1915-07-09-DE-002-V

DuA Dok.109 (gk.)

Der Konsul in Trapezunt (Bergfeld) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Nr. 35/J.Nr.Geh. 316

Trapezunt, den 9. Juli 1915.

Nach dem Eintritt der Türkei in den Krieg machten sich unter den hiesigen Armeniern ernste Befürchtungen für ihre persönliche Sicherheit bemerkbar. Obwohl keinerlei Anzeichen auf bevorstehende Ausschreitungen hindeuteten, habe ich dennoch den Schutz der Christen in Trapezunt und Umgegend bei dem hiesigen Wali in freundschaftlicher Form zur Sprache gebracht. Er gab mir die bestimmtesten Versicherungen, daß gegen sie nichts unternommen werden würde, solange sie selber sich ruhig verhielten, und zeigte mir ein Telegramm des Ministeriums des Innern, in welchem Talaat Bey die Armenier dem besonderen Schutz der Behörden empfahl. Tatsächlich haben sich die Christen hier auch zunächst der größten Sicherheit erfreut, und einige bei Armeniern notwendige Haussuchungen wurden, wie mir von den Armeniern selber versichert worden ist, mit der größten Rücksicht durchgeführt. Dies bedarf um so mehr der Anerkennung, als an der Küste russische Armenier [armenische Freischaaren] in Banden nicht nur gegen die Türken kämpfen, sondern auch gegen die russischen Muhammedaner die schwersten Ausschreitungen begangen haben. Tausende vor ihnen flüchtende Muhammedaner sind hier eingetroffen und zum größten Teil in das Innere weiter transportiert worden. Ihre Leidensgeschichten sind geeignet, auch Nichtmohammedaner gegen die russischen Armenier einzunehmen.

Die Christen haben die ihnen von den Türken bewiesene vorurteilslose Behandlung schlecht gelohnt. Sie [Die hiesigen Christen] machten aus ihrer Abneigung gegen die Türkei und ihren Sympathien für den Dreiverband, insonderheit für Rußland, kein Hehl, und die hier umgehenden Gerüchte unsinnigster Art, wie Fall der Dardanellen, Konstantinopels, Erzerums, russische Landung bei Midia, oder gar Flucht des Sultans nach Brußa sind auf sie zurückzuführen. Es kam dann die Aufdeckung der Verschwörung gegen das jungtürkische System und seine Führer, der Aufstand der Armenier in der Provinz Wan und Unruhen von ihrer Seite an anderen Orten der Türkei. Dies veranlaßte wohl die Hohe Pforte, gegen die Armenier Ausnahmemaßregeln zu ergreifen.

Am 24. Juni wurden die hiesigen Führer der armenischen Komitees verhaftet und über Samsun in das Innere abgeschoben. Am gleichen Tage erfuhr ich, daß die Deportierung sämtlicher Armenier erwogen werde und daß sich eine Strömung geltend mache, diesen Anlaß zu Ausschreitungen gegen die hiesigen Armenier zu benützen. Ich habe den Wali hierauf hingewiesen und von ihm die bündigsten Erklärungen erhalten, daß eine etwaige Ausweisung der Armenier, selbst bei bewaffnetem Widerstand, lediglich von den Zivil- und Militärbehörden, unter Ausschaltung irgendwelcher unverantwortlicher Privatpersonen, durchgeführt werden würde. Am 26. Juni wurden dann die Armenier aufgefordert, sich zur Abschiebung ins Innere nach Ablauf von 5 Tagen bereit zu halten. Nur den Kranken wurde erlaubt, zu bleiben, und ihre Unterbringung in Krankenhäuser vorgesehen. Der Verkauf irgend welcher Sachen war ihnen verboten. Die Läden und Magazine sollten versiegelt, alle Gegenstände aus den Wohnungen an bestimmte Orte gebracht und dort der Obhut der Regierung unterstellt, Geld zur etappenweisen Nachsendung auf dem Postamt abgeliefert werden.

