1914-08-11-DE-001-V

DuA Dok. 009 (gk.)

Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Nr. 203

Kaiserlich Deutsche Botschaft.


Therapia, den 11. August 1914.

Der Kaiserliche Vizekonsul Anders berichtet aus seinem Zeltlager am Wansee unterm 26. v.M.:

"Das Eintreffen des neu ernannten General-Inspekteurs in Ostanatolien, Oberst Hoff Bey, auf dessen Tätigkeit naturgemäß die hiesigen Armenier sehr große Hoffnungen setzen, wird hier in den nächsten Tagen erwartet. Seitens des hiesigen armenischen Episkopats, das seit dem im August d. J. erfolgten Tode des Bischofs Saradjian bis zu der Neuwahl im nächsten Monat von dem altersschwachen, bedeutungslosen Murachas Der Mesrop verwaltet wird, ist gestern ein Komitee aus 14 Mitgliedern ernannt worden, welches Hoff Bey nicht nur bei seiner Ankunft im Namen der Gemeinde begrüßen, sondern auch ihn bei seiner späteren Tätigkeit inoffiziell unterstützen soll. Dieses Komitee ist aus Vertretern der hiesigen drei Parteien, der Daschnakzutiun, Hintschakian, Ramgawar und aus Kaufleuten und Notabeln zusammengesetzt. Über die Persönlichkeit der einzelnen Mitglieder machte mir mein hiesiger Gewährsmann nähere Angaben:

1) Ischkan Michaelian, Parteiführer der Taschnakisten, deren es in Van (Stadt) etwa 800 gibt, während auf dem Lande die meisten armenischen Dörfer unter dem Terrorismus der Taschnakisten stehen und dieser Partei schwere Abgaben zahlen ist aus dem Kaukasus hierher eingewandert und hat die ottomanische Staatsangehörigkeit erworben. Er verkehrt viel im russischen Konsulat, obwohl die meisten Taschnakisten in Rußland der Regierung mißliebig sind, was etwas an das Zusammengehen der Kongregationen mit den französischen Konsulaten im Ausland erinnert. Ischkan steht in dem Ruf, bei den Unruhen auf der Insel Achtamar im Jahre 1907 das dortige Kloster beraubt und das heilige Kreuz des Katholikos seiner Frau geschenkt zu haben.

2) Aram Manugian. Ebenfalls Parteiführer der Taschnakisten, etwas patriotischer und ehrlicher als Ichkan.

3) Mihran Terlemesian, einflußreicher überzeugter Taschnakist, gebildet, des Deutschen und Französischen mächtig, Vorsteher der armenischen öffentlichen Schulen.

4) Dr. med. Aschod, Taschnakist, in Deutschland ausgebildet, gilt als verlogen und gewinnsüchtig.

5) Dr. med. Djingos, Quarantänearzt, sympathisiert mit den Taschnakisten, einflußreich, intelligent, aber hinterlistig.

6) Schavarsch Hovivian, stellvertr. Parteichef der Ramgavar (konservative Partei), wenig gebildet, aber zuverlässig.

7) Ardasches Solakian, Hantschakist (sozialdemokratisch) Lehrer an der Jeremian Schule, populär, beschränkt, zuverlässig.

8) Mirzahan Mirzahanian, Hantschakist, Advokat, erst seit kurzem in Van, daher Charakter noch unbekannt.

9) Rischtumian, ohne Partei, Lehrer an der Tare Golzagan Schule und am American College in Wan, hat in Edinburg studiert, zuverlässig.

10) Avedis Tersibaschian, ohne Partei, Großgrundbesitzer, Mitglied des Medjlis-Idare-i-Vilajet, Opportunist, hängt das Mäntelchen nach dem Winde, Vorsitzender verschiedener Schul- und Wohltätigkeitsvereine, Freund des russischen Konsuls.

11) Set Kapamadjian, ohne Partei, Großkaufmann, haßt die Taschnakisten, die im Vorjahre seinen Vater (Bürgermeister von Wan) ermordeten, nicht sehr intelligent, aber ganz integer und charakterfest.

12) Michael Minassian, ohne Partei, bedeutender Schulmann, der sich gut zum offiziellen Beirat für Schulwesen eignen würde, lebte 12 Jahre in Amerika, promovierte in Connecticut.

13) Iknadios Hüssian, Kompagnon von No. 11, zuverlässig.

14) Margos Jeramian, sehr beschränkt, aber sehr reich.

So sehen die Mitarbeiter aus, die Hoff Bey hier unterstützen wollen.

Offiziell sind zu Hoff Beys Stabe ernannt:

1. Heigasun Beygian als Beirat für Landwirtschaft, ca. 46 Jahre alt, bisher Direktor im Ackerbauministerium,

2. Astik Effendi Gözubügian, bisher Zivilinspektor,

3. Krikor Effendi Schahinjian, bisher Dragoman im Büro für öffentliche Sicherheit in Stambul,

4. Mattheos Effendi Ebligajan, bisher Präsident des Bidajet Mekkeme [(Gericht I. Instanz)] in Wan.

Ich habe, wo sich Gelegenheit dazu bot, die armenischen Kreise darauf aufmerksam gemacht, daß natürlich das Reformwerk einer Reihe von Jahren bedürfe und daß man nicht übertriebene Forderungen stellen dürfe.

Jedenfalls könnten sie versichert sein, daß die Kaiserlich Deutsche Regierung im Verein mit den anderen Großmächten dafür sorgen würde, daß es dieses Mal wirklich zur Durchführung der Reformen komme."

Herr Hoff selbst hat mir mittels Telegramm vom 6. d. M. sein Eintreffen in Erzerum mitgeteilt und hinzugefügt, daß er am Anfang der folgenden Woche direkt nach Wan weiterzureisen gedachte.


Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler

Herrn von Bethmann Hollweg.


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