ein 1/3 wohlhabend, 1/3 hat Arbeit, 1/3 in Not.

Im Libanon in Zahle und Dur e Schuer ca. 50 Familien, davon reichlich 1/3 in Not.

2. Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?

In wirklicher Not sollen sich von obigen unter 1.b verzeichneten Armeniern ca 25 Familien mit etwa 100 Angehörigen befinden. Die Männer können sich aus Besorgnis zum Militärdienst gezwungen zu werden und weil sie polizeilich nicht angemeldet sind, nicht frei bewegen, demzufolge auch nicht frei arbeiten.

3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?

Ja, mit Hilfe hiesiger wohlhabender Armenier wie z.B. des Sackis Cassabian, Inhabers der angesehenen Firma Jusuffian & Cassabian in Mersina, der für die Kriegsdauer hierher übersiedelte.

4. In welchem Umfang wären Mittel erforderlich?

Bei den heutigen Preisen wären pro Person 5 Ltq monatlich, also für 100 Personen 500 Ltq zum Unterhalt erforderlich.

5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?

Nein.


Anlage 2
Damaskus, den 23. März 1917.

Auf den Erlaß vom 23. v.M. A 588 beehre ich mich beifolgend die Antworten auf dem übersandten Fragebogen in 3 Abdrücken nebst Anlage gehorsamst zu überreichen.

Loytved Hardegg.

Frage: Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungsbereich?

Antwort: Im Mai v. J. wurde die Zahl der zwischen Aleppo und dem Hedschas befindlichen Armenier von dem Vorsitzenden der Auswandererkommission, Wali a. D. Hussein Kasim Bey, der als aufrichtig und Armenierfreund gilt, auf 60000 Seelen geschätzt. Von diesen dürfte etwa die Hälfte inzwischen gestorben sein.

Im April v. J. gab der auf Empfehlung des Kaiserlichen Konsulats Aleppo mit dem hiesigen armenischen Liebeswerk betraute armenische Hilfsprediger V. B. Tachmisian die Zahl der im Wilajet Damaskus befindlichen Armenier mit 2000 Familien zu je 5 Köpfen (10000 Seelen) an. Der Genannte schätzt jetzt die Zahl der in der Provinz Damaskus (Hama, Homs, Damaskus, Hauran und Kerak) befindlichen Armenier auf 30000 Seelen. Es ist bei der Zerstreutheit der Armenier und bei ihrer Zurückgezogenheit nicht leicht, ihre Zahl genau anzugeben.

Frage: Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?

Antwort: Sie befinden sich größtenteils in einem beklagenswerten Zustand. Immerhin hat sich dieser in den letzten Monaten etwas gebessert, indem ihnen in den Städten die Möglichkeit zum Erwerb gegeben wurde. Als fleißige und geschickte Handwerker verstehen sie sich durchzusetzen. Viele von den Armeniern sind, wenn auch zwangsweise, Muselmanen geworden und können infolgedessen ungestörter ihren Lebensunterhalt erwerben. Bei der zunehmenden Teuerung, über die ich in der Anlage eine Zusammenstellung der wichtigsten Lebensmittelpreise beifüge und bei der Entwertung des Papiergeldes, das heute nur 25 % des Nennwertes beträgt und voraussichtlich weiter sinken wird, befinden sich die meisten Armenier in einer schweren Notlage. Es würde sich darum handeln, ihnen Brot und sonstige Nahrungsmittel, ferner Kleider und gesunde Unterkunft zukommen zu lassen.

Frage: Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?

Antwort: Bisher hat dieses Kaiserliche Konsulats hauptsächlich durch den armenischen Hilfsprediger V. B. Tachmisian, ferner durch den hiesigen deutschen Missionsprediger [Missionar] Hanauer und in gewissen Fällen das Kaiserliche Konsulat direkt Geld an die Armenier verteilt. Ob der V. B. Tachmisian zuverlässig ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich habe ihm auftragsgemäß das Geld ausgehändigt. Im allgemeinen empfiehlt es sich, das Geld durch einen vertrauenswürdigen Europäer verteilen zu lassen, der ein Herz für das armenische Liebeswerk hat und außerdem in geschickter unauffälliger Weise zu arbeiten versteht. Die türkischen Behörden sehen es im allgemeinen nicht gern, wenn sich Europäer der Armenier annehmen. Sie fürchten, daß diese hierdurch in ihrer Opposition gegen die türkische Regierung gestärkt werden. Andererseits besteht ein großer Neid gegen die verschiedenen Konfessionen unter den Armeniern, die sich gegenseitig anzeigen und Schaden zufügen. Ein gewandter Europäer oder Europäerin, die die orientalischen Verhältnisse kennen, würden trotzdem eine Organisation schaffen können, die in unauffälliger Weise den Armeniern helfen könnte. Der hiesige Prediger Hanauer kennt Land und Leute und hat den Willen auch zu helfen. Es fehlt ihm aber etwas an Geschicklichkeit und dem nötigen persönlichen Mut, um erfolgreich und großzügig zu arbeiten. Für die Konsularbehörde ist es nicht möglich, eine solche Organisation zu schaffen und offen zu überwachen, da sie in den Verdacht kommen würde, gegen die türkische Regierung zu arbeiten. Sie kann höchstens mit Rat zur Seite stehen und von Zeit zu Zeit unter der Hand der einen oder anderen Person und den Armen auf der Straße Unterstützungen zukommen lassen.

Frage: In welchem Umfange wären Mittel erforderlich?

Antwort: Von den hiesigen Armeniern sollen etwa 10 % sich selbst erhalten können. Die anderen sollen unterstützungsbedürftig sein. Für die Person kann man täglich etwa 1 Mk. gleich ca. 5 Piaster wenigstens für den Unterhalt rechnen, vorausgesetzt, daß dieser Betrag in Hartgeld gezahlt wird. Bei Papiergeld müßte der 4fache Betrag gerechnet werden.

Nimmt man die Zahl der im Wilajet Damaskus unterstützungsbedürftigen Armenier mit durchschnittlich 15000 Seelen an, so würden täglich 15000 Mk. und im Monat 450000 Mk. zu zahlen sein, wenn man allen helfen wollte.

Frage: Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?

Antwort: Wie bereits unter Nr. 3 hervorgehoben, würden besondere europäische Hilfskräfte für das gedachte Unterstützungswerk am geeignetsten sein, die sich ihrerseits armenischer Vertrauenspersonen als Unterorgane bedienen könnten.


Damaskus, den 23. März 1917.
Lebensmittel in Goldgeld.

a) Nahrungsmittel (Piaster per 100 kg)Vor dem KriegeJetziger PreisErhöhung in %
Weizen
90
300
333
Bulgurl (zerstoßener Weizen)
100
500
500
Reis
220
1000
455
Kartoffeln
50
250
500
Gemüse
200
1000
500
Butter
1000
3200
320
Käse
700
1700
245
Öl
800
1600
200
Hammelfleisch
550
1300
235
Zucker
200
2700
1350
Kaffee
750
4500
600
Früchte, frische u. getrocknete
-
-
500
Wein II. Qual.
125
500
400
Alkohol
450
7500
1665
Eier per 100 Stück
25
60
240
-
-
-
-
b) Kleidung
-
-
-
Stoffe
-
-
500
Ledersohlen
-
-
300
Baumwolle, Garn
-
-
400

(Hartgeld, nicht Papier) Vorstehende Preise sind in Hartgeld berechnet. Bei Bezahlung in Parpiergeld erhöhen sie sich auf das Vierfache.


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