1915-08-14-DK-001
Deutsch :: da de en
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1915-08-14-DK-001
Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. D. 1,
”Tyrkiet - Indre Forhold”. Pakke 1, til 31 dec. 1916

Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 97
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/01/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Erik Scavenius)

Bericht



Nr. 97

Konstantinopel, 14. August 1915.

Vertraulich

Herr Außenminister,

aus meinen früheren Berichten geht bereits hervor, wie die jungtürkische Regierung, um ihre Stellung nach außen hin zu stärken, in der letzten Zeit den Fremdenhass und den Hass gegen die Christen zu einem Leitgedanken in ihrer Politik gemacht hat; sie versucht damit die Opposition, die sie beschuldigt, das Land an die Ungläubigen zu verkaufen, einer ihrer stärksten Waffen zu berauben, aber weil sie nicht Maß halten kann, geht sie weiter, als es der Despotismus seinerzeit tat.

Der Zweck dieser Politik ist es, die Fremden und Christen zum Verlassen des Landes zu bewegen, indem man ihr Leben unerträglich macht, und gleichzeitig dadurch den Fanatismus zufrieden zu stellen, der für die Regierung ein Wert geworden ist, aber von einer vernünftigen Durchführung kann - auf jeden Fall was die Griechen anbelangt - keine Rede sein, und diese Bewegung hat deshalb einen reinen Nützlichkeitscharakter.

Die Armenier- und Griechenverfolgungen, die Übergriffe gegen die katholische Kirche, die Zwangsbekehrungen zum muslimischen Glauben, der Sprachzwang, der davon ausgeht die Anwendung der türkischen Sprache obligatorisch zu machen, bevor man die notwendigen Schritte unternommen hat, damit das auch praktizierbar ist, und vieles mehr zeigt, dass hier nicht von einer klugen Kalkulation auf längere Sicht die Rede sein kann.

Gegen die Griechenverfolgungen ist die deutsche Botschaft schon, wie berichtet, eingeschritten, und ich höre gerade heute, dass Deutschland auch gegen die Armenierverfolgungen, die in den letzten Tagen mit erneuter Kraft wieder aufgenommen worden sind, protestiert hat.

Für die Türkei selbst ist es wahrscheinlich auch höchste Zeit, dass diese Verfolgungen gestoppt werden.

Das fanatische Komitee beschwert sich darüber, dass es in Konstantinopel keinen Patriotismus gibt, der sie in eine rein türkisch-muslimische Hauptstadt verwandeln würde, aber es scheint nicht darüber nachzudenken, dass es durch das Vertreiben der Fremden und Christen, selbst von einem rein akademischen Standpunkt aus, einen großen Fehler begeht, weil es dadurch die Intelligenz des ganzen Landes vertreibt, den Teil der Bevölkerung, der im Besitz von Geist, Einsicht und Mitteln ist, Geschäftsleute, Wissenschaftler und Finanziers, und dass, wenn das Prinzip des „Türkei für die Türken“ durchgesetzt wird, nurmehr Beamte und Bauern im Land zurückbleiben werden.

Über den neuen, oben erwähnten hier jetzt eingeführten Sprachzwang, den ich noch nicht die Gelegenheit hatte in meinen vorangegangenen Berichten zu erwähnen, will ich folgendes berichten:

In Zukunft muss die Verwaltungssprache aller privilegierten und konzessionierten Unternehmen, z. B. die Ottomanbank, Eisenbahn-, Straßenbahn- und Elektrizitätsgesellschaften, Türkisch sein, was zugleich schwierig und teuer sein wird, weil der Großteil der fremden Spezialisten, Administratoren und Techniker, die diese Unternehmen leiten, kein Türkisch können. Desweiteren wird jetzt verlangt, dass die türkische Sprache die erste der in türkischen Schulen unterrichteten Sprachen sein soll, und dass die türkische Sprache auf allen Schildern und Bekanntmachungen Vorrang haben soll, auch an den Orten, wo sich praktisch keine Türken befinden.

Es wird von türkischer Seite zugegeben, dass die türkische Schriftsprache zurzeit große praktische Mängel hat, besonders in Bezug auf die Buchstaben. Es gibt über 100 Buchstaben, aber es fehlen vollständig Vokale, sodass viele Wörter mit völlig unterschiedlicher Aussprache und Bedeutung gleich geschrieben werden. In den letzten Jahren hat man eine Reihe von Reformen versucht (so hat das Kriegsministerium versuchsweise Vokale in verschiedenen Publikationen eingeführt), aber es ist den konservativen und radikalen Reformern nicht möglich gewesen, sich auf einen Vorschlag für die Verbesserung der türkischen Sprache zu einigen.

Das türkische Bildungsministerium hat vor kurzer Zeit eine Kommission eingerichtet, die die schwierigen Sprachreformfragen untersuchen soll, aber es ist bezeichnend für die gegenwärtigen Verhältnisse, dass man zum umfassenden Sprachzwang übergegangen ist, bevor die Kommission die Gelegenheit hatte, einen Vorschlag zu unterbreiten.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich, Herr Minister, Ihr ergebenster


Wandel



Copyright © 2006-2024 Matthias Bjørnlund: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved