1915-07-24-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon 96/Bl. 166-169
Botschaftsjournal: 10-12/1915/5932
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Konsul in Adana (Büge) an den Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim)

Bericht



J.No. 654
Adana, den 24. Juli 1915.
1 Anlage

Euerer Exzellenz beehre ich mich unter Bezugnahme auf den Bericht vom 22. d.Mts., J.No. 646, beiliegende Eingabe der armenischen Volksvertretung in Adana gehorsamst zu überreichen.

In Folge der bezüglich der Armenierverfolgung ergangenen Instruktion nehme ich davon Abstand, meinerseits einen Antrag auf Intervention vorzulegen, glaube aber die nachstehenden Ausführungen als Ergänzung der in den Eingaben der deutschen Firmen gegebenen Darstellung dieser anfügen zu dürfen.

Die deutschen Geschäftshäuser heben in erster Linie die materielle Schädigung ihrer Interessen durch die gewaltsame Vertreibung der Armenier hervor und berechnen den ihnen durch diese Massregel entstehenden gegenwärtigen Schaden auf rund 60000 Ltq.

Wie in den Eingaben ausgeführt, wird die Schädigung der deutschen Interessen in materieller Beziehung eine dauernde sein. Ob es überhaupt möglich sein wird, künftighin in einer das deutsche Geschäft befriedigenden Weise weiter zu arbeiten, ist ohne weiteres durch die Erfahrungstatsache zu beantworten, dass das europäische Geschäft in einem mohammedanischen Lande beinahe ausschliesslich mit dem christlichen Element und durch dasselbe geführt wird.

Es ist keine Frage, dass durch die drakonische jetzt zur Ausführung kommende Massregel nicht nur die Nation der Armenier sondern das christliche ottomanische Element überhaupt derartig beeinflusst oder richtiger in Bestürzung versetzt wird, dass die gesamte christliche Bevölkerung in der Türkei in ihrem Zutrauen zur Regierung erschüttert und damit bis zu einem gewissen Grade die Voraussetzung für Weiterbestehen oder gar Weiterentwickelung des Handels geradezu zerstört wird.

Ob sich die jungtürkische Regierung der ganzen Tragweite der von ihr verfügten Massnahme, welche, wenn durchgeführt, nicht weniger und nicht mehr als den gewaltsamen Niedergang der Provinz bedeutet, in vollem Masse bewusst ist, darf kaum bezweifelt werden. Es scheint aber, als ob dieses immerhin recht düstere Bild der Zukunft eines ganzen Landes bei der Verfügung der Austreibung der Armenier gegenüber der Absicht zurückgetreten ist, sich gegenüber einem von ihr anscheinend gefürchteten Element durch dessen allmähliche Vernichtung zu decken. Jedenfalls ist die aus der militärischen und politischen Lage herangezogene Begründung und Verteidigung der Armenieraustreibung bei sachgemässer Prüfung der Verhältnisse nicht aufrecht zu erhalten.

Wenigstens, soweit die Verhältnisse Adanas in Betracht kommen, - wo nichts militärisch Wichtiges auszuspionieren ist – ist der Verdacht armenischer Spionage lediglich eine nichtssagende Redensart. Es bestehen hier auch keine geheimen oder revolutionären armenischen Verbände oder ähnliches. Waffen sind vereinzelt bei Armeniern gefunden worden, was natürlich gegen sie als Beweismaterial vorgebracht wird. Bei Mohammedanern würde man ganz andere Mengen verbotener Waffen gefunden haben, die man selbstredend aber in keinem Falle beschlagnahmen wollte, um die Leute nicht des notwendigen Handwerkzeugs zu Massakers zu berauben. Ueberhaupt darf von den Armeniern Adanas gesagt werden, dass sie in Anbetracht der grausamen Behandlung, welcher sie systematisch ausgesetzt waren und jetzt wieder sind, eine durchaus hinreichend loyale Gesinnung an den Tag legen. Mehr zu verlangen, würde unbillig sein.

Bei der Eigentümlichkeit der zur Zeit zwischen dem Deutschen Reich und der Türkei bestehenden Beziehungen ist der öffentlichen Meinung die Auffassung geläufig, dass türkische Massnahmen mit diesseitiger Zustimmung geschehen, und es wird daher eine von den Türken getroffene das Volk besonders tief berührende Massregel ohne weiteres als eine auf deutscher Billigung oder gar Veranlassung beruhende Verfügung angesehen. Ob aus dieser in den weitesten Kreisen als ganz selbstverständlich angenommenen moralischen Mitverantwortlichkeit für die diesseitige Politik eine Verpflichtung zur Intervention – falls die Möglichkeit einer solchen nicht überhaupt durch die Verhältnisse ausgeschaltet ist – abzuleiten ist, darf ich Euerer Exzellenz gehorsamst überlassen. Die Eingaben der deutschen Firmen sind jedenfalls von der Auffassung der Möglichkeit eines diesseitigen Einschreitens beherrscht. Obwohl in ihnen zunächst nur der mater[ielle] Standpunkt zu Worte gekommen ist, ist doch selbstverständlich, dass hinter den rein materiellen Interessen, welche unzweifelhaft direkt bedroht sind, andere mit dem Deutschtum zusammenhängende Interessen die Bitte um Intervention besonders dringend haben erscheinen lassen.

