1916-09-29-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14093
Zentraljournal: 1916-A-26582
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 09/30/1916 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Leiter der Zentralstelle für Auslandsdienst (Jäckh) an den Legationsrat im Auswärtigen Amt Rosenberg

Schreiben



Berlin, den 29. September 1916
Sehr verehrter Herr von Rosenberg!

In der Beilage übersende ich Ihnen das telephonisch angekündigte Schreiben, das die Schweizer Armenierfreunde an Dr. Rohrbach gerichtet haben. Die unterzeichneten Namen sind sehr gut, sie stammen zumeist aus der französischen Schweiz. Wir werden bei der nächsten Gelegenheit darüber reden können.Mit ergebenem Gruss


Ihr Jäckh1
Anlage
Basel-Genf, den 23/24. September 1916
Herrn Dr. Paul Rohrbach, Berlin-Friedenau.

Sehr geehrter Herr Doktor,

So viel uns bekannt ist, stehen Sie in Verbindung mit dem deutschen Auswärtigen Amt & aus diesem Grunde bitten wir Sie, ein Anliegen in Sachen der verfolgten Armenier, das uns ausserordentlich am Herzen liegt, dem Herrn Reichskanzler oder dem Herrn Staatssekretär des Auswärtigen als dringliches & aufrichtiges Gesuch aus einem neutralen Lande zu unterbreiten. Wir tun dies im Vertrauen auf die Erklärung, die der Herr Reichskanzler im vorigen November den Vertretungen deutscher evangelischer & katholischer Armenierfreunde abgegeben hat: ”die deutschen Christen können darauf vertrauen, dass ich alles, was in meiner Macht steht, tun werde, um den mir von ihnen vorgetragenen Wünschen & Sorgen Rechnung zu tragen.”

Es ist Ihnen bekannt, welche Zustände unter den Armeniern in der Türkei herrschen. Es ist klar - und die Türken gestehen es nicht nur durch die Tat, sondern auch mit ausdrücklichen Worten ein -, dass das armenische Volke ausgerottet werden soll. Die Männer sind zum grössten Teil getötet; die Frauen & Kinder verhungern & sterben an Krankheiten, Erschöpfung & Vergewaltigung an den Orten, wohin man sie deportiert hat & auf dem Wege dorthin. In der Provinz aber besteht trotzdem die Möglichkeit, unter Benützung des menschlichen Mitleids, der guten Einsicht & des eigenen Vorteils verschiedener Stellen die noch am Leben befindlichen armenischen Frauen & Kinder weiter zu erhalten, den unter ihnen wütenden Seuchen zu steuern, ihre Krankheiten zu heilen, ihnen Lebensmittel zukommen zu lassen, falls dazu Geldmittel zur Verfügen & zu erhalten. Bei uns in der Schweiz, die schon seit 20 Jahren ihr werktätiges Interesse am leidenden armenischen Volk durch Hilfswerke bekundet, besteht, wie wohl auch in andern neutralen Ländern, der lebhafte Wunsch, durch Geldsammlungen den durch Hunger & jedes andere denkbare Elend zu Grunde gehenden Frauen & Kindern zu helfen. Es sind für unser kleines Land schon ansehnliche Summen gesammelt & verwendet worden. Aber leider reichen private Sammlungen bei Weitem nicht aus. Die deutsche Regierung dagegen besitzt, soweit wir zu urteilen im Stande sind, sowohl Mittel, um zu helfen, als auch die Möglichkeiten, die richtigen Kanäle zu finden & zu benützen. Im Namen der Menschlichkeit & gewiss auch zum eigenen zukünftigen Vorteil Deutschlands wagen wir daher den Gedanken auszusprechen, ob nicht die deutsche Regierung in geeigneter Weise selber die Summen aufwenden könnte, um den Ueberresten des armenischen Volkes, unter denen es Männer im waffenfähigen Alter überhaupt kaum noch gibt, wenigstens nicht in den Deportationsgebieten, das Notdürftigste an Nahrung, Kleidung, Medikamenten & ärztlicher Fürsorge zukommen zu lassen. Angesichts der ungeheuren Ausgaben dieses Weltkrieges würde es sich hierbei doch nur um verhältnismässig verschwindende Beträge handeln.

Wir wären Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, von Herzen dankbar, wenn sie Ihrer Regierung diese dringende Bitte um Schutz für das sterbende älteste christliche Volk, dessen übergrosse Mehrheit unschuldig leiden muss & die Verfolgungen & Angriffe, denen es ausgesetzt ist, nicht veranlasst hat & unter dessen unglücklichen Ueberresten jeder Tag noch grausame Opfer fordert, vorlegen & uns von der Antwort, die Sie erhalten, verständigen wollten.


Im Namen zahlreicher schweizerischer Armenierfreunde
mit vorzüglicher Hochachtung

[Unterschriften]


Geschäftsführer des Ausschusses des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien mit dem Beifügen, daß diesem Schreiben auch Herr Professor Henri DuBois in Neuchâtel seine Zustimmung gegeben hat durch Gegenzeichnung einer Abschrift des vorstehenden Schriftstückes.

Basel 24 Sept 1916

1 Anmerkung Rosenberg: Herrn v. T[iedemann] 1. Was ist praktisch bei unseren Bemühungen für das "Schweizer Hilfswerk für Arm." herausgekommen? 2. Welche Konsuln haben wir, um Unterstützung an die Bedürftigen zu leiten? Anmerkung Tiedemann: Bitte erg. um die letzten Berichte aus Pera, Aleppo und Damaskus aus Frühjahr und Sommer 1916.



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