1915-10-01-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/R14088
Zentraljournal: 1915-A-30012
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 10/16/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Ktr. No. 37/J. No. 869
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Konsul in Adana (Büge) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Ktr. No. 37 / J. No. 869
Adana, den 1. Oktober 1915.
12 Anlagen

Euerer Exzellenz beehre ich mich, in den Anlagen eine Anzahl hier gemachter Aufzeichnungen über das gewaltsame Vorgehen der jungtürkischen Regierung gegen die armenische Nation abschriftlich zu überreichen.

Die teils von mir teils auf meine Veranlassung von den Beamten des Konsulats gefertigten Notizen beziehen sich ausschliesslich auf solche Fälle, welche entweder innerhalb des Amtsbezirks sich ereigneten oder hier durch durchreisende Armenier zur Kenntnis des Konsulats gebracht wurden.

Wie hier erzählt wird, sollen an den verschiedensten Orten im Innern des Landes, besonders in den Gebieten der türkisch-arabischen Sprachgrenze, die Armenier in grausamster Weise niedergemetzelt worden sein.

Ueberall und in jedem Falle fällt die Verantwortung auf die türkischen Behörden. Da die türkische Regierung offiziell die Erklärung veröffentlichen lässt, dass die gesamte armenische Bevölkerung sich vollkommenster Sicherheit des Lebens und des Eigentums erfreut, glaube ich, der Kenntnisnahme Euerer Exzellenz diejenigen Vorkommnisse nicht fernhalten zu dürfen, aus welchen die Art und Weise des Vorgehens der Regierung gegen die Armenier festgestellt werden kann.


Büge

Anlage 1

Ingenieur Paul Kern von Eregli, z.Zt. hier, teilte mir gestern, Montag 12. September, mit, dass nach seinen Wahrnehmungen die türkischen Behörden die vertriebenen Armenier in jeder Weise brandschatzen. Z.B. wird für das Betreten der Stadt Eregli eine Taxe von 5 Piastern (1/4 Medschid), für das Passieren einer kleinen Verbindungsbrücke zwischen zwei Lagern von Deportierten eine solche von 2 Piastern erhoben.

Brot wird nur gegen Bezahlung geliefert, Wasser zuweilen gänzlich verweigert.

Das gleiche gilt für alle solche Ansammlungen. Nirgends erhalten die Leute Nahrung umsonst, bisweilen müssen sie, wie in Osmanié, für ein Brot 5 - 8 Piaster zahlen. In Osmanié liegen viele Tausende (bis 20000 Personen), die in der Nacht von den Dorfbewohnern bestohlen werden.


Adana, 13. September 1915


Anlage 2


Ein türkischer Offizier Namens Assim Bey, der seinen Dienst in Mamuré bei den Genietruppen verrichtet, hat anfangs September d.Js. einen Armenier Namens Missak Simikian gesagt, dass von 60000 verbannten Armeniern aus Kharput kaum 15000 in Mossul angekommen seien. Die übrigen seien unterwegs vernichtet worden.

Zwei Kurden aus Mardin, die den Provianttransport nach Konstantinopel besorgen, haben einem kurdisch sprechenden Armenier, Markos Gasarian, auf seine Anfrage, wie es in den Ostprovinzen Kleinasiens zugeht, geantwortet, dass alle Armenier in Kharput, Diarbekir, Mardin und Werenschehir niedergemetzelt worden seien.

Missak Simikian und Markos Gasarian haben Vorstehendes in Adana mir persönlich erklärt.


Anlage 3


Der frühere zweite Direktor des türkischen Seminars (Dar el muallemin) und jetzige Direktor des türkischen Waisenhauses Osman Bey hat den christlichen Zöglingen erklärt, dass sie entweder zum Islam übertreten oder das Waisenhaus verlassen müssten.

Nach Mitteilung der Lehrerin am Waisenhause, Fräulein Sirpûhi, welche mich aufsuchte, haben in Folge der an sie gestellten Zumutung sämtliche Mädchen, etwa 35, das Haus verlassen und Aufnahme in verschiedenen Familien gesucht. Ihr Schicksal ist mir nicht bekannt geworden; ich hatte sie an die amerikanische Mission verwiesen.