Von der Deportierung wurden in der Provinz Trapezunt etwa 30000 Personen betroffen. Ein solcher Massentransport auf Straßen, wo es an genügend Nahrung und Unterkommen mangelt und welche in ihren ersten 300 km als völlig verseucht mit Flecktyphus angesprochen werden müssen, mußte unter den Armeniern, besonders unter Frauen und Kindern, ungeheure Opfer fordern, die im Ausland und vielleicht auch in Deutschland eine berechtigte Kritik einer derartig weitgehenden Maßregel herausgefordert hätten. Ich habe daher der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel von der Sachlage Kenntnis gegeben und mich gleichzeitig bemüht, bei dem hiesigen Wali eine Milderung der Ausweisung zu erreichen. Er zeigte meinen in freundschaftlicher Form gehaltenen Vorstellungen ein williges Gehör und weitestes Entgegenkommen. So wurden von der Deportierung zunächst ausgenommen: Alle Kinder unter 10 Jahren, Witwen und Waisen, sowie alle weiblichen Personen, welche zurzeit ohne männlichen Schutz sind, worunter auch die Familien der unter den Waffen Stehenden fielen, Kranke und Schwangere, sowie die katholischen Armenier. Den Kranken und Schwangeren wurde überdies erlaubt, in ihrer Wohnung zu bleiben und eine weibliche Familienangehörige zu ihrer Pflege bei sich zu behalten; Kinder konnten bei Bekannten untergebracht werden. Schließlich wurde den Ausgewiesenen auch gestattet, Wertgegenstände, sowie ihren Hausrat nach einer Einholung einer Genehmigung des Polizeidirektors zu verkaufen. Nach diesen Grundsätzen wurden an den ersten beiden Tagen des Abtransportes verfahren, wobei in bezug auf das Alter der Kinder und auf Krankheiten der Frauen rechte Nachsicht geübt wurde. Bedauerlicherweise wurden am dritten Tage, anscheinend auf Weisungen aus Konstantinopel, alle hier erreichten Ausnahmen, abgesehen von der Erlaubnis des Bleibens für die Kinder, wieder aufgehoben.

Der Abtransport aus der Stadt Trapezunt und der nächsten Umgegend ist beendet. Einige Selbstmorde und eine Brandstiftung kamen vor. Sonstige Zwischenfälle sind nicht zu verzeichnen.

Für die Sicherheit der Deportierten während des Transports hat der Wali mir beruhigende Versicherungen gegeben. Ich vertraue auch seiner Energie und seinem guten Willen, daß innerhalb seines Machtbereiches den Armeniern nichts zustoßen wird. Indessen deuten Anzeichen darauf hin, daß an anderen Orten an eine Ausrottung der Armenier gedacht wird. So sind zwischen Erzindjan und Diarbekr Armenier auf der Bergstraße, angeblich von Kurden, niedergemetzelt worden, und größere Banden von Wegelagerern unter französisch sprechenden Führern haben sich bei Erzerum und Baiburt gezeigt. Es ist immerhin auffallend, daß in jener Gegend, welche bisher unbedingt sicher war, sich größere Banden bilden können. Ohne für meine Meinung Beweise bringen zu können, vermag ich mich des Eindrucks nicht zu erwehren, daß das jungtürkische Komitee als treibende Kraft für das Vorgehen gegen die Armenier anzusehen ist. Das Zentralkomitee scheint auf diese Weise der armenischen Frage endgültig ein Ende machen zu wollen. Denn diejenigen Armenier, welche ihren Bestimmungsort wirklich erreichen, werden nur ausnahmsweise später in ihre alten Wohnsitze zurückkehren. Den Meisten unter ihnen wird es schon an den nötigen Mitteln fehlen. Damit wird es künftig keine Provinzen mit einem starken Prozentsatz armenischer Bevölkerung mehr geben. Die Lokalkomitees der Jungtürken hoffen bei der Deportierung der Armenier aus der Aneignung von deren Gütern reichen Privatgewinn zu finden, und bei der Abhängigkeit der meisten Verwaltungsbehörden vom Komitee werden sie sicher in ihrer Berechnung sich nicht getäuscht haben.

Zur Ehre der türkischen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit muß gesagt werden, daß sehr viele Türken mit der Ausweisung der Frauen und Kinder nicht einverstanden sind. Andererseits muß festgestellt werden, daß die Armenier bei dieser Gelegenheit einen sehr wenig anziehenden Charakter gezeigt haben. Die ersten, welche um Intervention für ihr Verbleiben baten, waren die Geistlichen; der Gedanke, daß ihr Platz gerade in Zeiten der Not an der Seite ihrer Gemeinde sei, kam ihnen überhaupt nicht; als eine Ausnahme für die Priester nicht erzielt werden konnte, bat der Vertreter des hiesigen Bischofs, ein Diakon im weißen Bart, den Vali um die Erlaubnis, zum Islam übertreten zu dürfen, worauf ihm dieser erwiderte, dem stände nichts im Wege, er brauche nur das mohammedanische Glaubensbekenntnis auszusprechen und sich danach der Beschneidung zu unterwerfen, im übrigen wende sich die Ausweisung aber nicht gegen die Christen, sondern gegen die Armenier; ein zum Islam übergetretener Armenier werde dann eben als mohammedanischer Armenier ausgewiesen. Die männlichen Armenier verließen nach der Bekanntgabe des Ausweisungsbefehls ihr Haus überhaupt nicht mehr, sondern sandten stets ihre Frauen; manche Angestellte der Regierung und der Bank erwirkten für sich einen Aufschub und ließen ihre Familien allein ziehen.

