1916-01-31-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/99
Botschaftsjournal: 10-12/1916/2934
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Botschafter in in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Cessat
Pera, den ... Januar 1916.

Wie aus der bisherigen Berichterstattung der Kaiserlichen Botschaft an Euere Exzellenz hervorgeht, haben sowohl mein Amtsvorgänger wie ich selbst zu wiederholten Malen die Türkische Regierung auf die grosse Verantwortung aufmerksam gemacht, die sie durch ihr Vorgehen gegen ihre armenischen Untertanen auf sich lade. Abgesehen von den schweren Bedenken, die wir in der Form freundschaftlichen Rates gegen die zur Umsiedlung dieses Volksbestandteiles erlassenen provisorischen Gesetze erheben mussten, waren es ganz besonders die bei der Durchführung derselben begangenen Ausschreitungen und Uebergriffe privater und amtlicher Personen, die uns schon im Interesse der deutschen Gläubiger der Ausgesiedelten zwangen, immer wieder die ernstesten Mahnungen an die Pforte zu richten. Sowohl in allgemein gehaltenen mündlichen und schriftlichen Vorstellungen, z.B. in der Euerer Exzellenz mit Ber. v. 7. Juli v.J. Nr. 433 mitgeteilten Denkschrift an den Grosswesir, als auch in zahlreichen schriftlichen Mitteilungen von Einzelfällen haben wir die Pforte bei aller Anerkennung des notwendigen Teiles ihrer Massnahmen über unsere Beurteilung jener Verstösse gegen Recht und Gesetz nicht im Zweifel gelassen. Als trotzdem eine Aenderung der von uns gerügten Zustände nicht eintrat, sahen wir uns genötigt, zur Wahrung der in Mitleidenschaft gezogenen deutschen Interessen der Pforte zu erklären, dass wir sie für den Schaden verantwortlich machten, den die deutschen Gläubiger der Ausgesiedelten als unmittelbare Folge des rechtswidrigen Verhaltens der türkischen Regierungsorgane erlitten hätten. Wir haben diesen Standpunkt zuletzt der Pforte gegenüber in den Verbalnoten vom 13. Sept. Nr. 6358 und vom 5. Okt.v.J. Nr. 8102 zum Ausdruck gebracht, die E.E. mit Ber. vom 14. Sept. Nr. 6358 und vom 5. Okt. Nr.8102 in Abschrift vorgelegt worden sind.

Auf diese Noten hat nun die Pforte mit Verbalnote vom 22. Dez.v.J. geantwortet, von der ich Ew. E. mit Bericht vom ... Nr. ... eine Abschrift vorzulegen die Ehre hatte. In dieser Note gelangt die Türkische Regierung zu dem Ergebnis, dass sie den durch die Armenierverfolgungen geschädigten deutschen Reichsangehörigen in keiner Weise schadensersatzpflichtig sei. Die Prämissen, die diesem Schluss vorausgeschickt werden, halten in ihrer Mehrzahl einer strengen Prüfung nach logischen und rechtlichen Grundsätzen nicht stand.

Gleich das erste in der Note enthaltene Argument, dass Akte der inneren Verwaltung eines Landes, selbst wenn sie die Interessen der in ihm wohnenden Fremden berühren, nicht den Gegenstand eines diplomatischen Schrittes bilden dürfen, trifft in dieser Verallgemeinerung nicht zu; denn wenn sich diese Akte der Verwaltungsorgane als Delikte darstellen oder zu den eigenen Gesetzen des betreffenden Landes sonstwie im Widerspruch stehen, so dürfte nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen dem dadurch geschädigten Ausländer ein Schadensersatzanspruch an die Landesregierung und seiner diplomatischen Vertretung die Befugnis zustehen, diesen Anspruch zum Gegenstande diplomatischer Vorstellungen zu machen.

Als Hauptgrund für die Ablehnung der Entschädigungspflicht bedient sich die Pforte des Satzes, dass die Ausübung eines Rechtes keinerlei Ersatzpflicht begründen könne. Auch dieser Satz ist in seiner Allgemeinheit rechtlich sicher nicht haltbar und könnte z.B. leicht durch den Hinweis auf die Enteignung entkräftet werden, die zweifellos ein Recht des Staates ist und diesen dennoch zu vollem Schadensersatze an den Enteigneten verpflichtet.

