1915-08-11-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14087
Zentraljournal: 1915-A-25335
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 08/28/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: K. No. 85/B. No. 1758
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/03/2012


Der Konsul in Aleppo (Rößler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



K. No. 85 / B. No. 1758
Aleppo, den 11. August 1915

Euer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage Abschrift eines mir aus Urfa zugegangenen Briefes des Diakons Künzler vom 5. d.M.. Die von ihm berichtete Tatsache, dass in der Armenierfrage nicht mehr der Mutesarrif oder das Kriegsgericht die Entscheidung in der Hand haben, sondern dass zwei Sendboten des Komitees, Halil und Ahmed Bey ein Schreckensregiment führen,1 ist mir von einem gutunterrichteten vornehmen hiesigen Muhammedaner als unzweifelhaft bestätigt worden.

Für den Apotheker des Hospitals habe ich mich vielfach verwandt, bei Djemal Pascha, beim Mutesarrif von Urfa, beim Wali von Diarbekir, doch ist alles vergebens gewesen.

Djemal Pascha hatte zugesagt, ein etwa vom Kriegsgericht ergehendes Urteil nicht vollstrecken zu lassen, ehe ihm die Akten vorgelegt worden seien. Die von den Komiteemitgliedern willkürlich herbeigeführte Verschickung nach Diarbekir hat den Erfolg dieser Zusage vereitelt. Sollte Djemal Pascha jetzt Nachforschungen nach dem Verbleib des Apothekers anstellen, so wird natürlich berichtet werden, dass er Räubern in die Hände gefallen ist. Begnügte er sich mit dieser Auskunft, so ist erwiesen, dass er und mit ihm die Regierung in Urfa tatsächlich nicht mehr die Macht in der Hand hat.

So hat denn der Apotheker der 16 Jahre lang treu im Deutschen Hospital gearbeitet hat, und für dessen loyale osmanische Gesinnung die Deutsche Orientmission sich verbürgte, geopfert werden müssen. Dass unter diesen Umständen der armenische Arzt, gegen den man behördlicherseits bereits angefangen hat, zu arbeiten, indem man ihm das Alleinoperieren verbot, den Mut verliert und eine sich bietende Gelegenheit benutzt, um Urfa zu verlassen, wird man ihm nicht so sehr verübeln können. Von gewisser türkischer Seite aber hat man erreicht, worauf man hinauswollte, die vorläufige Schliessung unseres Hospitals, in dem im Lauf der Jahre tausende von muhammedanischen so gut wie christlichen Patienten den Segen ärztlicher deutscher Behandlung und Pflege erfahren haben.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.


Rößler
Anlage

Abschrift.

Urfa, den 5. August 1915.

Als ich am 3. Juli von Aleppo zurueckkehrend hier wieder eintraf, fand ich unseren Apotheker noch in Haft vor. In jenen Tagen kamen einige Herren vom Kriegsgericht (ürfié) hier an, angeblich um die Gefangenen abzuurteilen. Ich besuchte den Praeses dieser Kommission und legte ihm unseren Fall nahe. Schon nach mehreren Tagen nach Ankunft dieser Herren lautete die Sache fuer die Gefangenen besser - allein Ahmed und ein Chalil Bey, zwei tuerkische Komitadjis trafen, von Diarbekr kommend hier ein und damit begann hier etwas was stark nach Anarchie roch. Die Herren haben dann auch sofort darauf bestanden, dass man die beiden, eben hier angekommenen frueheren Deputierten Wartkes und Sohrab Effendiler tötete. Der Gouverneur und der Gendarmeriekommandant wollten nicht - allein obige Herren sollen ihnen mit ihrem eigenen Tode gedroht haben. Chalil Bey liess die beiden Armenier eine Stunde hinter Urfa toeten. Darnach wurde der Bezirksarzt und der Stadtarzt abgesandt und gezwungen, einen falschen aerztlichen Bericht abzugeben, wonach die Beiden von Arabern überfallen worden und getoetet worden seien. Das Kriegsgericht hatte die beste Absicht, saemtliche armenische Notabeln freizugeben. Aber Chalil und Ahmed Bey erwirkten ein Telegramm aus Diarbekr, dass man saemtliche gefangene Armenier gebunden und zu Fuss nach Diarbekr senden muesse. Daher telegraphierte ich Ihnen am Sonntag: ”Apotheker noch in Haft, Abtransport droht” - und Sonntag auf Montag erfolgte der Abtransport von 40 Maennern, darunter auch von unserem Apotheker und dem armenischen Bischof, welchem man zwei Tage noch vorher einsteckte. Man glaubt allgemein, dass diese, wie auch die am Dienstag abgegangenen 50 Gefangenen nie in Diarbekr ankommen werden. Auch ich habe wenig Hoffnung fuer sie, obwohl ich von einem geheimen Abkommen weiss, wonach die beiden Beys 1300 Ltq von den Armeniern wollen, versprechend, alsdann die Stadt nicht ausraeumen zu lassen, sowie sichere Ankunft in Diarbekr zu sorgen, hinsichtlich der Abtransportierten. Die Beys drohten natuerlich, dass wenn dies Geheimnis auskomme, sie alle Armenier von Urfa verbannen wollen.

Tatsache ist, dass diese beiden Beys und nicht die Regierung und nicht das Kriegsgericht, das Djemal Pascha hergesandt haben soll, in der Armenierfrage regieren und zwar ein Schreckensregiment.

Unser Spital hat seit einiger Zeit auch etliche Schwierigkeiten. Der neue Bezirksarzt Hamdi Bey moechte am liebsten unser Spital schliessen. Er drohte uns damit. Allein offen duerfte ihm das nicht gelingen. Daher wendet er jetzt einen, unter Hamids Zeit oft gebrauchten Trick an, er verbot unserem Doktor Armenak das Allein Operieren, da dies unstatthaft sei. Dies ist nur ein Trick, denn durch Sie haben wir seiner Zeit erfahren, dass jeder diplomierte Arzt ueberall und allein selbst die schwierigsten Operationen ausfuehren darf. Allein Dr. Armanak, ein Armenier hatte nicht den Mut, jetzt sich zu widersetzen, trotz meinem Mutmachen und so unterliess er dieser Tage die Ausfuehrung schwierigen Operationen. Naechste Woche muss er nach Surudj um Rekruten zu untersuchen und dann will er nach Aleppo gehen, wo seine Frau ist und eventuell sich dort verstecken bis diese boese Zeit vorueber ist. Ich bin also gezwungen das Spital bis auf seine Rueckkehr zu schliessen. Traurig - denn es gibt nur noch zwei Aerzte hier und so viele Kranke. Wenn man nur die beiden Internierten, Dr. Young, ein Englaender und Dr. Lause, ein Franzose, wenigstens in unserem Spital arbeiten liesse. Es waere mir noetigenfalls leicht, sollte man in seine Feinde kein Vertrauen setzen, die noetige Kontrolle auszuueben, da ich ja schon laengst in den Gang unserer Arbeit voellig eingeweiht bin. Ich legte diese Sache dem Gouverneur nahe, allein ihm gefiel der Vorschlag nicht.

Ueber die Furchtbarkeit der Frauen- und Kindertransporte wird Ihnen Herr ... als Augenzeuge muendlich berichten. Ich kann daher diesen Bericht schliessen.


[Jakob Kuenzler]


1 von diesen beiden ist Tscherkess Ahmed ein wilder und übelberüchtigter Geselle, Halil Bey ist wie ich nachträglich erfahre, identisch mit dem Onkel Enver Paschas, Kommandanten der nach dem Osten entsandten Division.



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