1915-07-13-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14086
Zentraljournal: 1915-A-21962
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 07/21/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 443
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 443
Pera, den 13. Juli 1915

1 Anlage.

Fräulein Frieda Wolf Hunecke, aus Rischenau (Lippe-Detmold), war bis zum 28. April d.Js. bei der ehemaligen Englischen Missionsstation in Everek bei Kaissarié beschäftigt, wurde dann von der Ortsbehörde ausgewiesen, weil sie verbotene Waffen von Armeniern verborgen hatte, und zog zunächst in das Deutsch-Amerikanische Waisenhaus in Zindjidere bei Talat, von wo sie Anfang Juli hierher gekommen ist, nachdem ihr durch Verwendung der Kaiserlichen Botschaft der Mutessarrif von Kaissarié die Abreise gestattet hatte; von hier ist sie dann vor wenigen Tagen in ihre Heimat zurückgekehrt.

Kurz vor ihrer Abreise hat sie der Kaiserlichen Botschaft die in Urschrift beigefügte Schilderung ihrer Erlebnisse in Everek eingereicht; wie der Vermerk am Kopfe besagt, hat sie eine Abschrift davon der hiesigen Amerikanischen Botschaft mitgeteilt. Ferner ist festgestellt worden, dass der Armenische Patriarch schon vorher Kenntnis von einzelnen Teilen dieses Berichtes hatte, und es ist danach vorauszusehen, dass die Erzählungen von Fräulein Hunecke, weitere Verbreitung finden werden.1

Die Bombenfunde von Everek sind im diesseitigen Berichte vom 8. Mai Nr. 286 2. erwähnt worden. Dass diese Sache nicht so harmlos ist, wie Fräulein Hunecke sie darstellt, liegt auf der Hand; dass sie selber auf Bitten von Armeniern einen Mauserrevolver und eine Flinte - angeblich eine Jagdflinte - bei sich versteckt und später bei der Beseitigung dieser beiden Waffen geholfen hatte, hat sie in einem früheren Briefe an die Kaiserliche Botschaft offen eingestanden.


Wangenheim


Anlage

Was man erlebt. 3

Es war am 11. Febr.1915 als in der Hand eines im Sommer 1914, wenn ich nicht irre, kurz vor Beginn d. Krieges von Amerika zurückgekehrten nichtsnutzigen Armeniers eine Bombe platzte. Wie ich an zuständiger Stelle erfuhr durch Reg. Beamte etc. war er im Begriff die betr. Bombe zu machen, denn wenn sie fertig gewesen, wäre die alte Hütte in der er hauste in die Luft geflogen & wenn er ein Meister gewesen wäre, wäre sie ihm nicht in der Hand geplatzt. Der junge Mann erlag seinen Wunden nach etwa 6 Stunden.

Nun, war es natürlich Pflicht der Regierung die Sache nachzuforschen & stellte es sich mit der Zeit heraus, daß dies die 4. Bombe sei, die er gemacht, man fand aber außerdem in Everek noch cirka 70 Bomben aus Abdul-Hamids Zeiten, cirka 23 Badmann [korrigiert:Batman.] (à 6 Okka) Blei, ein Petroleum-[nicht entziffert] mit Pulver & vielleicht 60 - 100 Mauser-Gewehre & Revolver. All diese Bomben befanden sich aber nur bei den Hoûtschakians & Troschakians. Die Beamten suchen ja nun alles, wie sie es eben auch in meiner Sache machten, 70 x zu vergrößern & wollte man in Everek 5000 Mauser Gewehre und Revolver finden, auch sollte der junge Mann 95 Bomben gemacht haben etc. Dies sagte man mir bei Gelegenheit von Seiten der Regierung vor etwa 3 Mon. - 4 Wochen nach Beginn der Sache - doch war hernach gar keine Rede mehr davon. Als ich bei Bewerbung um einen Teskeri zur Reise nach hier mit dem Mütesarif in Cäsarea sprach, machte er mir die oben genannten Angaben, daß man nämlich 80 B. in Everek & 200 in Cäsarea fand. Auch zeigte er mir eine Photographie von den gefundenen Waffen in Everek & eine von denen in Cäsarea & habe ich die Zahl der genannten Gewehre danach taxiert.4

Wie hat man nun dieses alles gefunden?