Ebensowenig Wert kommt dem nächsten Argument der Pforte zu, dass die Türkische Regierung umso weniger schadensersatzpflichtig sei, als sie sich bemüht habe, durch das provisorische Gesetz vom 17. Zilkadé (13. Sept.) den durch die Armenierverschickung verursachten Schaden auf ein Mindestmass zu beschränken. Der Versuch, das Mass des Schadens zu verringern, kann natürlich, selbst wenn er als geglückt zu erachten wäre, für die Beurteilung der Frage, ob die Türkische Regierung dem Grunde nach ersatzpflichtig sei, nicht ins Gewicht fallen.

Endlich enthält auch die im vorletzten Absatze der Note enthaltene Begründung der Ablehnung der von hier aus angeregten Fristverlängerung für die im Auslande wohnenden Gläubiger einen logischen Fehler; als Grund der Ablehnung wird nämlich angeführt, dass das obenerwähnte Gesetz mit seiner Veröffentlichung in Kraft getreten sei und dass daher Fremde ebenso wie Einheimische die darin vorgesehenen Fristen innehalten müssten. Mit der fast naiv anmutenden Hervorhebung dieser notorischen Tatsache geht die Pforte darüber hinweg, dass der Schritt der Kais. Botschaft gerade bezweckte, die Türkische Regierung zu einer Aenderung der erwähnten Vorschrift des provisorischen Gesetzes zu veranlassen.

Die angeführten Argumente laufen also teils auf eine petitio principii hinaus, teils umgehen sie den Kern der zu behandelnden Fragen. Sie entbehren daher der Beweiskraft. Nach ihrer Ausmerzung bleiben die folgenden Sätze übrig:

1) Jeder Staat hat das Recht, in seinem Gebiete auftretende Aufstandsbewegungen zu unterdrücken.

2) Die Verantwortung für den entstandenen Schaden fällt den feindlichen Staaten zu, da sie die armenische Aufstandsbewegung hervorgerufen und unterstützt haben.

Der erste Satz ist von uns, wie die Pforte selbst zugibt, nicht bestritten worden. Es ist auch zuzugeben, dass die Aussiedlung von Teilen der armenischen Bevölkerung im militärischen Interesse lag und als Notwehrhandlung gelten kann.

Von dem zweiten Satze trifft zu, dass die armenische Aufstandsbewegung durch das Verhalten der feindlichen Staaten, insbesondere Russlands und Englands, hervorgerufen und gefördert worden ist. Nicht zuzugeben ist jedoch, dass deswegen die genannten feindlichen Staaten auch ausschliesslich für den entstandenen Schaden verantwortlich seien. Die Pforte unterdrückt in ihrer Beweisführung wohlweislich den zu diesem Fehlschlusse notwendigen falschen Vordersatz, dass nämlich der Schaden für den wir sie ersatzpflichtig machen wollen, eine unmittelbare Folge der zur Bekämpfung der Aufstandsbewegung angeordneten Armenierumsiedlung sei. Hiermit ist der Kernpunkt der Frage berührt, an dem die Pfortennote ihrem ganzen Inhalte nach geflissentlich vorbeiargumentiert. Sie ist auf der Voraussetzung aufgebaut, dass der direkte Schaden, den die beteiligten Reichsangehörigen erlitten haben, durch die Umsiedlung an sich entstanden sei. Wir dagegen haben in unserer Note vom 13. Sept.v.J. ausdrücklich hervorgehoben, dass die Ursache dazu, abgesehen von unzweckmässigen administrativen Massnahmen, in dem ungesetzlichen Vorgehen der Provinzialbehörden zu suchen sei.

Bei der weiteren Behandlung der Angelegenheit werden wir uns gegenwärtig zu halten haben, dass wir nicht berechtigt sind, zu untersuchen, ob die Umsiedlung des armenischen Volkselementes in dem geschehenen Umfange zur Erreichung des Zweckes, der Unterdrückung und Verhütung eines armenischen Aufstandes, notwendig war.

Sehr zweifelhaft erscheint ferner, ob zu den Befugnissen einer fremden Vertretung die Aufrollung der Frage gehört, ob die Umsiedlung nicht verurteilter Personen und die Liquidierung ihres Vermögens mit der türkischen Verfassung in Widerspruch steht. Der frühere Kammerpräsident Achmed Risa Bey, hat in einer im Senat gehaltenen Rede, deren Inhalt in französischer Uebersetzung in der Anlage beigefügt ist, diesen Widerspruch behauptet. Es handelt sich hierbei um zwei provisorische Gesetze:

1) Das Gesetz vom 14. Mai a.St. v.J., von dem ich mich beehre, eine deutsche Uebersetzung in der Anlage beizufügen, und dessen Art. 2 die Armee-, Armeekorps- und Divisionskommandanten ermächtigt, die Bevölkerung derjenigen Stadt- und Landgemeinden, in denen aufrührerische Bewegungen wahrgenommen werden, umzusiedeln.

