1915-03-16-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 19965
Zentraljournal: 1915-A-9652
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 03/16/1915 08:10 PM
Telegramm-Ankunft: 03/17/1915 03:40 AM
Praesentatsdatum: 03/17/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 652
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 652.

Pera, den 16. März 1915

Im Anschluß an Telegramm Nr. 632.

Als ich gestern im Gespräch mit Mqs. Garroni die Bemerkung fallen ließ, Deutschland würde etwaige Friedensvorschläge unserer Gegner mit Interesse entgegennehmen, erwiderte mein Kollege, er habe sich, wie ich wisse, aufrichtig darüber gefreut, daß es Deutschland gelungen sei, die Türkei an sich zu fesseln. Gleichzeitig aber habe er bedauert, daß Deutschland die Türkei in den Krieg hineingezogen habe, anstatt sie mobilisiert als Drohung in der Reserve zu halten. Nunmehr seien unsere Gegner, die im Norden keine Erfolge hätten erreichen können, bemüht, ihr erschüttertes Prestige durch den Angriff des schwächsten Punktes, nämlich der Türkei, wiederherzustellen. Die Eroberung Konstantinopels, nebenbei der Hauptstadt einer der kriegführenden Großmächte, würde die erste entscheidende Niederlage der Zentralmächte bedeuten, deren Wirkung auf die Neutralen gar nicht abzusehen sei, obwohl einige neutrale Regierungen jetzt etwas leichtsinnigerweise behaupteten, daß sie ihre Neutralität auch nach der Forcierung der Meerengen aufrechterhalten würden. Keine dieser Regierungen könne vorhersehen, wie die Bevölkerungen auf die vollzogene Tatsache reagieren würden. Auch bezüglich Italiens könne er keine Garantie übernehmen. Vorläufig seien die Meinungen in Italien geteilt. Die Vernünftigen erkennen die Möglichkeit einer Bedrohung der italienischen Weltmachtstellung durch ein Festsetzen Rußlands in den Meerengen, andere lauschten hingegen auf die Lockungen Englands, welches Italien eine Beteiligung an der Aufteilung der Türkei verspräche, wenn es jetzt auf die Seite der Ententemächte in den Krieg eingreife. Er wisse natürlich nicht, ob die Dardanellen dauernd Widerstand leisten könnten; das hänge von dem Munitionsnachschub, also von der Haltung Rumäniens ab. Im allgemeinen aber schien es ihm im Interesse Deutschlands zu liegen, jetzt ernsthaft die Frage zu prüfen, ob Deutschland seinen Besitzstand in der Türkei nicht besser dadurch wahren könne, daß es die Schließung eines Separatfriedens oder wenigstens eines Waffenstillstandes zwischen der Türkei und den Ententemächten begünstige. Selbstverständlich würden die Türken, an deren Loyalität er nicht einen Augenblick zweifle, ein solches Spezialabkommen nur mit dem vollkommenen Einverständnis Deutschlands schließen. Vorbedingung sei, daß die Dardanellen gesperrt und die deutschen Offiziere in der Türkei blieben. Es erschiene ihm nicht ausgeschlossen, daß England und Frankreich sich den Schwierigkeiten, in welchen sie sich gegenüber Rußland befänden, durch eine Verständigung der gedachten Art zu entziehen bereit wären. Aus den Gesprächen über die Dardanellen unter der Beteiligung Deutschlands könne sich vielleicht die Basis für einen allgemeinen Frieden ergeben.

Die Änderung der Sprache meines italienischen Kollegen, der noch vor einigen Tagen einen Separatfrieden mit Rußland befürwortete, läßt vermuten, daß derselbe inzwischen neue Instruktionen von seiner Regierung erhalten hat. Italien liegt es offenbar daran, durch die Ausscheidung der Dardanellenfrage der Notwendigkeit überhoben zu werden, seiner Politik eine bestimmte Richtung geben zu müssen.

Sehr auffallend ist, daß der Legationssekretär der amerikanischen Botschaft Herr Philip, welcher erst kürzlich aus Paris und London zurückkehrte, Herrn von Kühlmann Ideen entwickelte, die ganz denjenigen des Mqs. Garroni entsprechen. Herr Philip meinte, daß England schließlich vielleicht sogar die Fortdauer der Dardanellensperre und das Verbleiben der deutschen Offiziere in der Türkei akzeptieren würde.

Nach allem könnte ein italienisch-amerikanischer Vermittelungsversuch mit dem geheimen Einverständnis der englischen Regierung vorliegen.


[Wangenheim]



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