Von den etwa 60 christlichen Knaben des Waisenhauses sind 14 dort verblieben, da sie nicht wussten, was sie anfangen sollten. Die Mohammedanisierung dieser Zurückgebliebenen hat bereits begonnen.

Osman Bey hatte den Kindern erklärt, dass die christliche Religion in dem Osmanischen Waisenhause nicht geduldet werden könne. Die Zöglinge hätten sich jeder Religionsbetätigung, besonders des Betens, unbedingt zu enthalten. (Sirpûhi).


Adana, den 30. September 1915.

Anlage 4

Adana, den 24. September 15.

Ein Räuberüberfall grösseren Stils auf fortziehende Armenier fand kürzlich, 18. September, bei der Station Veissié (zwischen Dschihan und Toprakkale der Bagdadbahn im Wilajet Adana) statt.

Ein gewisser Manuk Schahbasian, Grosskaufmann in Adana, dessen Familie sich andere befreundete Armenier angeschlossen hatten, sodass ein Wagenzug von 33 Wagen entstand, wurde Abends von türkischen Räubern überfallen.

Da die per Wagen abziehenden Armenier ohne Weiteres als wohlhabend gelten, haben es diese – mohammedanischen – Räuber vor Allem auf solche Karawanen abgesehen. Nach ihrer Auffassung tun sie eigentlich kaum etwas Unrechtes, wenn sie die Armenier überfallen und unter Umständen totschlagen, da ihnen von den Behörden ziemlich unverblümt der Auftrag zur Niedermetzelung der Armenier gegeben ist.

(In dieser Hinsicht beweisend ist u.a. das Verhalten der Eisenbahnstreckenarbeiter bei Ulu Kischla, die sich für die Ermordung der Armenier direkt auf den Kaimakam von Ulu Kischla beziehen: Mitteilung des Eisenbahnchefs Meier in Mersina).

Die überfallenen Armenier zahlten zusammen 1200 Ltq. an die Räuber und durften dann ihre Reise fortsetzen. Die Zahl dieser Gelegenheitsräuber steht nicht fest; es dürften jedenfalls kaum mehr als einige wenige gewesen sein, schon aus Rücksicht auf den Beuteanteil eines jeden.

In einiger Entfernung hinter dem langgestreckten Wagenzuge des Schahbasian fuhren die Wagen des Orman Katibi Lewon Effendi. In Folge des schlechten Weges kamen diese Wagen nur mühsam vorwärts. Auch hier erschienen die Räuber, wahrscheinlich dieselben, welche Schahbasians Zug gebrandschatzt. Für diesen Überfall steht die Anzahl der Räuber fest, es waren nur zwei Personen. Nachdem die Mohammedaner ihr Bedürfnis nach dem Blut der Armenier durch Stechen und Schlagen wenigstens teilweise befriedigt hatten, erpressten sie 35 Ltq. von Lewon Effendi. Die Verletzungen desselben waren ziemlich bedeutend, sodass er ausser Stande war, die Reise fortzusetzen, und nach Adana zurückkehrte, wo er augenblicklich sich noch befindet.

Der Wali von Adana hat sich am 22. d.Mts. (Mittwoch) Nachmittags nach Osmanié bezw. Dschihan begeben. Seine Reise hat höchstens den Zweck den Leuten das geraubte Geld – für sich selbst – abzunehmen. Es ist indessen zweifelhaft, ob dies möglich ist, ohne sich den Räubern gegenüber zu compromittieren.


Anlage 5

Am 10. September 1915 habe ich die beiden Armenier vernommen und Folgendes festgestellt:

Am 28. August d.J. haben die armenischen Bewohnter von Talas (Kaisarije) ihr Hab und Gut verlassend, den dortigen Behörden überlassend, die Verbannungsreise nach Mesopotamien antreten müssen:

Am 29. August haben die vier Gendarmen und zwei Polizisten, die die Karawane der Verbannten von Talas an begleiteten, unterwegs an einem unbewohnten Orte und in der Abenddunkelheit ihr Raubwerk begonnen. Mit geladenen Gewehren, mit Gewehrkolbenschlägen, und mit Knutenhieben haben sie die verbannten Armenier eingeschüchtert und ihnen Geld herausgepresst. Der eine der Misshandelten, Arabadschi Alexan hat infolge Verblutungen unterwegs, nicht weit von Nigde (Konia) den Tod gefunden:

Z. B. haben die Nachstehenden folgende Beträge den Gendarmen bezahlt

Die gesamte den Gendarmen und Polizisten bezahlte Summe beträgt etwa 450 Ltq.

