1915-05-05-DE-011-V

DuA Dok. 042 (gk.)

Johannes Ehmann an den Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim)
Mamuret-ul-Aziz, den 5. Mai 1915.

Ew. Exzellenz!

Da in diesem Wilajet kein deutscher Konsul ist, ersuche ich Ew. Exzellenz um Entschuldigung, wenn ich mir erlaube, über die hiesigen innerpolitischen Verhältnisse kurz zu berichten.

Seit einigen Tagen werden in den christlichen Häusern der Stadt und Umgegend strenge Haussuchungen gehalten, der Regierung verdächtig erscheinende Personen verhaftet und die Leute zur Ablieferung ihrer Waffe aufgefordert.

Diese durchaus gerechtfertigten Maßnahmen der Regierung scheinen im Zusammenhang mit Vorgängen in Wan und Diarbekr zu stehen und auf Anweisung der Zentralregierung angeordnet worden zu sein.

Die gesamte christliche Bevölkerung ist dadurch in große Unruhe versetzt worden und befürchtet das schlimmste.

Durch meinen 18jährigen Aufenthalt an diesem Ort die Verhältnisse genau kennend, möchte ich die Aufmerksamkeit Ew. Exzellenz auf die Tatsache lenken, daß, wenn auch die hiesige Bevölkerung zum Teil sich in Privatgesprächen manchmal unzufrieden über die türkische Regierung geäußert hat, und wenn auch törichterweise die Sympathien mancher Christen in diesem Krieg leider auf Seiten des Dreiverbands waren, trotz alledem weitaus die große Masse der Bevölkerung dieses Wilajets der Regierung gehorsam ist und die Christen hier im entferntesten nicht daran denken, sich gegen die Regierung aufzulehnen.

Die christliche Mannschaft von 20-45 Jahren hat sich ohne Schwierigkeiten zum Heeresdienst gestellt, und bei Requirierungen von Lebensmitteln wie auch bei der Unterstützung des "Roten Halbmonds" kam die christliche Bevölkerung soweit als möglich der Regierung entgegen, so daß ich es für meine Pflicht halte, für die Christen hier um Gnade und Schonung zu bitten. Sollten sich aber vereinzelte Personen finden, die gegen die Regierung arbeiten, müßte es der letzteren gelingen, dieselben ausfindig zu machen, um sie einer gerechten Bestrafung entgegenzuführen.

Der wohlgesinnte Generalgouverneur, mit dem ich eben in freundschaftlicher Weise über die Angelegenheit sprach, hofft, daß es hier zu keinen ernsten Ereignissen kommen wird und versichert mich, daß er alles tun wird, um die Angelegenheit in friedlicher Weise zu ordnen. Er ist ebenfalls von dem friedliebenden und regierungstreuen Charakter der hiesigen christlichen Bevölkerung überzeugt. Doch besteht die Gefahr, daß starke armenierfeindliche Elemente die Oberhand bekommen und zum schlimmsten schreiten, so daß ich Ew. Exzellenz im Interesse der Menschlichkeit ersuche, die nötigen Schritte zur Aufklärung der Türkischen Zentralregierung über die hiesige Verhältnisse tun zu wollen.


Verehrungsvoll
Johannes Ehmann.

An Seine Exzellenz, Freiherr von Wangenheim,

Botschafter Seiner Majestät des Deutschen Kaisers.


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