1915-06-20-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon 96/Bl. 13-16
Botschaftsjournal: 10-12/1915/5016
Erste Internetveröffentlichung: 2010 April
Edition: Deportationsbestimmungen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Aufzeichnung Botschaft Konstantinopel (Schönberg)




Aufzeichnung Schönberg 20.06.1915

H. Antréassian wollte sich zunächst bedanken für die Geldspende anläßlich des Wohltätigkeitskonzertes am 23. Mai für die Hinterbliebenen der türk. Gefallenen.

Außerdem bittet er die Ksl. Botschaft, sich bei den zuständigen Behörden für die beiden, in den Anlagebriefen näher bezeichneten Herren, welche ohne vorherige Untersuchung nach Angora verbannt und dort unter Polizeiaufsicht gestellt seien, zu verwenden. Die Genannten hätten in Deutschland studiert und wären vollkommen deutsch gesinnt.

H. Antréassian bittet um Mitteilung des Erfolges dergl. Schritte nach der Direktion der Anatol.[ischen] Eisenbahn.


Anlage 1
Skutari, den 20. Juni 1915.

Exzellenz,

Mit Gegenwärtigem gestatte ich mir Euer Exzellenz die nachfolgende Bitte ergebenst zu unterbreiten.

Vor ca. zwei Monaten wurde mein Mann, Herr Dr. phil. Armenag Parseghian, nach unserer Revier-Polizei in Skutari gerufen, von wo er nicht wieder nach seiner Wohnung zurückkehrte. Später erfuhr ich, dass er zusammen mit anderen Herren nach Tschangeri, in Vilayet Angora, geschickt worden ist, wo er zwar einige Freiheiten geniesst, es ist ihm jedoch von der Aufsicht führenden Polizeibehörde verboten, die Stadtgrenze zu überschreiten. Diese Massregel ist deshalb ganz ungerechtfertigt, weil ich versichern kann, dass sich mein Mann in keiner Weise politisch beschäftigt oder sich durch irgendwelche regierungsfeindliche Handlungen schuldig gemacht hat. Nach Beendigung seiner Studien und Erwerbung des Dr. phil. Titels von der Leipziger Universität, war er in den letzten Jahren hier als Lehrer für deutsche Sprache und Wissenschaften tätig und zwar zuletzt am Robert College in Rumeli-Hissar. Die Verbannung meines Mannes kann daher nur auf einen reinen Verdacht vorgenommen worden sein und zweifellos muss er freigelassen werden, sobald eine gerechte Untersuchung eingeleitet worden ist. Euer Exzellenz werden meinen Kummer und Herzeleid verstehen, wenn ich mitteile, dass wir kaum 1 Jahr verheiratet waren und unser Eheglück in solcher plötzlicher Weise zerstört wurde. Da nur eine Empfehlung von einflussreicher Seite die Prüfung dieser Angelegenheit bei der zuständigen Behörde veranlassen oder beschleunigen kann, so habe ich meine ganze Hoffnung auf Euerer Exzellenz gütigste Unterstützung gesetzt. Von Herzen werde ich Euer Exzellenz mein Lebenlang dankbar sein, wenn durch Fürsprache an geeigneter Stelle die Rückkehr meine Mannes ermöglicht wird, damit er hierher zurückkehrt und wie bis jetzt, auch fernerhin als Vorarbeiter deutscher Kultur tätig bleiben kann.

In der sicheren Hoffnung, dass meine Bitte von Euer Exzellenz mit Wohlwollen aufgenommen wird, sage ich meinen tiefgefühltesten Dank und verbleibe


mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung
ganz ergebenst
Aroussiag Parseghian geb. Panossian.

Seiner Exzellenz Freiherr von Wangenheim, Kaiserlich Deutscher Botschafter, Konstantinopel.


Anlage 2
Skutari, den 20. Juni 1915.

Exzellenz!

Die Unterzeichnete erlaubt sich Eurer Exzellenz die nachstehende, herzliche Bitte zu unterbreiten, in der sicheren Hoffnung, dass Eurer Exzellenz bekannte Güte einer alten, sorgenden Mutter in ihrer Not Beistand und Hilfe leisten wird.

Mein Sohn, Krikoris Vartabed Balakian, Archidiakonus in Diensten der armenisch-gregorianischen Kirche, ist vor ca. zwei Monaten in Skutari in meiner Wohnung von der türkischen Sicherheitspolizei festgenommen und ohne Vernehmung und irgend welche Untersuchung nach Tschangeri, in Vilayet Angora, verbannt worden. Mein Sohn, der seine Schulausbildung grössenteils in Deutschland genossen hat, war im Laufe des verflossenen Jahres zur Erweiterung seiner theologischen Kenntnisse an der Universität Berlin matrikuliert und mußte infolge des Kriegs-Ausbruches leider hierher zurückkehren. Ich versichere Eurer Exzellenz, dass mein Sohn nie politischen Parteien angehört oder sonst irgend welche Tätigkeit gegen die Regierung oder gegen die Interessen des Landes gehabt hat, sondern hat seine ganze verfügbare Zeit seinen wissenschaftlichen Studien gewidmet. Auch die in meiner Wohnung vorgenommene Durchsuchung hat keinerlei belastendes Material zu Tage gefördert. Aus diesem Grunde werden Eurer Exzellenz meine Vermutung als zutreffend finden, dass die besagte Handlung der Polizeibehörden zweifellos ein bedauerliches Versehen darstellt.

Da mir bei den gegenwärtigen Verhältnissen leider nicht möglich ist, in dieser Sache an zuständiger Stelle gehört zu werden, bitte ich inständig um Eurer Exzellenz gütige Unterstützung. Eine Empfehlung und Fürsprache Euer Exzellenz bei der zuständigen Behörde, würde sicherlich erwirken, dass das Versehen, das einem Manne zugestossen ist, der als seine Lebensaufgabe betrachtete, stets und überall in seinem Lande für deutsche Art und Kultur einzutreten, bald wieder gut gemacht wird. Eine Anzahl Herren, welche ebenfalls nur auf einen Verdacht hin festgenommen und verbannt worden waren, sind in der letzten Zeit, dank Empfehlungen und Fürsprache von einflussreicher Seite, von der Sicherheitspolizei vernommen und als unschuldig bereits freigelassen worden. Ich bin überzeugt, dass mein Sohn durch Euer Exzellenz gütige Hilfe ebenfalls seine Freiheit erlangen, wodurch einer sorgengebeugten Mutter zu ihrem Glücke verholfen wird.

In dieser sicheren Erwartung und für Eurer Exzellenz Wohlwollen und Güte herzlichst dankend, verbleibe ich


mit vorzüglicher Hochachtung
ganz ergebenst
Warwar Balakian.

Seiner Exzellenz Freiherr von Wangenheim, Kaiserlich Deutscher Botschafter, Konstantinopel.


Anlage 3

[Antwort Botschaft an Antréassian 29.06]


Mit Bezug auf die von Ihnen hier überreichten Eingaben der Frau Aroussiag Parseghian und der Frau Warwar Balakian teile ich Ihnen mit, daß Herr Dr. phil. Armenag Parseghian voraussichtlich in nächster Zeit hierher zurückkehren dürfte, und die Angelegenheit des Herrn Vartabed Kirkor Balakian dem Ministerium des Innern zu wohlwollender Berücksichtigung empfohlen worden ist.

Neurath
[Notiz Mordtmann 28.06.]

nach R. mit Djambulad 28.6.



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