Nach den Erfahrungen von 1896, wo das Volk erst entwaffnet und dann hingemetzelt wurde, war es selbstverständlich, daß man das Vorhandensein anderer Bomben etc. leugnete. Doch wurde gleich schon in der ersten Woche ein Mann auf der Straße ertappt, der im Begriff war, 24 Bomben zu vergraben, die scheints zu Abdul Hamids Zeiten gemacht aber zum Teil erst in neuerer Zeit gefüllt & zum Teil völlig leer waren. Bei intensiven Haussuchungen fand man in 2 anderen Häusern je 3 Bomben. Dann wurde der Chaimachan Adil Bey, ein prächtiger Mensch, der entschieden den Mißhandlungen des Volkes von Seiten der rohen Gendarmen entgegenstand versetzt & kam an dessen Stelle ein blutdürstiger Tscherkess, welcher, wo immer es auch war, nicht ruhte, bis er Blut sah.

Eines Tages wurde ich nach einem Hause gerufen & zeigte man mir eine aus dem Gefängnis zum Waschen gesandte Steppdecke, deren eine Seite durch & durch mit Blut besudelt war & zwar in länglichen Streifen, ferner völlig durchnäßte und beschmutzte Kleider. Es war mir ein Rätsel, was man im Gefängnis mit dem Gefangenen gemacht haben mochte. Bin dann aber der Sache auf den Grund gekommen & zwar durch 2 glaubwürdige Personen, die es zum Teil selbst miterlebt.

Der Gefangene wird in einen Stock gelegt (wie zu Zeiten der Römer) zu beiden Seiten stehen je 2 Gendarme & am Fußende 2 die nun abwechselnd, solange sie Kraft haben mit Knüppeln die Fußsohlen bearbeiten. Zu Zeiten der Römer waren 40 das Höchste, doch sollen hier 200, 300, 500 auch 800 Schläge verabfolgt sein. Der Fuß fängt an hoch auf zu schwellen, platzt dann oben drauf durch wiederholte Schläge & spritzt dadurch das Blut weg, der Gefangene wird dann ins Gefängnis zurück geschleppt & von den übrigen Gefangenen ins Bett getragen. Daher die blutige Steppdecke. Da sie scheints durch die anhaltenden Schläge inzwischen bewußtlos werden, wird ihnen zur Wiederbelebung kaltes Wasser über den Kopf gegossen, daher die nassen und schmutzigen Kleider. Am folgenden Tage oder richtiger in der Nacht, denn die Mißhandlungen geschehen sowohl in Cäsarea wie in Everek stets in der Nacht, ging die Sache wieder vor sich trotz Geschwulst und trotz Wunden. Als der Vertreter von Frl. Gerber im Waisenhaus zu Zindgidere (Frl. Gerber ist momentan in Amerika) eines Mauser-Gewehres halber, welches Frl. Gerbers Eigentum war zum Schutz des Waisenhauses vor diebische Überfälle in dortiger Gegend, im Gefängnis zu Cäsarea war (während ich in Zindgidere war), waren dort ebenfalls 30 Gefangene mit vollständig zerschlagenen Füßen, zu denen teilweise schon der Brand gekommen & die infolgedessen zum Teil schon abgenommen worden waren, oder abgenommen werden mußten.

Diese waren nun teilweise in Everek so mißhandelt worden & war das Kriegsgericht nach Cäsarea gesandt, teilweise auch durch den grausamen Mütesarif in Cäsarea. Letzterer wurde, als ich 3 Wochen in Zindgidere war, wie es schien strafversetzt auf einen kleineren Posten.

Unter dem neuen Mütesarif wurde es, wie gesagt wurde, nur heimlich fortgesetzt, sobald der Mütesarif sich sehen ließ, wurden die Gefangenen, die mißhandelt werden sollten, fortgeschickt. Mir schien jedoch, als ob er es wohl wußte, aber nicht wissen wollte. Nach 2 Wochen hatte man dann aber doch noch mal einen jungen Mann so verhauen, daß er nach 5 Min. starb. (6 Wochen früher war in Tomara einem von Everek 6 Std. entfernt liegenden Orte ein Mann ebenfalls nach den Mißhandlungen gestorben). Der Erstere lag neben einem mir bekannten ehrenwerten Priester, dem Vertreter des Episkopas in Cäsarea, auf dem Dünger im Stall, woselbst die Mißhandlungen vorgenommen wurden, der Priester hat scheinbar nach seiner eigenen Aussage noch etwa 3 Tage auf dem Dünger gelegen. Nach diesem Fall ist nach Aussagen von Augenzeugen in Cäsarea nie wieder der Stock in Gebrauch gekommen. Während es in Everek durch den grausamen jähzornigen Chaimachan (Seki Bey) fortgesetzt wurde.

