1916-07-29-DE-001-V

DuA Dok. 290 (nur Brief u. Anlage 7)

Der Konsul in Aleppo (Rößler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

K.Nr. 79/Nr. 2135

Aleppo, den 29. Juli 1916

Die von allen Seiten einlaufenden Nachrichten tun dar, dass die Armenierverfolgung unvermindert und unerbittlich anhält. Von den Deutschen, die den Euphratweg von Bagdad her zurückkehren, ist keiner, der nicht von dieser Katastrophe den tiefsten Eindruck empfinge.

1) Ein Beamter des höheren deutschen Reichsdienstes hat mir am 18. Juli erzählt, die Strecke von Sabkha über Hammam nach Meskene sei mit Resten von Kleidungsstücken übersät; sie sähe aus, als ob dort eine Armee zurückgegangen wäre.

Der türkische Militärapotheker in Meskene, der dort seit 6 Monaten stationiert ist, hat ihm erzählt, dass allein in Meskene 55000 Armenier begraben seien. Dieselbe Zahl ist ihm unabhängig davon von einem türkischen Offizierstellvertreter dortselbst gleichfalls genannt worden.

2) Aus Der Zor kam unter dem 16. Juli Nachricht, dass die Armenier den Befehl zum Weiterwandern erhalten hatten. Am 17. wurden alle Geistlichen und führenden Männer verhaftet. Bis zum 22. Juli, so war der Befehl, sollten alle Armenier wieder zum Wanderstab gegriffen haben. Nachdem schon früher von der Zentralregierung angeordnet worden war, dass nur soviel Armenier in Der Zor bleiben sollten, als 10 Prozent der ansässigen Bevölkerung entsprach, soll nun auch der letzte Rest vertilgt werden, eine Aenderung, die möglicherweise damit zusammenhängt, dass der menschliche Mutesarrif Suad Bey nach Bagdad versetzt ist und einen unbarmherzigen Nachfolger erhalten hat.

Mit Peitsche und Knüppel werden wehrlose und erschöpfte Frauen und Kinder von Gendarmen geprügelt, eine Beobachtung, die schon oft gemacht und mir auch jetzt wieder von einem des Wegs gekommenen deutschen Offizier aus eigener Anschauung bestätigt worden ist.

Einen Brief über diese Verhältnisse von Araxia Djibedjian an Schwester B. Rohner vom 16/17 Juli beehre ich mich in Abschrift hier beizufügen. Während zahlreiche Armenier durch den Untergang des Volkes aus dem geistigen Gleichgewicht gestossen sind, den Glauben verloren haben und in Verzweiflung geraten sind, ist dieser Brief ein schönes Beispiel von Standhaftigkeit und Gefasstheit im Angesicht des sicheren in der grauenhaftesten Form zu erwartenden Verderbens. Zwei weitere Briefe der gleichen Verfasserin vom 22. Juni und 12. Juli beehre ich mich gleichfalls in Uebersetzung vorzulegen, desgl. 2 Briefe armenischer Pfarrer aus Hamam und Sabkha.

3) Ueber die Art der Ende Juni erfolgten Verschickung, der bis dahin mit Erlaubnis der Regierung bei dem Bau der Bagdadbahn in der Amanusgegend beschäftigten Armenier, gibt der in Abschrift gehorsamst beigefügte Brief der Schwester Paula Schäfer an den amerikanischen Missionar Mr. Peet in Konstantinopel Auskunft.

4) [3] Ein aus Diarbekr über Urfa hier angekommener deutscher Offizier hat mir am 24. Juli erzählt, dass einige Zeit vorher wieder 2000 armenische Frauen aus den östlichen und nördlichen Gebieten nach Urfa gebracht worden sind. Es handelt sich hier offenbar um eine Nachlese von solchen die sich früher hatten versteckt halten können oder die in muhammedanische Familien aufgenommen waren und deren man jetzt überdrüssig geworden ist.

Auf ähnliche Zustände deutet die in Abschrift gehorsam hier beigefügte briefliche Nachricht des Diakons Künzler aus Urfa vom 22. Juli, wonach es ihm gelungen ist, 150 Waisenkinder zu unterstützen.

