1916-11-17-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14094
Zentraljournal: 1916-A-31505
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 11/21/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 710
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Kühlmann) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 710

Pera, den 17. November 1916

Im Anschluß an Bericht Nr. 703 vom 13. d.M und anderweitige Berichterstattung. [A 31127 und A 31936]

1 Anlage

Euerer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage Abschrift einer Aufzeichnung des Marschalls Liman von Sanders über die Armenierverschickungen in Smyrna vorzulegen. Wie daraus und auch aus dem nebenbezeichneten Bericht hervorgeht, sind die gegen die Armenier gerichteten Maßnahmen auf Anordnung aus Konstantinopel getroffen worden. Der Vorwand für die Verschickungen das angebliche Auffinden von Bomben und Waffen auf einem armenischen Friedhof gehört zu dem schon bekannten Inventar der türkischen Behörden an solchen Vorwänden. Das Eingreifen des Marschalls ist auch deshalb zu begrüßen, weil sich in Smyrna, wie dies auch an anderen Orten vorgekommen ist, das Gerücht verbreitet hatte, die deutschen militärischen Stellen hätten die Austreibung der Armenier verlangt. Ich werde nicht verfehlen, die türkische Regierung auf den Vorfall anzureden und ihr größte Vorsicht in der Behandlung der Armenierfrage zu empfehlen; von dem Vorschlag eines Abtransports nach Deutschland glaube ich aber Abstand nehmen zu sollen, um nicht das allzeit rege Mißtrauen der Türken wachzurufen.1


Kühlmann

Anlage


Abschrift.

Militär-Mission B.Nr. 1950 geh..


Constantinopel, den 17. November 1916
Bericht.

Vom 4. - 11. November war ich zur Besichtigung der neu formierten 56. Division und der nach dem Europäischen Kriegsschauplatz abzutransportierenden 16. Division in Smyrna.

Am Donnerstag, den 9. November, gegen Abend, als ich von der Besichtigung der oesterreichischen Batterie bei Phokia zurückkehrte, wurde mir von Konsul Graf v. Spee mitgeteilt, daß am 8. und in der vergangenen Nacht zahlreiche Armenier-Verhaftungen in Smyrna stattgefunden hatten, und daß diese Armenier mit der Eisenbahn in das Innere des Landes abtransportiert seien.

Ich zog an verschiedenen Stellen nähere Erkundigungen ein. Es wurde mir bestätigt, daß durch die Polizei zum Teil in rohester Weise, indem alte Frauen und kranke Kinder in der Nacht aus den Betten geholt wurden mehrere hundert Armenier verhaftet und direkt auf die Bahn gebracht worden seien. Zwei Eisenbahnzüge voll Armenier waren abtransportiert worden. In der Stadt herrschte große Aufregung über diese Vorgänge.

Ich schickte am 10. November morgens den Chef des Stabes der V. Armee, Oberst Kiasim Bey, zum Vali und ließ ihm sagen, daß ich derartige Massen-Verhaftungen und -Transporte, welche in einer vom Feinde bedrohten Stadt nach verschiedenen Richtungen in das militärische Gebiet eingriffen, nicht weiter dulden würde. Sollte die Polizei trotzdem mit diesen Maßnahmen fortfahren, so würde ich sie mit Waffengewalt durch die mir unterstehenden Truppen verhindern. Ich gab dem Vali bis zum Mittag dieses Tages Zeit, sich zu entscheiden.

Den Kommandierenden General in Smyrna, Königl. Preuß. Oberst Trommer, der die Vorgänge bereits kannte, verständigte ich durch Major Prigge von obiger Mitteilung und den ev. zu treffenden Maßnahmen.

Gegen 1,30 Nachm. kam Major Kiasim Bey vom Vali - der in Burnabad war - zurück und meldete mir, daß die Verhaftungen und Transporte eingestellt worden seien und unterbleiben würden.

Am Nachmittag des Tages kam der erste Departementschef des Vali - Kara Biber Bey - zu mir, und hatte ich ausführliche Rücksprache über die Angelegenheit mit ihm.

An demselben Abend kamen 3 Griechen aus Urla bei Smyrna (ca. 25000 griechische Einwohner) zu mir und zeigten mir mit Bitte um Hülfe an, daß die 10 angesehensten und reichsten Notabeln in Urla durch 30 dorthin entsandte Gendarmen ohne Verhör verhaftet und in das Smyrnaer Gefängnis verbracht worden seien.

Am 11. Nov. Vorm. war ich zu Besichtigungen in Urla, fand die Tatsache bestätigt und erhielt vom Abschnittskommandeur nähere Meldung.

Am 11. Nov. Nachm. suchte mich der Vali persönlich auf. In einer langen Rücksprache setzte mir der Vali die Gründe für die Massen-Verhaftungen der Armenier auseinander. Ich konnte diese Gründe, die auf ganz unzureichenden Grundlagen beruhten, nicht billigen und betonte, daß die militärische Lage die größte Ruhe in der zum größten Teil von Griechen bewohnten Stadt Smyrna unbedingt erforderen.

Der Vali teilte mir vertraulich mit, daß er die Maßregeln aus den vorher genannten Gründen in Übereinstimmung mit dem Minister Talaat Bey und anderen maßgebenden Persönlichkeiten (Komitee-Mitgliedern) getroffen habe.

Ich erklärte dem Vali, daß ich [dies]hier als Oberbefehlshaber in meinem Bezirk nicht dulden dürfe, ohne die Ruhe zu gefährden. Er könne sich auf mich berufen. Er sagte dies zu und versprach mir schriftlich Nachricht zu geben.

Ebenso veranlaßte ich sofortige Untersuchung über die scheinbar unschuldig verhafteten Einwohner von Urla.

Am Abend reiste ich ab. Der Vali war an der Bahn.

Kurz nach meiner Rückkehr nach Panderma erhielt das Oberkommando Schreiben des Vali, worin mitgeteilt wurde, nach welchem Ort die Armenier verbracht worden seien, und in dem erklärt wurde, daß die unschuldig Befundenen nach Smyrna zurücktransportiert werden würden.


[Liman von Sanders]
Königl. Preuß. General der Kavallerie

1 Anmerkung Zimmermanns: Kommt selbstverständlich nicht in Frage.



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