Außer der Bearbeitung der Fußsohle sind bei verschiedenen Menschen handgroße Stellen auf der Brust mit glühenden Eisen gebrannt worden. Einem Schmied, der in Verdacht stand, die Hülsen der Bomben geschmiedet zu haben, dann aber freigelassen wurde, verbrannte man die Fußzehen mit Schwefelsäure (Kerab genannt), dessen Wunden ich nachher sah. Neuerdings bläst man von unten den Bauch auf und tritt, dann mit den Füßen drauf herum, stopft ihnen Dünger in den Mund, auch soll man die Fingernägel abtrennen oder Nadeln drunter stecken. Diese letzteren 3 Arten von Mißhandlungen konnte ich nicht mehr auf die Wahrheit hin prüfen, doch ist es nicht unwahrscheinlich.

Vor etwa 4 Wochen kam die Kunde, als Folge der Vollmacht für die Platzkommandanten, daß der Chaimachan in Everek in einem Tal zwischen Everek & einem 2 Std. entfernt liegenden Ort Indschern 10 - 18 Personen, die er nach Everek zur Untersuchung bringen wollte, erschossen habe, unter der Angabe, daß sie hätten fliehen wollen, dabei waren die Leute unbewaffnet per Esel, während der Chaimachan bewaffnet zu Pferde war mit den Gendarmen. Kurz darauf hat er die sämtlichen Christen in Indschern binnen 3 - 4 Std. ausgewiesen, darunter hochschwangere Frauen, die dann am Wege geboren hatten & die Kinder aus Verzweiflung ins Wasser geworfen. Hernach hat er von den Weggeführten noch Männer zurückholen lassen & wie viele nun unter der Hand hingemordet sind & werden, läßt sich nicht nachweisen. Möchte noch nebenbei bemerken, daß die Indschern Leute sehr unwissend sind, so unwissend wie ich kaum je ein Dorf angetroffen habe & glaube ich niemals, daß sich auch nur ein einziger widersetzt hat. Zudem habe ich niemals gehört, weder von Christen noch von Türken, daß sich in ds. 4 - 5 Mon. auch nur einer widersetzt hat, außer daß jetzt der Chaimachan dies angiebt um seine Taten zu decken. Dabei sagt er aber selbst ”es kann mir niemand widerstehen.” Als ich ihm in Liebe Vorstellungen gemacht hatte, bezüglich der blutigen Steppdecke, hatte er nachher geäußert ”Wenn das Gesetz es verbietet & der Padischah es verbietet, so werde ich es trotzdem fortsetzen & tun, was ich will.”

Als ich vor 3 Wochen in Everek meine Sachen packte, eilten 2 Gendarme mit einem von den ausgewiesenen & zurückgeholten Indschern-Leuten nach dem Berge um angeblich einen Revolver zu suchen. Die Gendarmen kamen allein zurück mit der Angabe, daß der junge Mann geflohen sei. Dabei waren die Füße des jungen Mannes dick geschwollen & ritt ders. auf einem Esel, während die Gendarmen zu Pferde waren.

Einige Tage vor meiner Abreise begrub man einen jungen Mann aus dem Gefängnis, wie dieser gestorben, liegt im Dunkel. Die Gendarmen dort sind durch den Chaimachan mit der Zeit Bestien geworden, denen das Gefühl scheints ganz vergangen ist.

Bis Mitte April war ich der Meinung & äußerte dies auch dem Volke gegenüber, daß zur Selbstverteidigung wirklich ein Revolver genüge, als ich dann aber von Augenzeugen allerlei aus den Masakres von 1896 in Cäsarea erfuhr, erkannte ich, daß in solchen Zeiten ein Revolver nichts nützt. Es sind da nicht 2 & 3 Mordgierige in ein Haus eingedrungen, sondern man ist, wie gesagt wurde kompanieweise eingedrungen zu cirka 300 Mann. Wenn es nun auch nur der 4. Teil war, so konnte doch ein Revolver nichts ausrichten. Man hat auch schon in einem von den beiden Masakres von 1896 od. 1909 Bomben gehabt. Denn ein Haus ist dadurch verschont geblieben, daß der Eigentümer dess. auf dem Dache mit einigen Bomben bereit stand & sie der mordgierigen Menge zeigte, worauf sie sich zerstreuten. Auch ein amerikan. Missionar, der seinerzeit in Cäsarea war, bestätigte es, daß er damals schon vom Vorhandensein der Bomben gehört.

