1915-06-12-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/169
Botschaftsjournal: A53a/1915/3574
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Aufzeichnung des Generalkonsuls in der Botschaft Konstantinopel (Mordtmann)





Der armenische Patriarch, mit dem ich am 10. d.Mts. eine längere Unterredung hatte, sprach sich sehr bitter über die Repressivmaßregeln der Regierung gegen die Armenier aus.
Die Massendeportation der Armenischen Bevölkerung aus ihren Wohnsitzen, die sie seit undenklichen Zeiten inne gehabt, sei ebenso schlimm wie ein Massacre, die zur Auswanderung gezwungenen Handwerker, Bauern und kleinen Leute würden aller Subsistenzmittel beraubt, so daß sie dem Elend, dem Hungertod preisgegeben seien und sich an den ihnen zugewiesenen neuen Wohnsitzen gar nicht ansiedeln könnten. In Mesopotamien, wohin man einen Teil von ihnen verschickt habe, seien sie von wilden Beduinenstämmen umringt, der Boden selber zur Kultur völlig ungeeignet. Im Wil. Konia hätte man sie in die ungesundesten Gegenden (Kaza Sultanié) verpflanzt. Das Patriarchat sei außer Stande, die Notleidenden ausreichend zu unterstützen; dazu fehlten die Geldmittel, indem in folge gewisser Maßregeln der Regierung die Einnahmen beträchtlich zurückgegangen seien.

Alle seine Vorstellungen bei der Pforte seien vergeblich gewesen.

Als ich das Gespräch auf die Ereignisse in Van brachte, behauptete er, daß die Erhebung der dortigen Armenier durch die Türken provoziert sei. Als im Bezirk Schatack Unruhen ausgebrochen waren, hätten sich der bekannte Isok Ohan und ein anderer Führer angeboten, nach Schatack zu gehen und die dortigen Armenier zu beruhigen. Als sie [sich] dann in Begleitung des Gendarmeriekommandanten von Van dahin begaben, wurden sie im ersten Quartier umgebracht. Gleichzeitig ließ der Vali in Van selber den Deputierten Avramian beseitigen, (ähnlich s.Z. vom Konsulat Erzerum berichtet). Auch hätten die türkischen Freiwilligen beim Einbruch in das Russische Gebiet die sämtlichen armenischen Dörfer zerstört und die Einwohner niedergemacht.

Der immer wiederkehrende Refrain lautet: wenn einzelne türkische Armenier sich des Landesverrats schuldig gemacht, sollten sie bestraft werden, dagegen sei nichts einzuwenden, aber die Regierung dürfe nicht die Unschuldigen für die Schuldigen, die Gesamtheit für die Vergehen der Einzelnen strafen.

Schließlich äußerte der Patriarch, daß die Massenverfolgung der Armenier derartig sei, daß es nicht zu verwundern sein würde, wenn sie in der Verzweiflung sich zur Wehr setzten, selbst ohne Aussicht auf Erfolg, „wie ein gequältes Tier, das gegen seine Peiniger ausschlägt“.

Auf meine Frage, was er als Oberhaupt der Gemeinde in dieser Lage zu tun gedächte, erwiderte er, er stehe hilflos da, seine Mittel seien erschöpft. Er sprach mit keiner Silbe von einer weiteren Verwendung unsrerseits; auf meine Mitteilungen über die Bemühungen des kais. Konsuls in Erzerum, das Loos der Ausgetriebenen zu mildern, und ähnliche Schritte unseres Vertreters an anderen Plätzen reagierte er nicht.

Der Gesamteindruck, den ich empfing, war der,

1. daß der Patriarch als Ziel der armenierfeindllichen Politik der Pforte nicht nur die zeitweilige Unschädlichmachung der armenischen Bevölkerung, sondern ihre Austreibung aus der Türkei und bzw. ihre Ausrottung betrachtet und keine friedliche Lösung mehr erhofft;

2. daß er sich von unserer Verwendung keinen Nutzen verspricht;

3. daß er nach wie vor - und wie wohl alle Armenier, soweit sie über die Vorgänge unterrichtet sind - der Überzeugung ist, daß die von Seiten der Armenier vorgekommenen Ausschreitungen durch das Vorgehen der türkischen Behörden hervorgerufen sind.1



1Verwendet in Dok 1915-06-17-DE-003.



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