1914-08-20-DE-007
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Quelle: DE/PA-AA/R 22402
Zentraljournal: 1914-A-00117
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 08/20/1914 06:20 PM
Telegramm-Ankunft: 08/20/1914 07:30 PM
Praesentatsdatum: 08/21/1914 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 32
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann) an das Große Hauptquartier (Jagow)

Telegraphischer Bericht



Nr. 32.

Berlin, den 20. August 1914

Der Kaiserliche Botschafter in Konstantinopel telegraphiert:

„Nachdem Marschall Liman sein Telegramm an den Chef des Militär-Kabinetts mir zur Weitergabe zugestellt hat, ist sofort der mit Enver intim befreundete Korvettenkapitän Humann von mir zu Enver geschickt worden, um diesen um Aufklärung zu bitten. Enver hat Humann folgendes gesagt:

Marschall Liman setzte ihm bereits seit längerer Zeit zu, um ihn zu einer Offensiv-Aktion der türkischen Armee zu bewegen. Er habe den Marschall bisher vergeblich darauf hingewiesen, dass er bei vollem Verständnis für seine Empfindungen als Soldat, die er durchaus teile, sich als Minister nicht von solchen Empfindungen dürfe leiten lassen, sondern die Pflicht habe zu allererst politisch zu denken und sich in den Rahmen der gesamten Politik seines Landes einzufügen.

Die Haltung des Marschalls sei in den letzten Tagen unerträglich geworden und er habe, um ihn zunächst hinzuhalten und zu beruhigen ihm gesagt, er möge doch erst einmal den Erfolg der Mission Talaat Beys und Halil Beys nach Sofia und Bukarest abwarten. Sollte sich dann herausstellen, daß die Türkei garnichts machen und in keiner Weise der deutschen Politik nützlich sein könne, dann wolle er selbst bei Seiner Majestät dem Kaiser, auf dessen Befehl Marschall Liman doch hier sei, verwenden, dass er zurückberufen werde, um noch aktiv am Kampfe gegen den Feind seines Vaterlandes teilzunehmen. Er Enver Bey habe die Hoffnung gehegt, dass Marschall Liman sich in einigen Tagen etwas beruhigen würde. Nach Rückkehr Talaat Beys, der alle Aussicht habe, das Defensiv-Bündnis einer bewaffneten Neutralität Bulgariens, Rumäniens und der Türkei zum Abschluss zu bringen, hätte er ihn darauf hinweisen wollen, dass dies Resultat eben das “Erreichbare“ sei und dass dies Erreichbare einen greifbaren Nutzen für die deutsche Politik bringe; allerdings nur, wenn die deutsche Militärmission an der Spitze der türkischen bewaffneten Neutralität steht. Russland hält mehrere Armeekorps im Kaukasus zurück, die es sonst zweifellos auf dem Kriegsschauplatz verwenden würde; England versammele seine Truppen selbst mit Transporten aus Indien bei Suez und an der türkisch-egyptischen Grenze; schliesslich fühle sich auch Serbien in seiner Flanke bedroht. Das seien doch greifbare Vorteile für die deutsch-österreichische Kriegführung, deren Vorbedingung die deutsche Militär-Mission an der Spitze der mobilisierten türkischen Armee sei. Seiner Ansicht nach seien das Gründe, die auch einem unpolitischem Kopf einleuchtend sein müssten. An ein Zurückziehen der Militär-Mission habe er überhaupt niemals gedacht. Ob ein drittel oder die Hälfte oder ganz, das sei völlig gleichgültig: Jede Art von Zurückziehung aus der Militär-Mission sei für die Gegner Deutschlands und Oesterreichs der Demobilisierung der Türkei gleichbedeutend. Ob die Truppen dann zu Felde blieben oder nach Haus zögen, sei ohne jeden Belang. Vorliegende Frage sei garnicht diskutabel, denn sie rühre entscheidend an den Grundlagen des Bündnisses. Aus den gleichen Gründen sei seiner Ansicht nach auch ein Rücktritt oder ein Ersatz des Missionschefs ganz unmöglich. Ein derartiger Schritt würde ein Fiasko nicht nur der bisherigen türkischen, sondern erst recht der deutschen ….. bedeuten. Ein offenbarer Triumph der Ententemächte. Nur so lange die Militär-Mission hier sei, habe die türkische Mobilisierung eine nach seiner Ansicht garnicht geringe Wirkung.

Ihm (Enver) sei der Marschall einfach unverständlich. Dass die jüngeren Herren der Mission nach Taten dürsteten, fände er begreiflich und sogar als Ausdruck des echten Soldatengeistes notwendig. Von ihm hätte er eigentlich erwarten müssen, dass er in Erkenntnis der unabänderlichen Faktoren und mit politischer Einsicht beruhigend auf die temperamentvollen Elemente wirke. Marschall Liman hat ohne mich zu fragen die Abberufung eines Teils der Mission bei Enver angeregt und damit eine rein politische Frage angeschnitten, die gegenwärtig die allerhöchste Bedeutung hat. Stände Enver und die Mehrzahl der Minister nicht so fest zu uns, so würde der Marschall dem türkischen Kabinett vielleicht die Handhabe geboten haben, um sich aus den Verpflichtungen gegen uns loszumachen. Ich muss das Vorgehen Limans daher als im höchsten Grade gefährlich bezeichnen. Trotzdem bitte ich, dass seine Unbesonnenheit seinem erregten Gemütszustande zugute gehalten wird. Ein allzu scharfer Tadel würde ihn ganz den Kopf verlieren lassen. Für die Formulierung der Allerhöchsten Telegramme an ihn habe ich daher keine weiteren Vorschläge zu machen.“


[Zimmermann]



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