In Everek sollten nach meiner Abreise die Ausweisungen vor sich gehen. In Konia traf ich eine frühere Mitarbeiterin von Charput, Schw. Laura Möhring, die von Bagdad kam & erzählte mir von dem namenlosen Elend der Ausgewiesenen in der Wüste, wo sie ohne Brot und ohne Wasser waren. In einem Chan traf sie einen Prediger mit seinen Dorfbewohnern, die der vielen Kranken halber für einige Tage dort geblieben waren, dieser hatte erzählt, daß von seinen Leuten im Durchschnitt täglich fünf stürben. In den ersten Tagen soweit die mitgenommenen Eßvorräte reichten, ginge es, dann aber würde es von Tag zu Tage trostloser, besonders im Innern der Wüste, woselbst das Volk zugrunde gehen müsse. Einige Waisenmädchen der Deutschen aus Marasch seien darum dagewesen und hatten verzweifelt zu Schw. Laura gemeint: ”Warum läßt Gott dies zu.” Der deutsche Konsul aus Aleppo schätzt die Zahl der Ausgewiesenen auf 30000. 5000 Seitunlis sind nach dem ungesunden Sultani gebracht in die Gegend von Conia. Dort hat die Reg. anfangs etwas Brot gegeben, nachdem dies ausgegangen, soll das Elend dort entsetzlich sein. Dann sind nach Aussagen von Dr. Dad Konia die Reichen von dort ebenfalls nach Sultani ausgewiesen, die dann für eine Zeit soweit ihr Geld reichte, ihr Brot mit den Armen teilten. Dies war natürlich auch nur für eine Zeit. Nun hatte Dr. Dad bei der Reg. um Erlaubnis gebeten, den Hungernden Brot geben zu dürfen, worauf der Wali geantwortet, daß die Reg. dafür sorge und die Leute nicht bedürftig wären!

Die Bestechung & Aussaugung der Bevölkerung von Seiten der Beamten & Unter-Beamten scheint in Cäsarea mehr denn zu Abdul Hamids Zeiten im Schwange zu sein. Bezüglich der Beamten habe ich keine direkte Beweise zur Hand, doch wurde dies von einem ehrlichen türkischen Beamten bestätigt, der all den Gräueltaten entgegenstand & sich dahin äußerte ”Nä sàn adersin, ben birlirim, happisir tejidschi dirler”! Die höheren Beamten machen es nur nicht so öffentlich, sondern unter der Hand durch Vermittlungs-Personen. Da nach dem Gesetze unsinnigerweise, wie mir gesagt wurde, beide Teile strafbar sind, d.h. der Nehmer & der Geber, kommt es nicht ans Tageslicht. Habe es auch lange nicht glauben wollen, weil man in Everek nichts davon hörte, als ich vor 3 Wochen wiederum dort war erkundigte ich mich direkt danach, man konnte mir da nur einen einzigen Fall nennen, wo man 5 Lira genommen aber trotzdem weiter mißhandelt hatte. In Zindgidere kam ich der Sache weiter auf den Grund, durch einen türk. Arbeiter des Waisenhauses. Charan mußte, als ich dort war zum Militär, er wollte jedoch gern frei werden, die Unterbeamten, Onbareb etc. machten ihm Vorschläge, wofür er ihnen ungefähr 1 Lira gab & versteckte sich dann eine Zeit. Diese Comödie hatten sie schon oft gemacht und der arme Charan hatte wohl schon manche Lira gegeben, doch dies mal war der Einberufungs Befehl zum Militär wirklich Tatsache, während es scheints bis dahin nur immer Machenschaften der Unter Beamten war, die Geld verdienen wollten. Charan mußte dann dies mal doch wirklich gehen, nachdem er sich etwa 14 Tage geheim gehalten & soll nun hier in Constantinopel sein. Ein Onbareb von Talbas, der nun schließlich wegen eigenmächtigen Handelns abgesetzt wurde, soll seit Ausbruch des Krieges cirka 100 Lira auf ds. Weise eingesteckt haben.

Als ich vor etwa 2 Monaten nach Zindgidere kam hatte man dort einen besonderen Groll auf Deutschland. Zwei griechische Soldaten, die am Wege gearbeitet hatten, waren erschossen. Der eine hatte 2 Tage Urlaub genommen, da er nun körperlich nicht wohl war & auch, wenn ich nicht irre, seine Wäsche nicht trocken geworden war, es war im Winter, stellte er sich statt nach 2 Tagen nach 4 Tagen wieder ein. Er wurde dann eingesteckt & nach einigen Wochen erschossen. Die Mutter hatte in ihrem Schmerz nach der Erschießung geäußert, ”wenn sie doch wenigstens die 15 Lira wieder heraus geben wollten”, woraus hervor ging, daß die Unter Beamten auch ds. Fall wieder benutzt hatten um Geld zu bekommen. Erst am Tage vor der Erschießung, wovon die Mutter allerdings nichts wußte, hatten sie die Annahme von Lebensmittel, die die Mutter, um ihren Sohn zu retten, außer dem Geld noch immer hinschleppte, verweigert. Das Geld hatte die Mutter natürlich borgen müssen. Nun kamen die Leute zu dem Schluß, was übrigens überall die Meinung war, ”zu Abdul Hamids Zeiten war es nicht so & besser denn jetzt, dies haben sie erst von den Deutschen gelernt.”