Was speziell Adana angeht, so wird das Bild der Stadt nach der Vertreibung der Armenier ein überaus trauriges und ungünstiges sein und der Platz für Betätigung europäischer, also auch deutscher Zwecksinteressen nicht mehr die gleiche Möglichkeit bieten. Vielleicht sogar wird die Provinz, wenn nicht alles trügt, in beschleunigtem Tempo von dem christlichen Teil der Bevölkerung verlassen werden und damit überhaupt alle die Bedingungen und Voraussetzungen entfernt werden, auf deren Stärkung und Kräftigung gerade der diesseitige Wunsch gerichtet gewesen ist.

Der Missionsleiter von Dobbeler teilt mir soeben mit, dass das Deutsche Waisenhaus in Harunije auf Befehl der Regierung geschlossen worden ist.


Büge

Anlage
Adana, d. 24. Juli 1915

Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Deutschen Konsul Herrn Dr. E. Büge, Adana.

Im Namen der hiesigen armenischen Gemeinde erlauben wir uns Euer Hochwohlgeboren Folgendes zu unterbreiten und Ihren gefälligen Beistand zu erbitten.

Die türkische Regierung hat vor einigen Monaten die Verfolgung der Armenier eingeleitet. Sie hat zuerst mit der Schließung der armenischen Schulen begonnen und dann die Verbannung der Mehrzahl der Armenier nach Mesopotamien angeordnet. Bis jetzt haben die Bewohner vieler Ortschaften ihr Hab und Gut verlassen und in fremde Gegend auswandern müssen. Dieselbe Gefahr droht auch den Armeniern der Städte Adana, Tarsus und Mersina.

Die Gründe der Verfolgung und der Verbannung sind den Armeniern nicht bekannt. Diese leisten der türkischen Regierung keinen Widerstand und dulden alle ungerechten Handlungen und die harten Maßregeln.

Nicht nur die Familienväter, sondern auch die Frauen und Kinder, darunter schwache und kranke Personen werden in entfernte Gegenden verbannt, wo sie weder Unterkunft noch Unterstützung bekommen.

Alle Maßregeln der Regierung deuten daraufhin, daß sie alle Mittel anwenden will, um die Armenier in der Provinz Adana zu vernichten.

Das wirtschaftliche Leben dieses Landes ist so eng mit den Armeniern verbunden, daß durch ihre Verbannung eine wirtschaftliche Krise, folglich auch der wirtschaftliche Ruin des Landes herbeigeführt wird. Außerdem entsteht dadurch eine tiefe Kluft zwischen der mohammedanischen und christlichen Bevölkerung, die diese beiden Elemente des osmanischen Volkes für längere Zeit von einander trennen und somit auch für die Zukunft ein friedliches Zusammenleben und ein gesundes Zusammenwirken unmöglich machen wird.

Die weitere Folge der Verbannung und Verfolgung der Armenier wird die Schädigung der deutschen Handels- und der Erziehungsanstalten sein.

Die Armenier haben bis jetzt als Vermittler der deutschen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei gewirkt. Viele Armenier schulden den deutschen Firmen und Banken beträchtliche Summen. Die deutschen Institute werden nicht nur unmittelbaren Schaden haben, sondern sie werden auch ihre Abnehmer und Vermittler verlieren.

Auch die deutschen Erziehungsanstalten werden den größten Teil ihrer Schüler und Zöglinge verlieren, was auch wahrscheinlich die Schließung mancher Anstalt herbeiführen wird.

Alle diese Punkte bringen wir ergebenst Euer Hochwohlgeboren zur Kenntnis und bitten inbrünstig die Vermittelung der Hohen Kaiserlich Deutschen Regierung bei der türkischen Regierung veranlassen zu wollen, damit dieser gesetzwidrigen, der Ehre und Würde eines Staates nicht entsprechenden Handlung ein Ende gemacht wird.

Aus diesem Anlaß beehren wir uns für Euer Hochwohlgeboren menschenfreundliche Tätigkeit unseren ergebensten Dank auszusprechen.

Hochachtungsvoll und ergebenst

Im Auftrage der Armenier Adana’s:


M. Boyadjian
A. Aghazarian
Hz. Jehalian



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