1914-12-25-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/168
Botschaftsjournal: A53a/1914/3610
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Aufzeichnung des Generalkonsuls in der Botschaft Konstantinopel (Mordtmann)





25. Dezember 1914

Inhalt einer Unterredung mit dem Armenischen Patriarchen 23.12 1

Der Patriarch betonte wiederholt, daß jeder einsichtige Armenier das Verbleiben der Armenier unter türkischer Herrschaft wünsche und den Gedanken des Anschlusses der armenischen Landesteile an einen fremden Staat abweise. Aber ebenso betonte er die Notwendigkeit, die Lage der armenischen Bevölkerung in den östlichen Provinzen zu verbessern; es genügten nicht Gesetze, sondern es müßte auch vor allem durch einen tüchtigen unparteiischen Beamtenstand die Ausführung der Gesetze, die tatsächliche, und nicht nur die theoretische Gleichheit vor dem Gesetz gewährleistet werden. Die im vorigen Jahre von Rußland angeregte und von Deutschland eng unterstützte Reform-Aktion sei in Folge des Krieges zurückgestellt worden, und er begriffe wohl, daß vor Beendigung des Krieges es ausgeschlossen sei diese Angelegenheit wieder in Fluß zu bringen.

Ich versicherte ihm, daß die Angelegenheit diesseits im Auge behalten, und nach Wiederherstellung normaler Zustände auf die Ausführung der beschlossenen Reformen gedrungen werden würde.

Für den Augenblick beklagte er das Mißtrauen der türkischen Kreise gegen die Armenier. Sehr schlimm stünde es um die armenischen Dörfer in der Nähe des Kriegsschauplatzes (bei Erzerum). Die waffenfähigen Mannschaften im Alter von 20 - 45 Jahren seien eingezogen worden; die übrigen männlichen Bewohner würden zu Transporten und dergleichen Diensten eingezogen, sodaß die Dörfer völlig schutzlos seien. Die türkischen Behörden hätten eine Anzahl bewaffneter „Wächter“ (bekdji) bestellt, um die Dörfer zu schützen, d.h. zu überwachen: zum Teil ehemalige Verbrecher, die man den Gefängnissen entnommen, und ähnliche zweifehafte Elemente, von denen kein Schutz zu erwarten sei. Anderwärts würden die Armenier von maraudierenden Soldaten, Deserteuren, belästigt; auch sei es zu gelegentlichen Ausschreitungen seitens „arabischer“ Truppenteile gekommen.

Der Patriarch drückte den Wunsch aus, die kaiserliche Botschaft möchte an maßgebender Stelle auf Remedur dieser Zustände hinwirken.

Aus den sonstigen Landesteilen mit armenischer Bevölkerung liegen nur spärliche Nachrichten vor, speziell in den Vilajets Haleb, Harput, Diarbekir scheine Ruhe zu herrschen. Von Ausschreitungen in Kaihsarié - von denen hier vor einigen Tagen unbestimmte Vermutungen geäußert waren - hatte er nichts Positives gehört, doch sei es schwer, von jenen Gegenden Nachrichten zu erhalten.

Hinsichtlich der Sympathien der Armenier für die eine oder die andere der kriegführenden Mächte, meinte der Patriarch, es sei natürlich, daß im Grenzverkehr mit Russisch-Armenien vielfach russische Sympathien eingeschleppt würden; alljährlich gingen Tausende von Armenier aus den Grenzgebieten nach Rußland, um dort zu arbeiten und kehrten im Herbste mit dem verdienten Gelde in ihre türkische Heimat zurück; da würden dann wohl Vergleiche zwischen der Behandlung, die sie in der Fremde erfahren, und ihrer Lage in der Türkei gezogen werden; wie aber ihr Loos unter Russischer Herrschaft sich gestalten würde, darüber machten sie sich keine Gedanken. Während der Armeniermassacres (1898) habe der russische Konsul Maximow in Erzerum nicht nur diejenigen Armenier, die sich ins Konsulat flüchten wollten, abgewiesen, sondern durch laute Zurufe den Mob zur Fortsetzung der Massacres ermuntert. Der Patriarch führte noch andere Einzelheiten an, und schloß mit der Äußerung, daß das Eintreten Rußlands für Reformen in Armenien im v.J. durch Rücksichten auf die armenische Bevölkerung des Kaukasus beeinflußt gewesen sei.

Wenn Sympathien für Frankreich vorhanden seien, so sei das die Folge davon, daß in den Schulen von fremden Sprachen vor allem Französisch gelehrt würde. Die deutsche Sprache sei, aus Mangel an Lehrkräften, nur bei wenigen Schulen als Unterrichtsgegenstand eingeführt. Für Amerika seien ausgesprochene Sympathien vorhanden, trotzdem die Proselytenmacherei der amerikanischen und englischen Missionare dem armenischen Volke antipathisch sei. Auf die den Deutschen ungünstige Stimmung und deren Ursachen (die deutsche Politik unter Abdulhamid) vermied der Patriarch einzugehen.


1Von Wangenheim weitgehend verwendet in Dok. 1914-12-29-DE-001.



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