1914-02-16-DE-001-V

DuA Dok. 004 (gk.)

Der Vizekonsul in Erzerum (Anders) an den Geschäftsträger in Konstantinopel (Mutius)

J. Nr. 44

Kaiserlich Deutsches Konsulat.


Erzerum, den 16. Februar 1914.

Heute besuchte mich der hiesige armenische Bischof Msg. Beadetian, um mir anläßlich der Annahme der Reformen im Namen seiner Gemeinde zu danken für die hartnäckige Verteidigung des Reformprojekts durch die Kaiserliche Regierung, der zum großen Teil das Zustandekommen des so lang ersehnten Reformwerkes zu verdanken sei.

Wie mir der Bischof mitteilte, sind ihm die Einzelheiten des Reformprogramms noch unbekannt. Jedoch habe er gehört, daß die Zusammensetzung der Vilajetsräte auf eine Volkszählung basirt werden solle, die bereits nach einem Jahr abgeschlossen werden wird. Da nun sehr viele Armenier nach Rußland und Amerika ausgewandert sind (etwa ein Viertel der armenisch. Bevölkerung), so meint Msg. Seadetian, daß die Volkszählung ein falsches Bild ergeben wird. Alle Ausgewanderten würden nunmehr aus Liebe zum angestammten Boden allmählich hierher zurückkehren, jedoch erst im Laufe der nächsten 4 Jahre, sodaß dann nochmals eine Volkszählung nötig werden würde. Ferner bemerkte der Bischof, daß – falls Trapezunt als Sitz des einen Generalinspekteurs in Aussicht genommen sei – dies sehr unzweckmäßig sein würde. Den Mittelpunkt der ostanatolischen Provinzen bilde Erserum, von wo aus die Verbindung nach Musch , Wan und Bitlis verhältnismäßig leicht sei. Daher müsse Erserum der Sitz des Generalinspekteurs sein.

Weder in der Stadt noch im Wilajet Erzerum liege zurzeit Grund zu Klagen vor, abgesehen von Differenzen im Kaza Narwan, wo ein Tscherkessenstamm den Besitz der Armenier beschlagnahmt habe. Doch habe der Wali bereits Untersuchung und Abhilfe zugesagt.

Die hiesige islamische Bevölkerung hat die Nachricht von der Annahme der Reformen ohne irgendwelche feindseligen Kundgebungen aufgenommen und dürfte auch nichts unternehmen, um die Durchführung derselben zu stören.

Der Bischof sprach mir zum Schluss noch sein Bedauern aus, daß ein in Rußland erscheinendes Blatt, der "Mschak" mich kürzlich als Türkenfreund angegriffen habe. Nach Ansicht des Bischofs seien die Armenier jetzt völlig ausgesöhnt und fühlen sich als treue Ottomanen. Die Schlußfolgerungen des genannten Blattes, daß ein Türkenfreund eo ipso Armenierfeind sein müsse, sei daher vollkommen falsch. Übrigens schöpfe der "Mschak" seine Nachrichten nicht aus armenischen, sondern aus russischen Quellen. Die hiesigen Armenier seien sich wohl [voll] bewußt, daß die Kaiserliche Regierung mit Wohlwollen und Interesse ihr Schicksal verfolge und seien mir dankbar, daß ich dies bei verschiedenen Anlässen zum Ausdruck gebracht hatte.


Anders.

Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Geschäftsträger

Herrn Botschaftsrat von Mutius



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