1917-05-02-DE-001-V

DuA Dok 338 (siehe Fußnote)

Der Konsul in Aleppo (Rößler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)


K.Nr. 46/ Nr. 804
Aleppo, den 2. Mai 1917
In dem Bericht vom 14. Februar d.J. - K.Nr.21/Nr.299 – war die Befürchtung wiedergegeben, dass die nach Rakka verschickten 6000 Armenier dort grossenteils verhungern müssten. Der in Abschrift gehorsamst hier wiedergegebene Bericht vom 28. April des von einer Reise dorthin zurückgekehrten Diakons Künzler bestätigt diese Befürchtungen.[1] Leider haben sich die sehr erheblichen Mittel, die zur Abwendung der Katastrophe erforderlich wären, bisher nicht gefunden. Es erscheint den das Hilfswerk leitenden Persönlichkeiten vielmehr richtiger, die vorhandenen Mittel in erster Linie dazu zu verwerten, den Armeniern an solchen Orten zu helfen, wo eher Aussicht besteht, sie wirklich durchzubringen, als dort, wo nur erreicht wird, ihre Qualen um einige Tage oder bestenfalls Wochen zu verlängern.
Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.
Rößler




[1] Dieser Bericht befindet sich nicht bei den Akten, ist aber im Lepsius-Band  „Deutschland und Armenien“ als Dokument 338 abgedruckt. Sein Wortlaut bei Lepsius:

(Notstandswerk Urfa).
Urfa, den 28. April 1917.
Gestern bin ich wohlbehalten von Rakka zurückgekehrt. Dort angekommen, erfuhr ich, daß die dortigen Emigranten kurz vor Ostern (armenische) 250 Ltq. Gold von Aleppo erhalten haben. Aber was bedeutet dies für die Übriggebliebenen! Jedes Glied erhielt 5 Piaster. Ich konnte auch nicht mehr geben. Also eine Verlängerung der Leiden bis zum Eintritt des sicheren Hungertodes um einige Tage! Wenn deren Gebundenheit an den Ort noch länger als zwei Monate anhält, so wird wenig mehr von ihnen übrig bleiben. Der Hunger wird sie alle hinraffen. Ich überlege mir, ob es nicht richtig wäre, in Zukunft, wenn wieder Mittel für die Unglücklichen anlangen, man nicht am besten täte, damit eine kleinere Anzahl zu beschenken, damit diese wenigen womöglich durchgebracht werden.
Ohne eine Summe von 3–5000 Ltq. wieder dorthin zu gehen, ist bei diesen niedrigen Notenkursen eigentlich fruchtlos, denn was sind 5 Goldpiaster (92,5 Pf.)! Allerdings ist vorauszu­sehen, daß bis in zwei Monaten viele am Hunger gestorben sein werden und daß dann vielleicht auch mit einer kleineren als der oben genannten Summe noch etwas zu erreichen wäre.
Auf der Rückreise besuchte ich auch noch die 400 Emigranten im Dorfe Ain Isse. Hier der gleiche, womöglich noch trost­lo­sere Zustand wie in Rakka. Bis jetzt konnten sich die Armen noch von Gras ernähren, aber jetzt ist auch diese Möglich­keit durch das Vertrocknen desselben ausgeschlossen. Wenn nur die Regierung anfangen wollte, die wenigen noch Übrigge­bliebenen, vor denen sie wahrlich keine Angst mehr zu haben brauchte, frei zu lassen. In größeren Städten würde sich manche Witwe mitsamt ihren Kindern durchzuschlagen wissen mit ihrer Hände Werk.
Jakob Künzler.
An den Kaiserlichen Konsul, Herrn Rößler,
Hochwohlgeboren, Aleppo.


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