1914-06-23-DK-001
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Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 5. L. 15, "Grækenland-Tyrkiet: Politiske Forhold", Pk. 1, Juni 1914-31/12 1945.
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 06/23/1914
Telegramm-Ankunft: 06/30/1914
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 31
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/28/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Eric Scavenius)

Bericht



Nr. 31

Konstantinopel 23. Juni 1914.

Das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei

Unter Bezug auf Bericht Nr. 28 vom 20. Juni 1914

Ich habe jetzt den in meinem letzten Bericht über das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei angekündigten Rapport des dänischen Konsuls in Smyrna über die Unruhen im Vilayet Aidin erhalten. Der Konsul berichtet u.a.:

Vor drei Monaten unternahm der Vali [Evranoszade Rahmi Bey] - vermutlich auf Befehl der Regierung - eine Inspektionsreise in die kleinen Städte an der Küste der Provinz. Es scheint, dass der Gouverneur auf seiner Reise unter der Hand den örtlichen Beamten geraten hat, die griechische Bevölkerung zu zwingen, die betreffenden Städte zu räumen. Ähnliches soll auch in anderen Küsten-Provinzen stattgefunden haben.

Der Grund für diesen Schritt war, dass solange die Griechen im Besitz von Chios und Mytilene sind, die ethnisch verwandte Bevölkerung der Küstenregionen eine Gefahr für das Reich darstellt.

Als Folge dieser Haltung und der geheimen Ratschläge entstand eine ernste Widerstandsbewegung. Da die Griechen nicht bereit waren auszuwandern, begann man zu anderen Mitteln zu greifen. Einmal kamen viele muslimische Flüchtlinge aus Trakien und Makedonien an. Die Behörden verordneten daraufhin, dass die Griechen, die osmanische Untertanen waren, jedes 3. Zimmer an die türkischen Flüchtlinge abtreten sollten.

Weil die Griechen nicht unter einem Dach mit Muslimen leben wollten, begann die Emigration erst dann größere Ausmaße anzunehmen. Der schnelle Aufbruch zwang die Griechen, Häuser und Eigentum zu sehr niedrigen Preisen zu verkaufen - allein schon deshalb, weil die dortigen Bauern nicht viel Geld hatten.

Nun begannen die eigentlichen Unruhen, erst in Adramyt, gegenüber dem nördlichen Teil Mytilenes. Die Drohungen gingen in Gewalttaten über, und voller Panik flüchteten viele Griechen nach Mytilene.

Die Unruhen griffen über auf Kelmer, Kilissekeuy, Kinick, Pergamos und Soma. Bewaffnete "Bashibozuks" griffen die griechische Bevölkerung an, vergewaltigten die griechischen Frauen, töteten Kinder usw. Zum Schluss vergriffen sich die Banden auch an den nicht-osmanischen Untertanen.

Von Pergamos aus zogen die Banden plündernd und raubend nach Dikili, sodann teilten sie sich und zogen teils nach Menemen, teils nach Phocea. In der erstgenannten Gegend wurden die Dörfer Ali-Agha und Gerenkieuy geplündert. An einem anderen Ort, in Serekieuy, leistete die Bevölkerung Widerstand. Sie kämpften von 8 Uhr 30 am Abend bis um 1 Uhr in der Nacht, aber als sie keine Munition mehr hatten, wurden die meisten in einem letzten heldenhaften Kampf getötet.

Die Banden wagten nicht, Menemen (mit 20000 Einwohnern) anzugreifen und begnügten sich damit diejenigen zu erschießen, die sich aus der Stadt gewagt hatten. Dennoch beschlossen die Griechen, ihre Frauen und Kinder wegzuschicken, und am 13. dieses Monats zogen 700 Frauen und 400 Kinder zur Eisenbahnstation, um nach Smyrna zu kommen. Die Behörden verboten jedoch den Verkauf von Fahrkarten und ließen die Züge ohne Halt vorbeifahren.