Dieselben Gendarmen haben den sechsjährigen Sohn des Stepan Garabejekian auf den Boden geworfen und den Tod desselben herbeigeführt.

Es sind wieder dieselben Gendarmen gewesen die mit Knutenhieben das Kind Pehliwanians getötet haben.


Notiz:

Die Anlagen Nr. 6 – 9 beziehen sich auf den nämlichen Vorfall, nur von verschiedenen Zeugen geschildert.

Anlage 6


Am 8. September 1915 haben die nachstehenden 3 Armenierinnen aus Orta Köj (Bezirk Amassia Wilajet Sivas) mir Folgendes mitgeteilt:

Die türkische Regierung hat am 13. August 1915 die Männer und am nächsten Tag die Frauen der Ortschaft Orta Koy nach Hadji Köy gebracht, von wo sie alle Armenier unter Unterschied des Alters und des Geschlechts, sämmtlich etwa 700 Personen die Verbannungsreise antreten liess. Die Karawane der Verbannten ist ohne Zwischenfall am 22. August 1915 in Begaslayian, Vilajet Angora, angekommen.

Den nächsten Tag haben 6 Gendarmen auf der Weiterreise die Ueberwachung und die Fuehrung der Verbannten übernommen. Mehrere Rekruten und Civilpersonen, alle Muselmannen, haben sich der Karawane angeschlossen, um sich an der geplanten Greueltat zu beteiligen. Bei Ankunft der Karawane in Tépé Han liessen die Gendarmen die Männer von den Frauen trennen, in ein Han internieren und gruppenweise gefesselt herausbringen. Das bare Geld wurde ihnen abgenommen und alle Männer den Soldaten und Mörderbanden ausgeliefert. Auf diese Weise hat man alle Männer und Jünglinge, etwa 250 Personen in ein nahe liegendes Tal gebracht und auf grässliche Weise umgebracht. Die Frauen haben dies alles ansehen müssen.

Vier Personen aus Hadji Köy sind von den Gendarmen vor den Augen der Frauen erschossen worden.

Die Namen einiger Opfer, die die oben erwähnten Frauen angeben konnten sind folgende:

Nach dem Verlust ihrer Männer sind die verwittweten Frauen und verwaisten Kinder in Erkelet nördlich Kaisarije angekommen, wo die türkische Bevölkerung alle jungen Frauen, Mädchen und Knaben entführte. Marian Erzerumzian gab mir an, dass Bakal Mustafa Agha ihren 14jährigen Sohn, Nischan, weggenommen und bei sich behalten habe.

Der Rest der Karawane, schutzlos, arm und elend hat die Reise über Besanti-Tarsus-Adana ohne Unterstützung seitens der Regierung zurückgelegt. Nur in Tarsus soll der dortige Kaimakam den Armen Karren zur Verfügung gestellt haben. Bei Eintreffen des Verbanntenzuges in Jenidsche, nicht weit von Adana, haben die Gendarmen je 40 Piaster von jeder Familie verlangt. Die Frauen haben dieser Forderung kaum nachkommen können, nachdem sie unterwegs ihre Habseligkeiten und Bettsachen verkauft und nur noch einige Piaster bei sich hatten.


Anlage 7

Aussagende Personen: haben mir am 11. September 1915 folgende Aussage gemacht:

”Auf der Verbannungsreise Josgad–Bogaslajan (im Vilajet Angora) waren wir Augenzeugen, wie etwa hundert türkische Soldaten am 20. August d.J. einige hundert Armenier aus Josgad und Sungurlu, alles Männer, darunter zwei Priester, in einem Tal 4 Stunden südlich von Josgad erschossen, mit Gewehrkolben erschlagen und alle ohne Ausnahme vernichtet haben.

Am 22. August abends kam unsere Karawane, bestehend aus 700 Personen, alles Verbannte aus Orta-Köj, Hadschi-Köj und Aladscha, in Tépé Han (Wilajet Angora) an, wo die Männer zuerst in ein Han interniert wurden. Dann haben die Gendarmen alle gruppenweise geplündert ihnen hauptsächlich das bare Geld weggenommen und sie den Mörderbanden ausgeliefert. An der Mordtat haben sich auch die Gendarmen beteiligt indem sie vier Personen aus Hadschi–Köj vor den Frauen erschossen.”