2) Das Gesetz vom 13. Sept.v.J., betreffend die Güter, Schulden und Forderungen der verschickten Personen, über das ich Ew. Ex. unter dem 5. Okt. v.J. Nr. 8102 zu berichten die Ehre hatte.

Selbst wenn wir uns der Ansicht Achmed Risa Bey’s anschlössen, möchte ich doch nicht annehmen, dass wir befugt sind, sie der Pforte entgegen zu halten; denn das letztgenannte Gesetz, von dem die deutschen Gläubiger betroffen werden, wird tatsächlich auch auf die türkischen Gläubiger der Umgesiedelten angewandt und nach völkerrechtlichen Grundsätzen darf der Fremde im Aufenthaltsstaate keine bevorrechtigte Stellung vor dem Einheimischen beanspruchen. Diesen Gedanken hat die Pforte wohl auch in ihrer wenig geschickt abgefassten Antwortnote vom 22. Dez. zum Ausdruck bringen wollen.

Mit demselben Argument könnte die Pforte endlich einen weiteren Einwand bekämpfen, der vom Standpunkte der Interessenvertretung der deutschen Gläubiger in die Augen springt, dass nämlich das Gesetz vom 13. Sept. Bestimmungen enthält, welche dem fremden Gläubiger die Befriedigung seiner Forderung erheblich erschweren, wenn nicht praktisch unmöglich machen. Ich darf wegen dieses Punktes, der bereits in dem Berichte der Kais. Botschaft vom 5. Okt. v.J. Nr. 8102 hervorgehoben worden ist, noch auf die in Abschrift beiliegende Verbalnote Bezug nehmen, welche die hiesige Oester.Ung. Botschaft auf Grund eines Gutachtens der Oester.Ung. Handelskammer am 23. Okt.v.J. an die Pforte gerichtet hat.

Es dürfte unter diesen Umständen nur ein Weg übrig bleiben, um die Türkische Regierung rechtlich für den direkten Schaden verantwortlich zu machen, den Reichsangehörige aus Anlass der Armenierumsiedlung erlitten haben: wir müssen unsere Forderungen darauf stützen, dass der Schaden nicht durch die Umsiedlung an sich, sondern durch die Uebegriffe und Ausschreitungen verursacht ist, welche die Organe der Türkischen Regierung sich bei der Durchführung der Massregeln haben zu Schulden kommen lassen.

Es dürfte sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein, in jedem Einzelfalle den schlüssigen Beweis für diese Behauptung zu erbringen; die armenischen Zeugen der Vorgänge sind zum weitaus grössten Teil nicht mehr am Leben; der Rest würde nach den mit den türkischen Organen gemachten Erfahrungen zu einer diese belastenden wahrheitsgemässen Aussage ebenso wenig zu bewegen sein wie etwaige sonstige Zeugen türkischer Staatsangehörigkeit. Nichttürkische Augenzeugen der Uebergriffe sind nur in verschwindender Zahl vorhanden. Ihrer Aussage würde die Türkische Regierung vermutlich die entgegenstehende Bekundung ihrer eigenen Beamten gegenüberstellen.

Es dürfte indessen nicht erforderlich sein, in jedem Einzelfalle den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem entstandenen Schaden und dem Verhalten der türkischen Organe nachzuweisen. Die Uebergriffe und Ausschreitungen der letzteren bei der Durchführung der Umsiedlung sind in so zahlreichen Fällen erwiesen, dass ihre Häufigkeit zu der Vermutung berechtigt, dass auch in denjenigen Fällen, für welche ein schlüssiges Beweismaterial nicht vorliegt, ein Verschulden türkischer Organe gegeben ist. Es wäre daher an der Türkischen Regierung, diese gegen sie sprechende Vermutung in jedem von ihr bestrittenen Einzelfalle durch Erbringung eines bündigen Gegenbeweises zu entkräften.

