[25.Juni 1914]
Sir,
In Fortsetzung meiner Sendung vom 19. d.Mts. möchte ich folgendes berichten:
Die Banden der Bashibozouks, die in den Süden von Menemen zogen, nachdem sie alle Dörfer auf ihrem Weg geplündert hatten, griffen in der Nacht des 12. Juni Phocea von drei Seiten an und verwandelten es in ein Schlachthaus, willig unterstützt von kretischen Arbeitern aus den Salzdepots.
Ein Augenzeuge berichtete, daß "innerhalb einer Viertelstunde nach Angriffsbeginn jedes Boot dort voll von Leuten war, die wegzukommen versuchen; als keine weiteren Boote mehr da waren, suchten die Einwohner Zuflucht auf der kleinen Halbinsel, auf der der Leuchtturm steht. Ich sah elf Männer- und Frauenleichen an der Küste liegen. Wie viele getötet wurden könnte ich nicht sagen, aber als ich versuchte in ein Haus reinzukommen, dessen die Tür nur angelehnt war, sah ich zwei weitere Leichen in der Eingangshalle liegen. Jedes Geschäft in dem Ort war geplündert worden, und die Waren, die nicht weggeschafft werden konnten, waren mutwillig zerstört worden."
Obwohl Informationen Smyrna erreichten, daß Unruhen in Phocea ausgebrochen waren, wurde die Sache zunächst geheimgehalten, und erst zwei Tage später brachte ein französischer Schlepper auf seinem Weg nach Makaronia die Nachricht von der Katastrophe.
Als sie auf dem Vorgebirge eine große Menschenansammlung sahen, die verzweifelt Notsignale gab, nahmen die Leute auf dem Schlepper von Phocea etwa 700 halbverhungerte arme Kreaturen auf und brachten sie nach Mitylene [Mytilini/Lesbos].
Die Behörden dieses Ortes schickten Boote und brachte die übrigen 5/6000 Einwohner von Phocea auf die Insel. Heute gibt es keine Griechen mehr in dieser Stadt.
Gleichzeitig mit diesen mörderischen Angriffen auf die Städte & Dörfer nördlich von Smyrna wurde damit begonnen, die griechische Bevölkerung von der Halbinsel Kara Bournou zu vertreiben.
Ein Troß von 600 Muhadjirs [muslimische Flüchtlingen vor allem vom Balkan] wurde in Kato-Panayia angelandet - oder in Assari-Tchilftlik, dem offiziellen Namen -, die die Dorfbewohner aus ihrer Heimat trieben und ihre Häuser und Waren in Besitz nahmen, so dass die rechtmäßigen Eigentümer Nahrung und Unterkunft suchen mussten, wo immer sie es finden konnen.
Ein anderer Tross wurde nach Chesmé gebracht und marschierte nach Alatsata, dessen Einwohner von Regierungsbeamten gezwungen wurden, ihre Häuser und ihr Eigentum den Neuankömmlingen zu überlassen.
Der Verlust dieser armen Leute wird erst klar, wenn man bedenkt, daß Alatsata eine Stadt von etwa 15000 Einwohnern war, davon neun Zehntel Griechen, und daß heute auch nicht ein einziger Grieche dort mehr zu finden ist.
Der nächste Schritt bestand darin, die Leute aus Chesmé zu vertreiben, und die üblichen Drohungen führten dazu, daß die meisten es vorzogen, freiwillig zu gehen als fortgetrieben zu werden. Von 13000 Griechen blieben 30 Männer, deren Geschäft sie dazu bewog, der Rest suchte Zuflucht in Chios oder Samos.
Da durch die Ausweisung aus den oben genannten Orten sowohl von der Halbinsel Kara Bournou als auch aus der Bucht von Smyrna noch nicht alle Griechen entfernt waren, lenkten die Behörden ihre Aufmerksamkeit nunmehr auf kleinere Orten: Reis-Déré, Ovalik [Aivalik?;Ovacik?], Kilisman, Saip, Vourla, Narli-Déré and Abdullah-Chiftlik.