Die Namen der von den aussagenden Frauen bekannten Opfer sind:


Die Gendarmen haben die letztgenannten zwei Personen zu ihrer Mutter gebracht und ihr versprochen, sie gegen Lösegeld freizugeben. Trotzdem sie fünfzehn Ltq. bekommen hatten, haben sie dieselben vor den Augen ihrer Mutter erschossen.

Alle Gendarmen die aus Josgad, Bogaslajan, Erkelet, Indsché Su, Karahissar und Nigdé den Zug der Verbannten begleitet haben, haben nach und nach alles bare Geld weggenommen und alle wertvollen Sachen den irregulären Soldaten und räuberischen Banden gegeben. In Nigdé angekommen, hat eine der oben erwähnten Frauen Sultané ihr Lasttier für 80 Piaster verkauft. Sogar diesen Betrag und in dem Rucksack versteckte 200 Piaster samt dem Rucksack hat ein Gendarm der Frau weggeraubt.

Eine der Frauen aus Aladscha hat am 10. September d.J. auf der Strecke Tarsus-Adana entbunden. Die Gendarmen haben die zur Hilfe eilenden Frauen namentlich die schon erwähnte Frau Sultané mit Peitschenhieben und Rutenschlägen weiter getrieben und die Wöchnerin auf der offenen Strasse im Freien liegen lassen wollen. Mit grösster Mühe haben die Frauen ihre Reisegefährtin nach Adana bringen können.

Die Regierung hat den Verbannten keine Nahrung und Unterkunft gegeben, im Gegenteil überall sind die verwitweten Frauen und verwaisten Kinder von den Gendarmen so hart behandelt worden, dass sie nicht einmal ihren Durst löschen durften, und nur gegen Zahlung von 10 - 20 Paras einen Becher Wasser bekommen konnten. Das zweijährige Mädchen der Frau Sultané ist vor Durst und der zweijährige Knabe Mariams vor Durst und Hunger gestorben.


Anlage 8


Aussagende Personen:

Séféré Göschbekian aus Aladscha (Angora)
Mardiros Bogossian aus Aladscha (Angora)

machten mir am 11. September d.J. fast dieselbe Aussage wie die Frauen Mariam, Sultané und Güstüma und fügten noch hinzu, dass sie unterwegs Augenzeuge gewesen sind, wie die Gendarmen und Soldaten aus Tersili mehrere hundert Personen aus Josgad und seiner Umgebung alle männlichen Geschlechts in einem Tal einige Stunden südlich von Josgad niedergemetzelt und umgebracht haben.

Diese aussagenden Personen haben mir auch mitgeteilt, dass sie unterwegs in den Ortschaften Tschat, Burun–Kischla, Tschachmachsadé und Keller keine Armenier männlichen Geschlechts gesehen haben und überall unterwegs haben sie erfahren, dass alle umgebracht worden seien.

Der Kaimakam von Bogaslajan soll die Metzelei in allen diesen Ortschaften angeordnet haben.


Anlage 9


Am 6. September 1915 vormittags gaben die verbannten Armenierinnen aus der Ortschaft Hadschi–Köj im Sandjak Tschorum des Wilajets Angora folgende Aussage:

Die türkische Behörde hat die armenische Bevölkerung in Hadschi-Köj aufgefordert am 8. August d.Js. ihre Wohnstätten binnen 3 Tagen zu verlassen, um die Verbannungsreise nach Mesopotamien anzutreten. Man hat den Frauen erlaubt ihre Männer zu begleiten und ihnen zu verstehen gegeben, dass sie der Regierung wegen dieser Gnade dankbar sein sollen.

Am 14. August hat die Regierung 120 Familien 174 Wagen zur Verfügung gestellt, um die allernotwendigsten Gegenstände und Nahrungsmittel mitzunehmen. Unter der Führung von 12 Gendarmen sind die Verbannten ohne Gefahr über Josgad in Bogaslian eingetroffen.