Die Uebergriffe und Ausschreitungen der türkischen Organe sind von unseren Konsulaten in Erserum, Mossul, Aleppo, Adana und Trapezunt in einer umfangreichen, drei Aktenbände füllenden Berichterstattung behandelt, nach welcher folgende Punkte als erwiesen und durch Beispiele belegbar zu erachten sind:


A. Ausschreitungen gegen das Leben der Ausgesiedelten.


1) In sehr vielen Fällen sind von der Regierung armenische oder andere christliche Volkselemente ausgesiedelt worden, ohne dass die in dem Gesetze vom 14. Mai hierfür geforderten Voraussetzungen gegeben waren. Vielfach sind diese Voraussetzungen sogar von türkischen Polizeiorganen dadurch geschaffen worden, dass sie in die Taschen von Armeniern heimlich Patronen steckten, die dann bei der nachfolgenden polizeilichen Untersuchung als Beweis für aufrührerische Gesinnung verwertet wurden.

2) Die türkischen Behörden haben es unterlassen, die zum Zwecke von Ausschreitungen gegen Leben und Eigentum der Ausgesiedelten organisierten Banden zu unterdrücken. Von vielen türkischen Beamten und Militärs ist offen zugegeben worden, dass das von der Regierung mit ihren Massnahmen verfolgte Endziel nicht die Umsiedlung, sondern die Ausrottung der Armenier sei.

3) Türkische Polizisten, Gendarmen und Soldaten haben sich, teils auf Befehl ihrer Vorgesetzten, teils eigenmächtig, an der Tötung der Ausgesiedelten beteiligt. Besonders stark belastet sind in dieser Beziehung der Wali von Diarbekir, Reschid Bey, der Wali von Erserum, Tachsin Bey, der Polizeidirektor von Erserum, Chulussi Bey, und ein gewisser Machmud Kiamil Pascha. Vielfach sind auch Privatleute von Regierungsbeamten zur Ausrottung von Umsiedlern angestiftet worden.

4) Die Regierung hat es unterlassen, die in den Umsiedlerzügen ausgebrochenen ansteckenden Krankheiten zu bekämpfen.


B. Ausschreitungen gegen das Eigentum der Ausgesiedelten.


1) Türkische Polizisten, Gendarmen und Soldaten haben sich an der Niederbrennung der Häuser der Ausgesiedelten beteiligt.

2) Die türkischen Polizisten, Gendarmen und Soldaten haben an der Plünderung der Häuser der Ausgesiedelten hervorragenden Anteil genommen und sich an der Plünderung der Umsiedlerzüge beteiligt. Die diese Züge begleitenden Gendarmen sowie andre Beamte haben vielfach von den Umsiedlern Geld erpresst.

3) Türkische Militärs und Verwaltungsbeamte haben gegen hohe Bestechung gewisse reiche Armenier verschont. In dieser Beziehung sind zum Beispiel stark belastet der Wali von Adana, Hakki Bey, und der Polizeichef von Adana, Djemal Bey.

4) Der Grundbesitz der Ausgesiedelten wird nur auf türkische Staatsangehörige, genauer nur auf Mohammedaner, übertragen. Für die fremden Gläubiger ist es unmöglich, das Grundeigentum ihrer Schuldner zu erwerben. Der von der Regierung festgesetzte Preis für die Grundstücke ist so unverhältnismässig niedrig, dass er zur Begleichung der Schulden der früheren Eigentümer nicht entfernt ausreicht.

Das im Vorstehenden bezeichnete gesetzwidrige Verhalten der türkischen Organe hat zur Folge gehabt, dass bei der Umsiedlung die davon Betroffenen in den weitaus meisten Fällen ihr Leben, in allen Fällen ihr Eigentum eingebüsst haben, sodass es den deutschen Gläubigern unmöglich gemacht ist, ihre Forderungen aus dem Vermögen ihrer Schuldner zu befriedigen.

Ich möchte empfehlen, der türkischen Regierung unter Widerlegung ihrer Argumente und Hervorhebung der vorstehenden Gesichtspunkte, vielleicht mit Ausnahme des unter B 3 erwähnten, zu antworten, daß wir sie nach wie vor für den unmittelbaren Schaden verantwortlich halten, den Deutsche anläßlich der Armenierverfolgungen erlitten haben. Die Schadensersatzansprüche wären dann in die bei den Konsularbehörden geführten Listen der Forderungen von Reichsangehörigen an die Türkische Regierung aufzunehmen.

Wegen der von mir in dieser Frage weiter zu beobachtenden Haltung darf ich E.E. bitten, mich geneigtest mit Weisung versehen zu wollen.


[Notiz Botschaft]

Abg. Herrn Dr. Göppert z. gfl. K.[zur gefälligen Kenntnis]

2. Nach 2 Mon[aten] w[iedervorzulegen].



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