1915-03-09-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14085
Zentraljournal: 1915-A-09528
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 03/16/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 140
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Pera, den 9. März 1915

Seit Ausbruch des Krieges ist die regelmäßige Korrespondenz mit den östlichen Provinzen öfters unterbrochen, sodaß auch das armenische Patriarchat nur über spärliche Berichte aus jenen Gegenden verfügt. Allerdings scheint aus einer Äußerung des Patriarchen hervorzugehen, daß tatsächlich eine Anzahl Armenier aus dem eigentlichen Kriegsgebiete nach Rußland übergetreten sind, vermutlich um sich der Aushebung und anderen Kriegslasten und der unmittelbaren Kriegsgefahr zu entziehen. Ob unter den armenischen Flüchtlingen die Zahl der türkischen Untertanen so beträchtlich ist, wie die türkischen Preßstimmen behaupten, mag dahingestellt bleiben.

Auch hier ist erzählt worden, daß armenische Soldaten wegen angeblicher Verräterei niedergemacht worden seien: eine Untersuchung dieses Falles steht aus; jedenfalls behaupten die Armenier, daß kein Verrat vorgelegen habe.

Es ist ferner - von türkischer Seite - behauptet worden, daß zahlreiche Armenier aus Bulgarien freiwillig in die russische Armee eingetreten seien. Von der Beteiligung der in anderen Ländern ansässigen Armenier türkischer Nationalität am Kriege liegen keine Nachrichten hier vor.

Der gegenwärtige armenische Patriarch ist andauernd bemüht, korrekte und gute Beziehungen zu der türkischen Regierung zu unterhalten, und in diesem Sinne auch auf die Bevölkerung einzuwirken, trotz verschiedener Gewalttaten, die in letzter Zeit vorgekommen sind, und trotz des Mißtrauens, mit dem die Türken im allgemeinen den Armeniern begegnen. Letzthin wurde der Botschaft von Aufstandsversuchen der Armenier in der Provinz Bitlis und gelegentlichen Ausschreitungen gegen die bewaffnete Macht berichtet; vermutlich handelt es sich um vereinzelte Vorgänge und um keine organisierte Bewegung. Ebenso sollen bei einer Haussuchung in Kaissarié Bomben und Chiffrebücher gefunden worden sein. Demgegenüber versichern nüchtern denkende Armenier, daß die türkischen Armenier sich stets korrekt verhalten würden und an keinen Aufstand dächten; allerdings würden sie es auch nicht bedauern, wenn Landesteile mit armenischer Bevölkerung in russische Hände fielen.

Die türkische Presse redet seit langem nicht mehr von den armenischen Angelegenheiten, und die hiesige armenische Presse vermeidet ängstlich alles, was bei der strengen Zensur Anstoß erregen könnte, sodaß die Mißstimmung, die durch das Mißtrauen der Türken und einzelne Maßregeln, wie z.B. die Zurückstellung der Reformen in den östlichen Provinzen, hervorgerufen ist, nicht zum Ausdruck kommt.

Von einer Verwertung der eingesandten russischen Zeitungsartikel in der deutschen Presse dürfte besser abzusehen sein,1 schon um nicht die türkischen Kreise noch mehr gegen die Armenier zu verstimmen.


Wangenheim


1 Handschriftliche Anmerkung: Sehr richtig.



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