Auf der Strecke Bogaslian–Erkelet haben die 6 Gendarmen, die aus Bogaslian zur Bewachung mitkamen, am 22. August von der Verbannten-Karawane Geld verlangt. Die 120 Familien haben zusammen 10 Ltq. gesammelt, um sich auf diese Weise von der Lebensgefahr zu befreien. Die Gendarmen, erzürnt wegen des geringen Betrages, haben alle Männer, etwa 200 Personen, von den Frauen getrennt und in einen Han eingesperrt. Die Gendarmen haben dann die Leute gruppenweise gefesselt aus dem Han herausgebracht, ihnen alles bare Geld geraubt und im gefesselten Zustand in ein naheliegendes Tal geschickt. Durch Gewehrschüsse haben später die Gendarmen den benachbarten, schon in Bereitschaft stehenden türkischen Mörderbanden Zeichen zum Sturm gegeben. Alle Männer und Jünglinge über 12 Jahre sind durch Keulenhiebe, mit Steinen, Säbel, Dölche und Messer gemartert und umgebracht worden und dies alles ist vor den Augen der Frauen und Kinder geschehen, die das schauerliche Werk der Mörder ansehen mussten. Von den jungen Knaben haben die Türken die meisten mitgenommen, um sie zum Islam zu bekehren. Die türkischen Wagenführer haben sich an den Mordtaten nicht beteiligt, sie sind nur einfache Zuschauer gewesen.

Der Rest der Verbannten, alle nur Frauen und Kinder, kamen dann in Erkelet an und wurden von den Türken überfallen. Die Türken haben dort alle reifen Mädchen und jungen Frauen weggeführt und geschändet. Zwei Mädchen haben sich gewehrt und sind seitens der Gendarmen so misshandelt worden, dass sie den Tod fanden. Diese 2 Mädchen heissen Ossanna und Tabid Kirasian. Ein Mädchen Namens Rosa Kirasian hat sich einem Gendarmen ergeben. Dieser soll versprochen haben, dem Mädchen kein Leid zu tun und es seinem Bruder zur Frau zu geben. Die Türken aus Erkelet haben im ganzen 50 Mädchen sowie 12 Knaben weggeführt.

Die übrigen Frauen haben ihre Reise weiter geführt und sind in Akserai angekommen, wo die Türken mit der Zustimmung der Gendarmen ihnen den letzten Rest des baren Geldes weggenommen und zu dem Zweck sogar die Unterwäsche der Frauen untersucht haben.

Von Akserai an haben die Frauen bettelnd über Bosanti-Tarsus die Stadt Adana erreicht, von wo aus sie die Weiterreise antraten.

Unter den getöteten befinden sich folgende Personen:

Die obige Aussage der oben erwähnten Frauen habe ich auf Weisung des Kaiserlichen Konsuls veranlasst.

Anlage 10


Das eklatanteste Beispiel der Bestechung und Bereicherungshandlung ist der Fall des Abgeordneten Mateos Nalbandian aus Kosan.

Dieser, eingeschüchtert durch das abschreckende Beispiel der beiden verbannten und ermorderten Abgeordneten Sohrab und Wardges, sah sich genötigt, alles aufzubieten, um sich auf irgend eine Weise von den Qualen und Gefahren der Verbannung zu befreien, und rettete auf folgende Weise sein Leben:

Er hat mit dem Bruder des hiesigen Wali, Hamdi Bej, einen zweijährigen Kontrakt geschlossen und mit ihm die Vereinbarung getroffen, dass der Bruder des Wali das Recht auf die Hälfte der heurigen Ernte bekommt, dafür aber Nalbandian volle Freiheit geniessen soll. Annähernd gibt man an, dass Nalbandian über ein Land von 15000 Dönum verfügt und er der einzige armenische Grossgrundbesitzer in Kosan sei, so dass man annehmen kann, dass der Bruder vom Wali sich mindestens 1500 - 2000 Ltq. Reingewinn für dieses Jahr gesichert hat. Die Beteiligung des Bruders des Wali bringt auch den Vorteil mit sich, dass man für die Ernte und die Herbstarbeiten billige, ja sogar unbezahlte Arbeitskräfte aus den Reihen der Arbeitertruppen zur Verfügung hat.

