Die Hilfsaktion schien auch aus politischen Gründen angezeigt, um den von unseren Feinden speziell gegen das Konsulat Aleppo erhobenen Vorwürfen der Begünstigung und Unterstützung der Armenierverfolgungen von deutsche Seite entgegenzuwirken.
Im Laufe des Winters sind dann, weil nach Berichten des Konsuls der Notstand in Aleppo und Umgebung unter den Armeniern immer größeren Umfang annahm, noch weitere Summen, und zwar 100 Ltq. im November und 500 Ltq. im Januar d.J. an das Konsulat in Aleppo zur Verteilung übersandt worden. Über ihre Verwendung gibt der in Abschrift gehorsamst beigefügte Bericht vom 29. v.M. näheren Aufschluß.
Zu der darin erwähnten amerikanischen Hilfsaktion möchte ich kurz bemerken, daß der hiesige treasurer des American Bible House und des American National Red Cross, der für die Monate Januar und Februar je 500 Ltq. nach Aleppo schickte und mit dem ich wegen Auszahlungen dieser Gelder in Verbindung getreten war, irrtümlich angenommen hatte, daß eine dieser Ratenzahlungen, nämlich die oben erwähnten 500 Ltq. für den Monat Januar, von uns geleistet werde. Ich habe ihn aber sogleich über dieses Mißverständnis aufgeklärt und hiervon auch dem Kaiserlichen Konsul in Aleppo Kenntnis gegeben mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß eine Vermischung unserer Hilfsaktion mit dem amerikanischen Werke unter allen Umständen zu vermeiden sei.
Die Gelder sind aus dem zu Hospital- und Unterstützungszwecken zur Verfügung stehenden Millionenfonds entnommen worden.
Anlage
Nr. 257
72 Ltq. von den Deutschen Aleppos
100 Ltq. von der Kaiserlichen Botschaft im Oktober
100 Ltq. von der Kaiserlichen Botschaft im November
500 Ltq. von der Kaiserlichen Botschaft im Januar.
Mit diesem [dem von deutscher Seite für die armenische Hilfsaktion zur Verfügung gestellten] Gelde eine besondere Organisation zu schaffen, ging nicht an, denn sie wäre von türkischer Seite nicht geduldet worden. Auch war die Not so ungeheuer, daß den Hungernden nicht die Hilfe zugunsten einer erst noch zu schaffenden Organisation verweigert werden konnte. Ein großer Teil der im Herbst zur Verfügung gestellten 200 Ltq. [Summen] ist durch das hiesige Missionsehepaar Spieker verteilt worden, dem die Notleidenden vielfach persönlich bekannt waren und das seine Vertrauensleute hatte, so daß für Verwendung für wirklich Bedürftige gesorgt war.
Von armenisch-protestantischer Seite ist ein Waisenhaus geschaffen und hierfür die wohlwollende Unterstützung des Deutschen Konsulats erbeten worden. Formell konnte ich sie nicht gewähren, aber tatsächlich. Ich gab die Genehmigung, daß ein hinter dem Deutschen Konsulat gelegenes, von einem Deutschen zur Verfügung gestelltes Haus benutzt würde. Die Polizei hat darauf dieses Haus unbelästigt gelassen, wohl in der stillschweigenden Annahme, daß sie andernfalls auf den Widerstand des Deutschen Konsulats stoßen würde. Es hieß dann bei den Armeniern wie bei den Behörden das "Deutsche Waisenhaus". Die Zahl der darin befindlichen Kinder beträgt zwischen 260 und 290. Die gesamten täglichen Kosten belaufen sich auf 3 Piaster für den Kopf oder 8 Ltq. für das ganze Haus, die monatlichen Kosten mithin auf 240 Ltq. Es war also unmöglich, es von deutscher Seite zu unterhalten. Ich habe monatlich [e Beiträge] - seit September – etwa 20 Ltq. beigesteuert und diese Beisteuer [zunächst] bis Ende April zugesagt, sodaß von den neuerdings überwiesenen 500 Ltq. der Betrag von 80 Ltq. für diesen Zweck abgeht. Von amerikanischer Seite werden neuerdings wenigstens 100 Ltq. monatlich für dieses Haus gegeben.
Aleppo ist gegenwärtig der Mittelpunkt eines Hilfswerks an den Armeniern, das sich auf Bab, Membidj, Der-es-Zor, Damaskus u. a. Plätze erstreckt. Auf Vorschlag der Schwester Beatrice Rohner habe ich kürzlich für Waisenarbeit in der Umgegend von Damaskus [einen Beitrag] 100 Ltq. monatlich für dieses Haus zur Verfügung gestellt; dabei dem Kaiserlichen Konsulat dortselbst, durch welches die Auszahlung erfolgt, mitteilend, daß die deutsche Herkunft des Geldes nicht verschwiegen werden soll.
Ein zweites hiesiges Waisenhaus, welches auf Verwendung des Freiherrn von Kreß durch Befehl Djemal Paschas der deutschen Schwester Beatrice Rohner zur Verwaltung übergeben worden ist, nachdem es bis dahin von türkischer Seite geleitet worden war, zählt zurzeit 376 Kinder. Die tägliche Verpflegung wird im Werte von wenigstens 7 Ltq. von der Regierung geliefert. Den Betrag, welcher zur unumgänglichen Neueinkleidung der Kinder erforderlich ist, sieht sich die Regierung dagegen außer Stande, zur Verfügung zu stellen, leistet vielmehr nur kleine Beiträge. Hier ist das amerikanische Geld in Anspruch genommen worden.
Kostet das eine Waisenhaus 240 Ltq. monatlich, das andere eine erhebliche Summe zur Hebung aus der ärgsten Verwahrlosung, so geht daraus hervor, daß mit deutschem Gelde eine getrennte Hilfsaktion nur durchführbar wäre, wenn außer den neuerdings zur Verfügung gestellten 500 Ltq. dauernde erhebliche Beiträge in Aussicht gestellt werden könnten.
Nachdem mir der Wunsch, die deutschen Hilfsaktion mit der amerikanischen nicht zu vermischen, bekannt geworden, habe ich mich nach Rücksprache mit Schwester Rohner dahin entschieden, die mir noch verbliebenen 320 Ltq. im wesentlichen für das von der Schwester Rohner geleitete Waisenhaus vorzuhalten. Dieses wird fortan am ehesten als deutsches Werk gelten können, weil es von einer deutschen Schwester geleitet wird. Die Hauptlast, nämlich die Ernährung, wird von der Regierung getragen, dagegen bleiben daneben immer noch erhebliche Ausgaben, für welche das deutsche Geld einige Zeit reichen wird, nachdem zur Neueinkleidung z. T. amerikanische Hülfe in Anspruch genommen ist. Hier wird dann wenigstens in Zukunft die Trennung inne gehalten.
Die Regierung hat die Absicht, die sämtlichen Waisenkinder aus Aleppo nach Konstantinopel überzuführen. Sie hat nur die Ausführung dieser Absicht mit Rücksicht auf die winterliche Ungunst des Wetters und mit Rücksicht darauf, daß die Beförderungsmittel ausschließlich für militärische Zwecke gebraucht werden, auf das Frühjahr verschoben. Durch die Überführung würde in einschneidender Weise in die gegenwärtige Gestaltung der Hilfsaktion eingegriffen.
Herrn Grafen Wolff-Metternich.