Daraufhin versuchten die Flüchtlinge zurückzukehren. Wenige Meilen weiter trieben die Bashibozuks das Vieh aus den Dorf Ouloujak und befahlen den Einwohnern auszuwandern. Aber auch dieses Mal befahl der Vali, daß die Züge weiterfahren mussten, ohne die Flüchtlinge mitzunehmen. Zwei Tage und Nächte blieben die Flüchtlinge an der Eisenbahnstation - zurückzukehren wagten sie nicht.

Hier beendet der Konsul fürs Erste seinen Rapport. Doch kündigt er eine baldige Fortsetzung an.

Zur gleichen Zeit wird in einem Telegramm aus Smyrna an „Tanin“ mitgeteilt, dass eine Bande von 8000 bis 10000 Räubern ihre Gewalttaten im Vilayet fortsetzt, aber dass die Regierung Maßnahmen ergriffen hat, mit denen zweifellos die Ordnung wiederhergestellt wird.

Inzwischen haben alle hiesigen Botschafter eine Einladung der türkischen Regierung erhalten, Repräsentanten nach Kleinasien zu senden, die sich an Ort und Stelle davon überzeugen sollen, dass die griechischen Berichte übertrieben sind. Diese Repräsentanten sind am 21. dieses Monats nach Smyrna abgereist.

Es ist, soweit ich weiß, noch keine Antwort von Athen auf die Note der türkischen Regierung vom 19. dieses Monats gekommen, aber es verlautet, dass die Situation nun weniger ernst und die Kriegsgefahr vorläufig abgewendet sei.

Die hier erscheinende Zeitung „Stamboul“, die der französischen Botschaft sehr nahe steht, schreibt heute, dass die französische Regierung die Bildung einer Kommission vorgeschlagen hat, die die offenen Streitfragen zwischen der Türkei und Griechenland untersuchen und einordnen soll, insbesondere die Emigrationsfrage, und die Zeitung hebt alle Umstände hervor, die auf eine Verständigung hindeuten:

Die vom türkischen Innenminister Talaat Bey in Kleinasien ergriffenen Maßnahmen, die auf Veranlassung des russischen Botschafters aufgenommenen Verhandlungen mit dem ökumenischen Patriarchat um die Wiedereröffnung der orthodoxen Schulen und Kirchen, und die Besuche, die der türkische Gesandte in Athen dem griechischen Außenminister abgestattet hat.

Die türkische Presse ist jedoch weniger optimistisch; sie gibt zu, dass sich die Situation bedeutend verbessert hat, aber sie schreibt dies anderen Ursachen zu und weidet sich an der vermeintlichen diplomatischen Niederlage der griechischen Regierung und daran, dass diese sich nun zurückziehen muss.

„Le Jeune Turc“ vom 21. dieses Monats meint, der Grund dafür, dass die griechische Regierung weniger aggressiv geworden ist, sei darin zu suchen, dass sich Frankreich geweigert hat, die 2. Rate der griechischen Anleihe auszuzahlen, solange der Frieden nicht gesichert ist, und darin, dass der Versuch Griechenlands, Kriegsschiffe in Amerika zu kaufen, gescheitert ist.

Andere türkische Blätter erinnern heute daran, dass die Türkei keine Zugeständnisse bezüglich der Inselfrage gemacht hat, und dass Griechenland in der Emigrationsfrage in Wirklichkeit nur einen Vorwand gefunden hat, um Europa mit einem Krieg zu drohen.

„Terdjuman Hokikal“ [Tercuman-i Hakikat] behauptet, dass die türkische Regierung sich ausdrücklich geweigert hat, die Bestimmungen der Londoner Konferenz bezüglich der Inseln zu akzeptieren, und dass die Großmächte der Haltung der Türkei zugestimmt haben, indem sie darauf nichts erwiderten, und sie betont, dass die Versuche der griechischen Regierung, Garantien von den Großmächten zu erhalten, ebenfalls fruchtlos geblieben sind.


C.E. Wandel



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