5) [4] In Aleppo ist seit dem 12. Juli die Verschickung eingestellt, anscheinend weil ein Konflikt zwischen den oberen Behörden darüber ausgebrochen ist, dass es den reicheren Armeniern gelungen ist, Schonung zu erlangen, während die ärmeren der Polizei ausgeliefert waren. Aus Meskene ist es etwa 250 Armeniern gelungen, mit stillschweigender Duldung des dortigen Militärkaimmakams, nach Aleppo zurückzuwandern wo sie in erbarmungswürdigem Zustande ankommen. Der Wali hat infolgedessen Befehl an die Dörfer gegeben, keinen Armenier nach Aleppo zurückzulassen. Ueberträgt man die Ausführung behördlicher Anordnungen der Bevölkerung, so erklärt man die Armenier damit etwa für vogelfrei. Weitere Massregeln gegen sie werden hier vermutlich zu erwarten sein. Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.


Rößler.
Anlage 1

Abschrift/Übersetzung

Der Zor, den 3/16. Juli 1916

Meine liebe Schwester im Herrn

Fräulein Beatrice Rohner

Hoffentlich haben Sie unsern Brief von der letzten Woche erhalten. Die Arbeit hier war im Begriff, sich schön zu entwickeln. Leider aber hat die wieder aufgenommene Verschickung alle tieftraurig gemacht. Ein Teil der Bevölkerung ist bereits verschickt - und für uns und den Rest ist der Befehl bereits durch den Ausrufer gegeben worden. Wir alle wissen nicht, wann und wohin wir gehen werden. Die Not und der Jammer der Bevölkerung ist unbeschreiblich.

Ach liebe Schwester, wir sind in den Nächten des Lebens, aber Gott sei dank, dass Seine Verheissungen für uns da sind. In dieser Woche ist Der Zor zur Wüste geworden für die Deportierten; jedermann sucht, sich für den Weg zu rüsten. Man sagt, wir würden an das Ufer des –Flusses Chebor verschickt...


den 4/17. Juli 1916

Ach liebe Schwester meine Feder ist unfähig, die Not, das Elend, die Bedrückung der Verschickten zu beschreiben. Heute haben sie alle Geistlichen und führenden Männer verhaftet. Ein Teil der Leute ist fort, ein anderer wird bald gehen und es wurde ausgerufen, dass bis Ende dieser Woche alle weggehen müssten. Auch spricht man davon, dass Männer und Frauen getrennt verschickt werden sollen. Peitsche und Stockhiebe sind in der ganzen Stadt an der Tagesordnung. Die Verfolgung und Unterdrückung der Heimatlosen ist in den letzten Tagen zu einem Grade gestiegen, dass nur ein Gedanke mein Herz erfüllte: Wer ist es, der diesen jammervollen Zuständen Linderung schaffen und denen, die solche Gewalt dulden und ihr Raum geben, ein Bild unserer Lage geben könnte? Wir bringen die Sache zuerst vor Gott und dann sagen wir sie Ihnen. Können Sie nichts tun, um diese Lasten etwas zu erleichtern? ...

Denken Sie nicht, dass ich diese Zeilen in der Aufregung geschrieben habe; ich denke nur, es möchte sich Ihnen die Gelegenheit bieten, an geeigneter Stelle die Sache zur Sprache zu bringen. Auch weis ich, dass Sie an allem teilnehmen und unsere Lage zum Gegenstand Ihrer Fürbitte machen werden.

Mit vielen Grüssen sage ich Ihnen Lebewohl. Gott ist. Er kann den Felsen zum Wasserquell machen und ihm ist es ein Kleines auch die letzte grosse Verschickung noch zu vereiteln. Jedenfalls sagen wir von Herzen: dein Wille geschehe!


Ihre Schwester

[Araxia Dschebedjian.]