Hier wurde wieder mit Drohungen gearbeitet, und da diese anscheinend nicht unmittelbar wirkten, kam es wieder zu täglichen Morden und Misshandlungen. Die von Panik erfassten Leute - mit Ausnahme Vourlas - suchten ihre Rettung durch Flucht nach Long Island, wo sich 6500 sammelten, ohne irgendeine Unterkunft oder Nahrung. Dank des energischen Einsatzes des russischen Generalkonsuls, Herrn Kalmykov, der sich als mannhaft erwies, wurden etwas Mehl und weitere Nahrungsmittel beschafft und schließlich auch diese Opfer auf die griechischen Inseln gebracht.
Nach Berechnungen sind zwischen 70-80 000 Personen vertrieben worden. Abgesehen von dem Verlust für die Ausgewiesenen, der sich auf etwa 2 000 000 Pfund beläuft, sind die folgen für das Land irreparabel. Die Einwohner der Meeresgebiete waren mit Ausnahme der Einwohner von Aivali eine friedliche und arbeitsame Bevölkerungsschicht. Diese Provinz ist bekanntlich nur gering bevölkert, über Hunderte von Meilen ist nie ein Pflug gegangen. Es gab keine Notwendigkeit, die Bewohner auszuweisen, um den Weg für andere freizumachen. Sie zu vertreiben, heißt das Land um die Frucht ihrer Arbeit zu bringen, den Anbau zu reduzieren, die Einnahmen zu mindern und den Preis der Arbeit zu erhöhen. Es kann mit Sicherheit vorhergesagt werden, daß diese Provinz in den kommenden Jahren die katastrophalen Wirkungen dieser desaströsen Politik fühlen wird.
Und nun zur Mission des Innenministers.
Sofort nach seiner Ankunft in dieser Provinz versuchte Talaat Bey die Bewegung zu stoppen, die unter seiner Schirmherrschaft erst geschaffen worden war.
Er reiste von Stadt zu Stadt, um in öffentlichen Reden volle Wiederherstellung und perfekte Sicherheit zu versprechen; während dieser Farce konnte niemand sein Haus bei Nacht verlassen oder bei Tag auf seinen Feldern arbeiten, ohne beschossen oder erbarmungslos misshandelt zu werden.
Um ein Beispiele zu geben: In Tireh, Eudemish und Baindir werden die Griechen offen von den Bashibozooks boykottiert und zurückgetrieben, wenn sie versuchen, auf ihren Tabakplantagen und Weingärten zu arbeiten.
In Menemen wagt kein Grieche, dem sein Leben lieb ist, das Stadtgebiet zu verlassen, und dasselbe kann genau so für Magnesia Axar, Soma und Pergamos gesagt werden. Auf der Halbinsel Kara Bournou ist alles Vieh von Regierungsbeamten weggenommen worden, und der Raub geschah am helllichten Tag und in Gegenwart von Europäern.
Um ein weiteres Kapitel dieser jämmerlichen Farce hinzuzufügen, bemühte sich die Regierung um [westliche] Abgesandte, um dem zivilisiertem Europa zu beweisen, daß es mit der Wiederherstellung ernstlich vorangeht. In Motorwagen & Spezialzügen führt sie diese Herren durch das Land, bei gutem Essen und besten Weinen, während die Opfer ihrer Gräuel um Brot betteln und von Wohltätigkeiten leben. Was diese Vertreter der Großmächte ihrer Regierung zu erzählen haben, weiß ich nicht, aber eines ist absolut sicher, wie immer ihre Berichte auch lauten werden: die grausamen Maßnahmen werden nicht aufhören, auch wenn sie weniger offen durchgeführt werden, wie die Botschaft des Großwesirs an die amerikanischen Gesellschaften hier endgültig beweist.
In seiner Mitteilung an die Singer Co. in Smyrna sagt der US-Generalkonsul Horton, daß "er von seinem Botschafter angewiesen wurde mitzuteilen, daß er vom Großwesir das Versprechen erhalten hat, daß die griechischen Angestellten in den nächsten zwei Monaten nicht belästigt werden, aber daß sie nach Ablauf dieser Zeit ersetzt werden müssen".
Dieses Kommuniqué sagt mehr aus als all meine Worte.
Ich bin Euer Exzellenz gehorsamer Diener,