1915-10-03-DK-001
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Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. D. 1, ”Tyrkiet - Indre Forhold”. Pakke 1, til 31 Dec. 1916
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 10/03/1915
Telegramm-Ankunft: 10/18/1915
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 138
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Erik Scavenius)

Bericht



No. 138

Konstantinopel, 3. Oktober 1915.

2 Anlagen

Herr Außenminister,

Ich habe die Ehre, als Anlage eine in der hiesigen Tagespresse erschienene Übersetzung ins Französische des in meinem Bericht Nr. CXXXIV [134] vom 30. September diesen Jahres erwähnten, am Tag vor dem Zusammentreten des türkischen Parlaments ausgefertigten, vorläufigen Gesetzes bezüglich der Immobilien, Schulden und Forderungen der Deportierten zu übersenden.

Das Gesetz schließt an das vorläufige Gesetz vom 27. Mai 1915 an, dessen Übersetzung ebenfalls als Anlage beigefügt ist, und ermächtigt gewisse militärische Behörden, um Ruhe und Ordnung während des Krieges aufrechtzuerhalten, mit militärischen Mitteln jeglichen Widerstand zu brechen und an der Wurzel auszureißen, und wenn Gründe militärischer Art es gebieten oder wenn Spionage oder Verrat vorliegen sollte, die Bevölkerungen aus Dörfern oder Städten ganz oder teilweise in andere Teile des Landes zu überführen.

Das neue vorläufige Gesetz legt fest, dass das Eigentum der gemäß dem genannten Gesetz vom 27. Mai deportierten Bevölkerung von der öffentlichen Hand übernommen werden soll. Gemäß der Artikel I, II, III können alle Güter der deportierten Armenier konfisziert werden, wie auch die armenischen Kirchen und Schulen. Es ist klar, dass der Zwangsverkauf von Immobilien Hals über Kopf und unter den jetzigen Umständen bei weitem nicht den wirklichen Wert der Immobilien einbringen kann.

Die im Gesetz erwähnte Liquidationskommission kann völlig willkürlich handeln. Sie erhält die Ermächtigung, jede Forderung der Deportierten zu annullieren ohne diese anzuhören, und deren Eigentum auf andere Anspruchsteller zu übertragen, ohne ihnen das Recht oder die Möglichkeit zu geben, diese Entscheidungen anzufechten. Der eventuelle Gewinn, der nach der Liquidation der Habe der Deportierten übrigbleibt, wird, nach Abzug der Kosten, im Finanzministerium deponiert, ohne dass jedoch etwas darüber gesagt wird, wann er dem Eigentümer zurückgezahlt wird.

Wenn man bedenkt, dass das Gesetz vom 27. Mai die juristische Basis für die großen Armenierdeportationen und den damit verbundenen Verfolgungen bildet, kann man sich gut die weitreichenden Konsequenzen einer willkürlichen Durchführung der Bestimmungen des neuen Gesetzes vorstellen, das zu dem vollständigen Ruin der Armenier Kleinasiens führen kann.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich Ihr ergebenster


Wandel


Anlage 1

Anlage zur Kopie des Ges. Nr. CXXXVIII [138] vom 3. 10. 1915.

”Hilal” 29.9.1915

[Siehe 1915-10-07-DE-002 für den vollständigen Gesetzestext auf Französisch, welcher identisch ist mit dem Gesetzestext, der im „Hilal“ vom 29. September 1915 veröffentlicht worden ist.]

Anlage 2

Anlage zur Kopie des Ges. Nr. CXXXVIII [138] vom 3. 10. 1915.

Loi provisoire du 14. mai 1331 (27. mai 1915).

En temps de guerre, si les commandants d'armées et de divisions, ou leurs représentants, ainsi que les commandants de places indépendantes, voient, de la part de la population, et de n'importe de quelle façon, une opposition contre les ordres du Gouvernement et les actions et mesures relatives à la défense du pays et au maintien la tranquillité, et une agression et une résistance à main armée, ils sont autorisés et obligés à faire immédiatement les répressions les plus violentes au moyen de la force militaire, et à annihiler de leurs fondements mêmes l'agression et la résistance.

Les commandants d'armées et des corps d'armées et divisions indépendants peuvent, par suite d'exigences militaires, ou s'ils sentent de l'espionnage et de la traitrise de leur part, éloigner et faire habiter en d'autres endroits, individuellement ou en masses, les populations des villages et des bourgs.

[Nachfolgend die deutsche Übersetzung durch den Dragoman Schönberg der deutschen Botschaft in Konstantinopel, wiedergegeben in Dok. 1916-02-28-DE-001, Anlage 1]

Provisorisches Gesetz

betreffend die von militärischer Seite bei Zuwiderhandlungen gegen Regierungsmaßnahmen während der Kriegsdauer zu ergreifenden Maßnahmen.

Art. 1. Wenn während der Kriegsdauer die Armee-, Armeekorps- und Divisionskommandanten oder ihre Stellvertreter sowie die unabhängigen Platzkommandanten bei der Bevölkerung irgendwelche Auflehnung gegen die Befehle der Regierung oder die zur Verteidigung des Landes oder zur Aufrechterhaltung der Ruhe getroffenen Maßnahmen und Anordnungen sowie aktiven oder passiven Widerstand mit Waffengewalt wahrnehmen, so sind sie ermächtigt und verpflichtet, sie sofort mit militärischer Hilfe aufs Strengste zu ahnden oder den aktiven oder passiven Widerstand von Grund auf zu beseitigen.

Art. 2. Die Kommandanten der Armeen und die unabhängigen Armeekorps und Divisionen können die Bevölkerung von Städten und Dörfern, wo die militärische Notwendigkeit es erheischt oder wo Spionage und verräterische Handlungen wahrgenommen werden, einzeln oder insgesamt nach anderen Orten überführen und ansiedeln lassen.

Art. 3. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Veröffentlichung in Kraft.

Art. 4. Der stellvertretende Oberkommandierende und Kriegsminister ist mit der Ausführung dieses Gesetzes betraut.

Ich bestimme, daß dieser Gesetzentwurf, welcher dem Parlament bei seinem Zusammentritt zur Annahme vorzulegen ist, provisorisch in Kraft gesetzt und unter die Reichsgesetze aufgenommen wird.


den 13. Radschal 13333, 14. Mai 1331
Mehmed Reschad

Der stellvertretende [Oberkommandierende] und Kriegsminister Enver
Der Großwesir Said.



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