Anlage 2

Abschrift/Brief an Schwester B. Rohner

Der Zor 22. Juni 1916

Die Grösse der Arbeit hier kann weder mit Worten noch mit der Feder genügend beschrieben werden. Man muss alles selbst gesehen haben. Ach liebe Schwester, Der Zor braucht Hülfe, ganz besondere Hülfe, bitte sagen Sie es weiter. Sagen Sie es unseren Missionaren, dass ihre College-Kinder, junge Männer und junge Mädchen hier Hungers sterben. Ihr Anblick ist herzbrechend. Wir brauchen Hände, die sich zur Hülfe ausstrecken, opferwillige, ihrer Pflicht getreue Menschen. Vielleicht wundern Sie sich über diesen Notschrei. Aber ich denke dabei nicht an mich selbst sondern an die Scharen der Kinder draussen, die um Brot schreien, an die vielen reinen jungen Mädchen, die vom Hunger und von der Verlassenheit getrieben, im Hause, am Herde arabischer Männer Zuflucht suchen, die um Brot an solche verkauft werden, die Frauen, die Mütter die verzweifelnd umherirren um Brot für die hungernden Kleinen, die jungen Leute, die vom Hunger geschwächt gealtert wie Greise am Stecken wanken! Die Verantwortung, dies gesehen zu haben, drängt mich zu schreiben. Die Arbeit, die für diese Aermsten hier geschieht, ist sehr gross, aber trotzdem bleibt sie weit hinter dem Bedürfnis zurück Wir müssen täglich wenigstens 3 – 4 junge Mädchen zurückkaufen, oder sie werden als Miete für die Wohnungen veräussert. Die Zahl der um Hülfe flehenden ist unendlich. Ein kleiner Junge sagte zur Mutter: Mutter hier ist der Kochtopf und der Deckel, warum kochst du uns kein Essen? Der Kleine hatte zwei Tage nichts gegessen. Ein anderes Kind fragte: Mutter, kommt wieder eine Zeit, wo ich mich satt essen darf? Die Leute schlachten und essen die Strassenhunde. Kürzlich haben sie einen sterbenden Mann geschlachtet und gegessen, dies erzählte mir ein Augenzeuge.

Eine Frau hat ihr Haar abgeschnitten und es um Brot verkauft. Eine Frau sah ich, wie sie das auf der Strasse geronnene Blut eines Tieres ass. Bis jetzt nährten sich alle von Gras, aber auch dies ist jetzt vertrocknet. Letzte Woche kamen wir in ein Haus, dessen Einwohner seit 3 Tagen nichts gegessen hatten. Die Frau hielt ein kleines Kind auf dem Arm und versuchte ihm eine Brotkrume zu essen zu geben, das Kind konnte nicht mehr, es röchelte und starb in ihren Armen. In diesem Augenblick kam ich mit G. zu ihr - er gab ihr ein Pfund. Die Frau nahm es, dann rief sie unter Tränen aus: Ach wenn ihr dies einen Tag früher gebracht hättet, wäre mein Kind noch am Leben. Eine Familie ging hungrig zu Bett - das Kind konnte nicht einschlafen und schrie um Brot. Endlich erbarmte sich der arabische Hausherr, stand auf und gab dem Kleinen ein Stück Brot. Das Kind nahm es, wollte erst anbeissen, dann überlegte es, drückte das Brot fest an sich und sagte: wenn ich es jetzt esse, bin ich morgen früh wieder hungrig und mit dem Gefühl das Brot in der Nähe zu haben, schlief es ein. Eine Mutter warf sich in den Euphrat, nachdem sie ihr Kind Hungers sterben gesehen hatte, ebenso ein Vater. Durch die allgemeine Teuerung wächst die Not sehr. Wenn man einige Medjidies gibt bezahlen die Leute erst ihre Brotschulden, haben dann ein paar Tage Brot und wieder ist der Hunger da. Wenn es irgend wie Hülfe gibt, und Gott will Sie und uns brauchen, sind wir von Herzen zu jeder Mühe bereit. Liebe Schwester, könnten Sie viele unserer Frauen und Mädchen, die Sie früher kannten, jetzt sehen! Die Arbeit, die Sie mit Gottes Hilfe hier begonnen haben, wird ihre Frucht später zeigen. Die Frucht wird grösser sein, wie Ihre Erwartungen... In den letzten Wochen habe ich mit G. so viele Häuser besucht, dass wir ganz Der Zor und all seine Armen nahe kennen lernten. Es ist gar nicht möglich ganz verborgen zu blieben. G. ist morgens, mittags und abends an der Arbeit, er trägt die Armen und Unglücklichen wirklich auf dem Herzen und setzt immer wieder sein Leben in Gefahr, um einige zu retten.


[Araxia Djibedjian.]
Anlage 3

Abschrift/Brief aus Der Zor vom 12. Juli 1916 an Schwester Rohner.

