1915-07-31-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14087
Zentraljournal: 1915-A-24524
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 08/20/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: K. No. 82/B. No. 1665
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Konsul in Aleppo (Rößler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



K. No. 82 / B. No. 1665
Aleppo, den 31. Juli 1915
Der Katholikos von Sis hatte von Djemal Pascha die Erlaubnis erhalten, einen Priester nach Der-ez-Zor zu entsenden, um sich von dem Zustande der dort angekommenen Verbannten zu überzeugen. Dieser ist jetzt zurückgekehrt und berichtet folgendes:

Die in Der-ez-Zor angekommenen stammen aus Zeitun, Yarpuz, Alabasch, Albistan. Ihre Zahl betrug 15328 von denen 10000 in der Stadt, die anderen in der Umgebung untergebracht sind. Die meisten muessen im Freien liegen. 300 sind den Strapazen des Weges erlegen, 98 im Euphrat ertrunken. Die Verpflegung ist völlig ungenügend. Die Verschickten haben, um sich vor dem Verhungern zu schützen, mehr als 30 ihrer Kinder verkaufen müssen. Um für die Ernährung für den Kopf auch nur 8 Pfennig täglich ausgeben zu können, würde eine Summe von mehr als 500 türkische Pfund wöchentlich erforderlich sein.

Den nach Membidj Verbannten war dort 35 Tage lang für die Ernährung nichts gezahlt worden.

Ich darf hierbei gehorsamst in Erinnerung bringen, dass die Verbannten im Bereich der 4. Armee um die es sich hier handelt, im grossen und ganzen sehr viel besser behandelt worden sind, als die im Bereich der 3. Armee.

In Aleppo sind bis zum 30. Juli 14000 Verbannte eingetroffen, von denen bisher 4000 weitergeschickt worden sind, sodass zur Zeit sich 10000 hier befinden.1

Dabei ist bereits Befehl ergangen, Aintab, Killis und den Küstenstrich des Vilajets Aleppo zu räumen, also wieder 50000 Menschen in das Elend zu stossen. Man kann es nicht anders nennen, denn die Regierung ist organisatorisch der Aufgabe der Verschickung nicht gewachsen. Sie hat jetzt wenigstens den Entschluss gefasst, die neu Verbannten nicht mehr nach Mesopotamien, sondern nach Syrien zu schicken. Es heisst, dass sie zunaechst nach Damaskus befördert werden sollen. Was aber soll dann aus ihnen werden? Die Regierung reisst sie aus Tätigkeit und Verdienst und wird sie sicherlich nicht so lange ernaehren, bis sie neue Arbeit gefunden haben. Für die Stadt Aintab, in der ein grösserer Prozentsatz gebildeter und verhältnismässig wohlhabender Familien lebt, würde die Verschickung besonders ungerechtfertigt und besonders hart sein, denn die Städter sind den Strapazen des Weges noch weniger gewachsen als die Landleute. Übrigens liegt Aintab weder im Kriegsgebiet noch an der Etappenstrasse. Die Zahl seiner armenischen Bewohner beträgt allein 32000, ein wichtiges Element für das wirtschaftliche Leben dieser Gegenden!
Ob auch der Befehl zur Räumung von Marasch schon gegeben ist, war bisher nicht mit Sicherheit festzustellen.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.


Rößler

1 Aus Urfa erreicht mich unter dem 26. d.M. eine aus Vorsicht nur kurz gefasste Mitteilung der Deutschen Orientmission, welche besagt: "Wir erleben hier unsagbar trauriges. Frauen und Kinder nur, vom Norden, ziehen hier vorbei – eine neue Art Todesgang. Voellige Vernichtung sicher."



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