1915-08-19-DE-012
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/170
Botschaftsjournal: A53a/1915/4815
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Eingabe eines Armeniers an die deutsche Botschaft in Konstantinopel

Privatschreiben




Pera, den 19. August 1915
Aus der Deportation der Armenier.

1. Die Katholiken von Nicomedia (Ismidt) sind mit anderen Armeniern deportiert worden. Zwei Priester und ein Teil der kath. Armenier sind durch einen glücklichen Zufall in Eskischehir geblieben. Nach fünf Tagen werden sie davon fortgejagt. Wir bitten Sie es zu erlangen, dass diese zwei Priester und ihr Volk entweder nach ihren Städten oder Dörfern zurückkehren, oder in Eskischehir bleiben, aber so frei wie die dortigen katholischen Armenier.

2. Gegen alle Versprechungen hat man am 16 d.M. die kath. und die Protestantischen Armenier von Baktschedjik transportiert. Durch einen Zufall sind fünf Nonnen und drei Priester in Nicomedia geblieben und ihr Volk durch Eisenbahn deportiert. Wir bitten Sie, diese Priester und Schwestern entweder nach Baktschedjik zurückzuschicken oder nach Konstantinopel kommen lassen. Ebenfalls das kath. und prot. Volk nach seinem Dorfe zurückschicken oder in Eskischehir aufhalten.

3. Den Eisenbahnbeamten Order geben, dass sie etwas menschlicher behandeln diese Unglücklichen.

4. Man gestatte uns den armen Almosen zu geben.


[Notiz Neurath]

Von Mssgnre Dolci übergeben. H. Gksl. Mordtm. mit der Bitte die Sache möglichst heute noch bei Talaat befürwortend zur Sprache zu bringen.

Pera, den 19. August 1915

Die Deportation der Armenier.1

I. Dringende Bitte.


1. Gegen den formellen Versprechungen, dass man wenigstens die kath. Armenier schonen würde, hat man am 11. d.M. die kath. Priester und ihr Volk von Nicomedia in der Richtung nach Konia deportiert. Zwei Priester und ein Teil des kath. Volkes sind unterwegs in Eskischehir geblieben, die aber den Befehl bekommen haben nach fünf Tagen fortzugehen. Wir bitten flehentlich, dass man den beiden Priestern und ihrem Volke gestatte entweder nach Hause zu fahren oder in Eskischehir bleiben, so frei wie die dortigen Katholiken.

2. Gegen den ganz kürzlich gemachten Versprechungen, dass die protestantischen und kath. Armenier verschont werden sollten, hat man am 16. d.M. die sämtliche Bevölkerung von Baktchedjik - ein gegenüber Nicomedia liegendes rein armenisches Dorf - deportiert. Nur durch Zufall sind die drei kath. Priester und fünf Klosternonnen im Bahnhof von Nikomedia geblieben, ihr Volk ist schon fort. Wir bitten inständig, dass diese Überbliebenen entweder nach Baktchedjik oder nach Constantinopel zurückkehren dürften, und das schon abgereiste Volk wenigstens unterwegs in Eskischehir bleiben dürfe, wenn es nicht möglich ist nach Baktchedjik zurückzukommen.


II. Allgemeine Notizen

Die Lage der Deportierten ist sehr kläglich, besonders die ärmere Klasse leidet schrecklich. Viele Mutter werfen ihre Kinder in den Flüssen um deren Qual nicht länger zu sehen. Andere Mutter verkaufen ihre Kleinen um ein Stück Brod kaufen zu können und um sie vor dem sicheren Tode zu retten. Kinder bis 6 Jahre alt verkauft man zu 5 Piaster, also weniger als eine Mark, und die 15 - 20jährige Fräulein zu 20 Piaster. Besonders bei Nacht verübt man allerlei schändliche Gewalttaten über die Ehefrauen und Mädchen.

Eskischehir, Kütahia, Afion Karahissar und Konia sind Centralstätte, wo man ausserhalb der Stadt sie auf einem geschlossenen Felde massenhaft häuft, so z.B. bei Eskischehir bleiben 10 - 12000 Kinder, Frauen und alte Leute unter freiem Himmel und sind den unsäglichen Launen der Menschen und des Wetters ausgesetzt. Ein zuverlässiger Augenzeuge erzählt, dass er in Eskischehir im folgenden Tage einer Gewitternacht hunderte von Leichen auf dem Felde liegen sah, besonders Kinderleichen, denen die christlichen Eisenbahnbeamten nicht gestatteten sich unter der Decke des Bahnhofs zu schutzen.

Auch die Eisenbahnbeamte zeigen sich nicht überall menschlich. Die auf den Feldern gehäuften unbemittelten Leute schlägt man dreimal im Tage mit einer Peitsche damit sie weiter marschieren, weil sie nicht fahren können. Man weiss nicht was den Armeniern geschieht, die weiter als Konia deportiert sind. Gott vergelte es jedem, der das Elend dieser Unglücklichen lindert.


[Aufzeichnung Mordtmann 21. 8.]


Ich habe heute auf dem Ministerium des Innern (Aziz Bej; Minister und Djanbulad Bej waren nicht da) wegen Rücksendung der bereits abtransportierten kath. Armenier Schritte getan.

Aziz Bey wird die Sache dem Minister vortragen, und bemerkte dabei, daß nach neuester Verfügung die katholischen Armenier von Angora und Adana von der Vergünstigung wieder ausgenommen seien.

Ich hatte speziell gebeten, wegen der bereits nach Eskischehir u. Konia abgeführten und dort in den Konzentrationslagern internierten kath. und prot. Armenier dem Mutessarriflik Eskischehir und Wilajet Konia tel. Weisungen wegen Sistierung des Weitertransports bezw. Rücksendung der Internierten zugehen zu lassen.


1 Neben der obigen Kurzfassung befindet sich in den Akten außerdem diese längere Fassung.



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