Auch andere Fälle der Bestechung liegen vor:

Alle bekannten armenischen Handelsfirmen, die wohlhabenden Handwerker und Gewerbetreibende der Stadt Adana werden seitens des Polizeichefs Dschemal Bej und des Wali Hakki Bej ausgebeutet. Der Vermittler zu allen Verhandlungen ist der keineswegs verlässliche, durch seine leichte Lebensweise bekannte und in pekunäre Verlegenheit geratene Armenier Hakop Ohanian. Dieser als früherer Freund und Tischgenosse des Polizeichefs wurde als Werkzeug und Vermittler gebraucht.

Gerade in dem Moment, wo die hiesigen Armenier seitens der Polizei strenge Order bekamen, die Stadt binnen einigen Tagen zu verlassen und sich in der verlegensten Situation befanden, begann Ohanian, wie aus eigener Initiative, den Armeniern zur Hilfe zu kommen, die Verhandlungen, um ihnen die Erlaubnis zum Aufenthalt für eine unbestimmte Zeit zu erhalten. Die geheimen Verhandlungen geschahen mit einzelnen Personen, so dass man nicht alle Fälle genau feststellen kann. Aber aus der allgemeinen Lage und mit der Berücksichtigung der zurückgebliebenen reichen Armenier kann man schliessen, dass es Ohanian gelungen ist, dem Polizeichef und dem Wali, welche in der letzten Zeit nahe Verwandte (Schwäger) geworden sind, einige tausend Pfund herauszupressen. Die drei Firmen allein, Topalian, Ipranossian und Mindikian, haben je 100 Ltq. bezahlt. Der Mindestbetrag, der akzeptiert werden konnte, durfte nicht weniger als 10 Ltq. sein. Wenn man berücksichtigt, dass solche Verhandlungen nicht schriftlich geführt werden und keine Verbindlichkeit für eine bestimmte Zeit vorliegt, kann man einsehen, dass dieses Verfahren der Ausnutzung eine unversiegbare Quelle darstellt und immer zu neuen Erpressungen Anlass gibt.

Ein Beweis dafür ist das neue System der Versteigerung der städtischen Steuern. Gemäss der letzten Bestimmung des Stadtrats dessen Vorsitzender der Polizeichef Dschemal Bej ist, sollen diejenigen Armenier, welche die städtischen Steuern kaufen und die Steuererhebung übernehmen, von den Verbannungsmassregeln nicht getroffen werden. In der Hoffnung, sich auf diese Weise befreien zu können, haben die reichen und bemittelten Armenier kollektiv für die städtischen Steuern etwa 7000 Ltq. einlegen müssen. Im verflossenen Jahre brachten diese Steuern der Stadtverwaltung kaum ein Viertel von der oben erwähnten Summe ein.

Infolge der letzten Verordnungen haben die meisten Armenier die Stadt Adana verlassen müssen, sodass die als Anzahlung bezahlte Summe 1800 Ltq. welche die letzten Ersparnisse und das Reisegeld der zur Verbannung Verurteilten bildete grösstenteils verloren ging, da sie seitens der Stadtverwaltung nicht zurückerstattet wurde.

Da die höheren Beamten sich auf diese Weise zu bereichern suchen, die Bestechung und Erpressung als harmlose und erlaubte Handlung ansehen, das Gesetz und die Würde des Staates desavuieren, besitzen sie natürlich keine moralische Kraft und Autorität die subordinierten Beamten, Richter, Aerzte, Offiziere, ja selbst die Gendarmen und gewöhnlichen Soldaten im Zaume zu halten. Jeder Beamte sucht Mittel, nach seinem Ermessen zu Geld zu kommen.

In Ulu-Kischla treten die Gendarmen mit ihrem Vorgesetzten wie eine organisierte Bande auf. Jeder Zug der Verbannten muss seinen Tribut zahlen. Die Verbannten von Nigde haben sich kaum mit 200 Ltq. retten können und diejenigen von Ismid haben wegen Verweigerung 7 von ihren Notabeln, darunter den Vikar Nerses, opfern müssen. Die Erzählungen des Augenzeugen und Mitleidenden Aram Chandschian aus Josgad zeigen deutlich, dass die vollste Anarchie in den Wilajets Angora, Siwas, Konia und Adana herrscht.

Beispiele anderer Fälle der Bestechung und Gelderpressung sind nicht selten.