Die Not ist gross. Die Leute leben von dem, was wir ihnen geben können. Die Leute denen wir auf den Strassen begegnen, sehen kaum mehr Menschen ähnlich, so hat sie der Hunger zu Scherben ausgetrocknet. Wenn man Geld hat, braucht man die Armen nicht zu suchen, sie finden einen in Scharen. Reich und arm gibt es nicht mehr. Wenn man von Tür zu Tür gehend Gaben verteilte, so könnte man gewiss sein, nicht unnötig gegeben zu haben. Auf diese dunkle Nacht wird ein Morgen folgen, gewiss, aber der Herr siegt nur dann, wenn treue Wächter in der Nacht mit treuster Pflichterfüllung auf dem Posten stehen. Möge Gott Sie als solche brauchen.


[Araxia Djibedjian]
Anlage 4

Abschrift aus Brief vom 28. Juni aus Hammam an Schwester Rohner.

.... Hier sind etwa 1000 Zelte. Gesundheitlich geht es uns gut, aber vieles was wir hier sehen und erleben, veranlasst uns, Ihnen zu schreiben. Es gibt hier viele hunderte von elenden verlassenen Kindern, Frauen und Männern, die von Hunger entkräftet und krank, wahre Jammergestalten, zwischen den Zelten umherirren. Bei jeder Mahlzeit kommen wenigstens 20 - 30, die um ein Stück Brot bitten. Viele Familien haben seit mehreren Tagen nichts gegessen und finden nicht den Mut zu betteln. Die Zahl gerade solcher Familien wächst von Tag zu Tag. Was wird das Ende sein? Wenn es noch lange so weiter geht, so geht der grösste Teil des Volkes, vielleicht alle an Hunger und Entbehrungen zu Grunde. Die Leute streiten sich um das auf die Erde geflossene Blut geschlachteter Tiere, sie nagen die Knochen ab, die sie auf Misthaufen finden, sie suchen im Pferdemist nach Gerstekörnern, um sie heisshungrig zu verzehren. Sie essen das Fleisch von gefallenen Tieren und Menschen. Viele, die es nicht mehr aushalten, werfen sich mit ihren Kindern in den Euphrat.

Vor solchem entsetzlichen Anblick stehen wir täglich und können nichts anders tun, als Gott um Gnade und Hülfe anzuflehen. Wir sehen es als unsere Pflicht an, Ihnen von all dieser furchtbaren Not Bericht zu erstatten. So sind wir wenigstens unserer Verantwortung ledig. Liebe Schwester, wir bitten um Christi willen, dass Sie diesem armen elenden Volk auf irgend eine Weise zu Hülfe kommen, um es von dem schrecklichen Hungertode zu retten. Wenn möglich, schicken Sie jemanden, der alles selbst in Augenschein nehmen kann. Wenn irgend möglich schicken Sie umgehend und ausreichend Hülfe und dauernde Hülfe... Alles ist sehr teuer, eine Familie braucht für das Brot allein 15 - 20 Piaster täglich.


[Prediger Vartan Geranian]
Anlage 5

Abschrift: Brief aus Sabkha vom Juni 1916 an Schwester Rohner

Mit diesem Brief komme ich als Vertreter vieler flehender Bitten und Notschreie. Ich bitte für eine Schar von über 2500 zum Skelett vertrockneter, elender hungriger Menschen. Viele waren bereits hier, Scharen von neuen sind dazu gekommen. Viele sterben täglich Hungers. Die Totengräber sind immer beschäftigt. Das Stöhnen und Jammern auf dem Markt, in den Strassen, draussen in der stillen Wüste lässt das Herz nicht zur Ruhe kommen. Die Kinder auf den Misthaufen! Ach was soll ich beschreiben? Die Feder sträubt sich. Ich bitte für sie um Hülfe, um Erbarmen.


[Prediger Der Boghossian]
Anlage 6
Harunje, den 13. Juli 1916

Lieber Herr Peet!

Verzeihen Sie - wenn [ich] noch keine Zeit und Ruhe fand, Ihnen eine Abrechnung über das gesandte Notstandsgeld zu senden. Doch die neuen grossen Ausweisungen der letzten 14 Tage haben mir wieder eine Fülle von Arbeit gebracht, gewiss haben Sie sich gewundert über die telegr. Bitte, mir 1000 Ltq. zu senden. Aber die Ausweisungen der ganzen Arbeiter der B.B. Compagnie, mit allen Verwandten in Marasch und Umgegend, geschah so plötzlich, dass ich natürlich kein Geld vorrätig haben konnte! Schnelle Hilfe tat not - so habe ich mir überall bei den deutschen Ingenieuren der Bahn Geld geborgt und kann es nun zurückerstatten, da inzwischen Ihr Geld kam! Von Mersina aus telegraphierte ich Ihnen nochmal - den Rest der 1000 Pf. zu senden - hoffentlich kommt es bald!