Vor dem Kaiserlichen Konsulat und der Privatwohnung, welche ich seit der schweren Beschießung der Stadt durch die russische Flotte auf dem Land bezogen habe, spielten sich herzergreifende Szenen ab. Zahlreiche Frauen erflehten für sich oder wenigstens ihre Kinder Rettung. Ich habe von jeglichen Schritten im Interesse einzelner Personen Abstand nehmen und meine Bemühungen darauf konzentrieren müssen, für die Gesamtheit Erleichterungen zu erzielen. Nur in einem Fall war ich zu einer Ausnahme gezwungen. In der Nacht vom 6. zum 7. d.M. überstieg der neben dem Konsulat wohnende armenische Vorsteher des Stadtviertels mit seiner Familie die das Konsulatsgrundstück umgebende Mauer und suchte dort Zuflucht. Zur Vermeidung der Aufrollung der Frage des Asylrechts habe ich beim Vali erwirkt, daß er hier bleibt. Der Vali hat dies zugestanden unter der Voraussetzung, daß jener in seiner Eigenschaft als Bezirksvorsteher den Behörden bei ihren Maßnahmen, Versiegelung der armenischen Häuser, Haussuchung usw. helfe. Der Armenier hat sich hierzu bereit erklärt.

Meine hiesigen Kollegen haben ihren Botschaften in Konstantinopel von dem Ausweisungsbefehl telegraphisch Kenntnis gegeben. Die Vertreter von Italien und Amerika, denen ein chiffrierter Verkehr mit ihren Botschaften nicht gestattet ist, haben sich auf eine kurze Mitteilung der Tatsache beschränken müssen. Der Konsul von Österreich-Ungarn hat seine vorgesetzte Behörde auf die großen Gefahren, welche die Massendeportierung für Frauen und Kinder bietet, hingewiesen. Bei dem hiesigen Wali hat der österreichische Kollege für einige Kinder, der amerikanische Konsul für die seinem Schutze unterstellten persischen Armenier interveniert, beide erfolglos. Der italienische Kollege ist aus Furcht vor Unruhen gegen die Christen geistig zusammengebrochen. Mit dem österreichischen Kollegen habe ich die von mir beim Vali zu unternehmenden Schritte besprochen. Von einer Intervention seinerseits hat er Abstand genommen Ich habe mich hiermit einverstanden erklärt. Denn einmal weiß ich, daß er dem Vali nicht sehr sympatisch ist; dann bringt dieser Beamte mir das weiteste Vertrauen entgegen, welches mir ermöglicht auch eine derart heikle Regierungsmaßnahme wie die Ausweisung der Armenier, offen mit ihm zu besprechen, ohne das gute Einvernehmen, welches zur Zeit zwischen unseren beiden Behörden herrscht, zu gefährden. Im übrigen ist auch der österreichische Konsul etwas ängstlicher Natur. Am zweiten Tage der Ausweisung begab er sich zu dem amerikanischen Missionar, wo viele armenische Kinder untergebracht waren, dann verließ er fünf Tage lang seine Wohnung auf dem Lande nicht. So fiel die ganze Last der Beruhigung der Armenier auf meinen amerikanischen Kollegen und mich.

In den kritischen Tagen wurde die in nächster Nähe des Kaiserlichen Konsulats gelegene Polizeiwache militärisch verstärkt und meine Privatwohnung unauffällig von Militär bewacht. Einen Schutz meiner Person habe ich aus Gründen des Prestige, auch für meine Ritte in die Stadt und zurück, [habe ich] abgelehnt.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß anläßlich der Ausweisung der Armenier aus Trapezunt in der Presse des Auslandes und vielleicht auch in deutschen Blättern Angriffe gegen das Kaiserliche Konsulat gerichtet werden. Euerer Exzellenz habe ich daher geglaubt eingehend über die Deportierung und die aus diesem Anlaß seitens der Kaiserlichen Behörde unternommenen Schritte berichten zu sollen.

Abschrift dieses Berichts habe ich der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel eingereicht.


Dr. Bergfeld.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler

Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


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