Oberst Sulejman Bej und der Müttessarif von Osmanije Fethi Bej, welche den Auftrag hatten, die Armenier aus Dörtjol zu verbannen, haben nur für eine zweitägige Frist von Garabed Dschinanian 25 Ltq., Minas Karajagupian 40 Ltq., und von Hakop Bojadschian 30 Ltq. erhalten. Der Vermittler zu den Verhandlungen ist Khatscher Garajagupian gewesen.

Wahan Wartabedian und Bogdschalian, beide Kaufleute in Adana, haben mir mitgeteilt, dass sie je 20 Ltq. durch die Vermittelung Ohanians dem Polizeichef Dschemal Bej als Bestechung gegeben haben, um vorübergehende Begünstigung von einigen Wochen zu geniessen.


Anlage 11


beide wohnhaft in Adana, haben mir Folgendes mitgeteilt, welches sie von den aus Ismid verbannten Armenierinnen, deren Männer unterwegs von Soldaten erschossen wurden, erfahren haben:

Die Armenier aus Ismid haben sich auf der Strecke Ulu-Kishla-Bozanti geweigert, mehr als das vereinbarte Fahrgeld zu zahlen. Die Kutscher, alle Türken, haben die Armenier überfallen und misshandelt. Zwei Armenier haben, um die Gegner abzuschrecken, zu ihren Waffen gegriffen, ohne sie allerdings zu gebrauchen.

Ein aus Ulu-Kischla gerufener türkischer Offizier liess 7 Armenier, darunter einen Vikar Namens Nerses fesseln und gab den Gendarmen den Befehl, die Leute niederzuschiessen. Die Gendarmen weigerten sich, den Befehl auszuführen und gaben zu verstehen, dass die Leute diese harte Strafe nicht verdient hatten. Darauf gab der Offizier seinen Soldaten den Befehl, die 7 gebundenen Männer vor den Augen ihrer Frauen und Kinder zu fusilieren, welcher Befehl prompt ausgeführt wurde. Derselbe Offizier hat fünf andere Armenier gefesselt ins Gebirge führen lassen, deren Spur vollständig verschwunden ist. Drei von den Opfern sind:

alle aus Ismid.

Einen schwerverwundeten Armenier hat man nach Tarsus geschafft, wo er gepflegt wurde u. am Leben blieb. Den nächsten Tag haben die verbannten Armenier aus Akserai:

die sechs Leichen dort liegen gesehen. Sie haben dieselben zudecken wollen, um sie den Vorbeifahrenden zu verhüllen, aber die Gendarmen haben die Decke wieder weggeworfen, um die nackten Leichen den Passanten zur Schau zu stellen.


Anlage 12

Ein Armenier Namens Mikirditsch Nasarian wohnhaft in Adana hat mir im Juli d.Js. Folgendes erzählt:

”In einer amerikanischen Zeitung habe eine Korrespondenz aus Persien gestanden, worin eine amerikanische Missionärin folgende Angaben über die Ereignisse in Urmia (Persien) gemacht habe.

Im Januar d.Js. habe der Sohn des damaligen Wali in Wan ein junger Offizier, der seine Studien in Beirut gemacht habe, die persische Stadt Urmia genommen und die zurückgebliebenen Bewohner (Armenier und Assyrier) etwa 700 Personen, welche bei den persischen Kurden Zuflucht gesucht hatten, gewaltsam aus ihren Zufluchtsorten herausgenommen und sie alle ohne Ausnahme niedermetzeln lassen. Einige Tage später erobern die Russen, meistens russische Armenier die Stadt Urmia zurück. Unter diesem Eindrucke haben die russischen Armenier die türkische Stadt Wan erstürmt und in einigen Tagen genommen.”

Man kann vermutlich sagen, dass die Armenier unter dem Eindrucke der Grausamkeiten in Urmia sich an dem Wali von Wan und an seiner Frau gerächt haben. Da aber die Frau des Wali von Wan eine nahe Verwandte des jetzigen Kriegsministers Enver Paschas gewesen sein soll, glaubt man, dass die Verfolgung und die Vernichtung der Armenier ein Racheakt desselben sei.


[Büge an Wangenheim (J. No. 935) 21.10.]

Euerer Exzellenz beehre ich mich Abschrift eines Berichtes an den Herrn Reichskanzler vom 1.d.Mts., J. No. 869, nebst 12 Anlagen, betreffend Armenierverfolgungen, in Erledigung der telegraphischen Weisung vom gestrigen Tage gehorsamst zu überreichen.



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