Außerdem sagen die Muhamedaner auch zur Entschuldigung ihrer Gräueltaten ”die Deutschen haben es so befohlen”. Die Deutschen befehlen dies & die Deutschen befehlen das! Nach der Meinung der Armenier im Innern hängt ihre Rettung einzig und allein vom deutschen Botschafter ab. Wenn er will, werden sie gerettet und wenn er nicht will, sind sie verloren. Er hat nach ihrer Meinung eine Macht in der Türkei, wie Kaiser Wilhelm in Deutschland.

Möchte hierbei noch bemerken, daß im Innern der Befehl die Waffen abzuliefern viel später gegeben wurde wie hier in Constantinopel. Es war schon lange in den Blättern geschrieben worden, als man dort die Plakate anschlug. War es nun, um die Leute noch etwas länger quälen zu können, wenn man mit der Peitsche in die Häuser eindrang und unbarmherzig auf alles loshaute, was ihnen in den Weg kam, oder hatte es einen anderen Grund? Jedenfalls zitterte man, wo sich nur die Gendarme sehen ließen & viele wurden durch die Angst aufs Krankenlager geworfen, ich selbst war ja am Ende meiner Kraft, da ich als einzige Deutsche mitten im Volke lebte & dadurch der Einfluß auf mich um so stärker war.

Wenn wir Deutsche als Freunde der Türkei zu allen diesem stille schweigen dann sind wir die Barbaren von denen die Zeitungen schreiben. ”Sage mir, mit wem Du verkehrst und ich will Dir sagen, wer Du bist.”


Fr. W. H.

P.S. Da ich nun trotz alledem die Muhamedaner lieb habe, nicht, weil sie etwa tugendhaft wären, sondern weil sie blind und verblendet sind & weil der Heiland auch für sie sein Blut vergoß, möchte ich bitten, diese Mitteilungen mehr vertraulich zu halten.

Die muhamedanische Frau liegt mir in ihrer furchtbaren Unwissenheit sehr am Herzen & ich möchte die türk. Sprache nicht umsonst gelernt haben.

Auch habe ich verschiedentlich Personen genannt, die mir diese Mitteilungen nicht gemacht haben würden wenn sie mir nicht völlig vertraut hätten. Mit diesem Vertrauen trete ich nun auch an die deutsche Regierung heran.


d.O. [die Obige]

[Notiz Mordtmann 13.7.]


Durch die Lektüre der Anl. habe ich die Überzeugung gewonnen, daß Frl. Hunecke außer der Amerikanischen Botschaft auch dem hiesigen Arm. Patriarchen den Inhalt ihres Berichtes vor uns mitgeteilt hat. Der Patriarch hatte mir schon vor einigen Wochen von den Ereignissen in Everek eine Vorstellung gegeben, die sich mit der Schilderung von Frl. H. teilweise wörtlich deckt, und dabei den Namen von Frl. H. erwähnt. Bei späteren Unterredungen erzählte er mir noch andere Dinge, die offenbar aus derselben Quelle stammen; ich habe die entsprechenden Stellen rot angestrichen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß das Patriarchat nicht direkt sondern durch die Amerikanische Botschaft Kenntnis von dem Inhalt des Huneck’schen Berichtes erhalten hat.

Frl. Hunecke ist inzwischen - spätestens am 10. d.Mts. - von hier abgereist; ein ihr an diesem Tage zugehendes Schreiben mit der Bitte sich bei mir einzufinden, ist als unbestellbar zurückgekommen.


1Anmerkung Rosenberg: “Hoffentlich nicht durch die Presse!”
2 A 15877 [1915-05-08-DE-001]
3Anmerkung Wolf Hunecke: Eine Abschrift hiervon erhielt der Amerikanische Botschafter mit Weglassung der letzten Tage bez[üglich] Deutschland.
4Anmerkung Mordtmann: diese Photographien sind angeblich in der [osmanischer Titel - nicht entziffert] reproduziert worden.



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