Nun sind wieder einige hundert Kinder auf den Bergen geblieben, die ich gesammelt habe - ungefähr 150 sind gefunden, 50 sind davon noch in Entilli - ich weiss wirklich nicht, wohin damit - alle unsere Häuser sind so überfüllt und man kann so wenig Unterstützung von seiten der Regierung erwarten! Ich bin noch ganz elend von der Reise, die ich mit den Verbannten von Baghtsche nach Marasch machte! Ich kam all diesen Scharen von Leuten in den Bergen entgegen - Kinder von 4 Wochen lagen unter den Sträuchern, 3 - 4jährige sassen auf den Feldern - verlassen - ohne ein Stück Brot, die Mütter mussten sie liegen lassen - da sie selbst nicht weiter konnten! Vor Leichengestank konnte man kaum weiter - wir sind stundenlang des Weges geritten - wo 100 - 150 Leichen lagen - können Sie sich vorstellen, wie die Strecke von Marasch bis Urfa jetzt aussieht?! Ich schickte Wagen auf die Strecke - liegengebliebene Kinder zu sammeln, derselbe kam zurück, da er keine Kinder fand, die Türken reissen sich ja um dieselben, und sagte, die Wege seien unpassierbar der vielen Leichen wegen!

Lehrer[,] Badwellis - alles wurde getrennt von Frauen und Kindern gesandt - die Not und der Jammer waren herzzerreissend. Ein Trunk Wasser wurde den Armen nicht für 1 Ltq. gewährt - an schmutzige Closettwässer, die von der Stadt Marasch kamen, lagerte man die Tausende; obwohl das Aksu nur 5 Minuten entfernt lag, zwang man die dies Wasser, an dem sie lagerten, zu trinken! Ein Transport von 500 - 1000 Seelen musste 100 - 200 Lira in einer Nacht sammeln, wenn sie den Morgen noch erleben wollten - so drohten die rohen Soldaten! Ich ging runter in die Ebene, besuchte die Leute in ihren Lagern - es war entsetzlich zu hören, was man ihnen unterwegs angetan. Es war ein glänzender Raub und Mordzug der Polizisten und Soldaten!

Ich bin dann zur Regierung gegangen, habe alle die Sachen vorgetragen - man hat dann nach Kräften die Sache gut zu machen gesucht! Aber die Allerwenigsten werden diese zweite, ja zum grossen Teil schon dritte Verbannung überstehen - die gehen alle zu Grunde! In kurzen Zügen gab ich Ihnen ein Bild des letzterlebten - Sie können sich denken, wie schwer die Arbeit ist, weil man nicht eingreifen kann wie man wollte und sollte! Doch tröstet mich immer ein Ausspruch Pastor Lohmanns - er sagte: "Wir dürfen nicht barmherziger sein wollen als Gott, der so lange das Elend eines Volkes mit ansieht." Gewiss kommt eine Zeit, wo es alles heimgezahlt wird! Obwohl ich oft vor übergrosser Verzweiflung und Mutlosigkeit die ganze Arbeit niedergelegt hätte, so ist es mir doch klar, dass Gott mir jetzt wieder neue Aufgaben gegeben, die ich auch gern noch lösen will.

Meine Wünsche betreffs Verpflegung der Muhadjirs im Hospital wissen Sie ja - ich hoffe bald darüber von Ihnen eine Antwort zu bekommen.

Wegen der 60 Ltq. monatlich für Malatia danke ich Ihnen sehr. Herr Christoffel wird sich riesig freuen.

Nun Gott befohlen, mit sehr herzlichem Gruss bin ich Ihre sehr ergebene


[Paula Schäfer]
Anlage 7
Urfa, den 22. Juli 1916

... Unter der Hand ist es mir gelungen, Dank der Hülfe aus der Schweiz, hier Ueberreste des armenischen Volkes, Waisenkinder, bereits 150 an der Zahl, zu unterstützen und sie so vom drohenden Hungertode zu retten. Es gibt noch mehr; allein für alle reichts nicht. ...

[Jakob Künzler]

Kaiserlichen Konsul Herrn Rössler Hochwohlgeboren Aleppo.


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