1916-11-30-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14094
Zentraljournal: 1916-A-34247
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 12/16/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: A 1800
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Gesandte in Den Haag (Rosen) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



A 1800
Haag, den 30. November 1916.
5 Anlagen.

Auf den hohen Erlaß Nr. 216 vom 9. November d.J. hin habe ich Dr. Lepsius gebeten, zu mir zu kommen, und ihn mündlich von dem Inhalt der Anlage des Erlasses Kenntnis gegeben.

Dr. Lepsius antwortete mir auf alle Punkte in seiner gewohnten jesuitischen und doppelsinnigen Dialektik mit möglichst allgemein gehaltenen, jeder direkten Fragestellung ausweichenden Redensarten. Seine Rede war niemals “ja, ja, nein, nein”, sondern nur immer das, was darüber ist.

Immerhin machte der Inhalt des über ihn erstatteten Berichts einen gewissen Eindruck auf ihn. Er zeigte sich dadurch so betroffen, daß es mir gelang, ihn zu Protokoll zu vernehmen. Das Protokoll liegt urschriftlich und abschriftlich bei.

Zu den Aeußerungen Dr. Lepsius’ über die Frage, ob er sich als Vertrauensmann der Kaiserlichen Regierung dargestellt hat oder nicht, bemerke ich gehorsamst das Folgende: Auch mir gegenüber wußte er jeden Satz so zu drehen, daß man sowohl auf ja wie auf nein schließen konnte. Er zeigte große Entrüstung gegen die Unterstellung, als habe er behauptet, im Auftrage Euerer Exzellenz, Verbindungen mit Engländern zur Einleitung von Friedensverhandlungen angeknüpft zu haben, ließ aber gleichzeitig doch immer wieder durchblicken, daß er dies und zwar mit Wissen und mit ausdrücklicher Billigung Euerer Exzellenz getan habe. Er berief sich immer wieder auf Gespräche mit Herrn von Jagow, mit Herrn Staatssekretär Zimmermann und anderen amtlichen Persönlichkeiten, in deren Sinne und auf deren Wunsch er tätig gewesen sei. [Anmerkung Zimmermanns: Ich habe mündl. L. gegenüber keinen derartigen Wunsch geäußert.] Er legte Erstaunen über meine Eröffnungen an den Tag, welche im stärksten Gegensatz zu den Anschauungen des Auswärtigen Amts ständen. Meinem wiederholten Hinweis gegenüber, daß ich doch nur im Auftrage des Auswärtigen Amts spreche, versuchte er zunächst den Ungläubigen zu spielen.
Er kam immer wieder darauf zurück, daß namentlich seine Tätigkeit in Sachen der Armenier vom Auswärtigen Amt gebilligt werde und daß er mehrfach dafür besonders belobt worden sei. Ich erwiderte ihm hierauf, daß ich auf das Meritorische seiner Armenierpropaganda nicht eingehen könne, daß ich aber auf Grund langjähriger Orienterfahrungen der Ansicht sei, daß diese Propaganda den Armeniern selbst Gefahren bringe, außerdem aber augenblicklich von unsern Feinden gegen das Reichsinteresse ausgenutzt werde. Auf seine Frage, ob er denn genötigt werden solle, seine “humanitäre” Tätigkeit einzustellen, antwortete ich ihm, es handle sich nur um die in der Oeffentlichkeit hervortretende Propaganda durch Druckschriften und fragte, ob er eventuell diese bis zum Kriegsende zurückstellen würde. Dr. Lepsius wollte sich diese Frage, die ich ihm sehr genau und mehrfach wiederholte, - indem ich nur von dem Verbreiten von Druckschriften sprach und ausdrücklich das Sammeln und Versenden von Geld für die Armenier nicht mit einbezog, hierfür sogar die weitere Unterstützung des Auswärtigen Amts in Aussicht stellte - noch überlegen und später beantworten. Gestern erhielt ich nun von ihm das abschriftlich gehorsamst beigefügte Schreiben, in dem Herr Lepsius mir, bezw. der Kaiserlichen Regierung, etwas ganz Anderes unterstellt als das, was ich ihn gefragt hatte. Ich habe gegen diese Unterstellung in dem ebenfalls abschriftlich beigefügten Schreiben Verwahrung eingelegt.

Dr. Lepsius sagte, daß er aus Gesundheitsrücksichten in Scheveningen lebe. Er zeigte sich einigermaßen besorgt, ob er vielleicht infolge der zu erwartenden Ordnung des Zivildienstes genötigt sein würde, nach Deutschland zurückzukehren. Eine Möglichkeit, seine Ausweisung aus Holland durch die hiesigen Behörden zu erlangen, besteht nicht, solange seine Papiere in Ordnung sind und er Subsistenzmittel besitzt. Sein gegenwärtiger Aufenthaltsort befindet sich nicht im Belagerungszustand. Wäre dies der Fall, so brauchte er nur nach dem Innern des Landes zu gehen, um sich einer Behelligung durch die Behörden zu entziehen


Rosen

Nachschrift: Nach Erhalt meines in obigem Berichte erwähnten Schreibens hat mir Dr. Lepsius unter dem 2. d.M. den gehorsamst ebenfalls abschriftlich beigefügten Brief geschrieben. Auch in diesem Schreiben noch windet er sich um die eigentliche Frage herum und läßt es noch immer nicht klar erkennen, ob er nun auf Armenier-Propaganda durch Verbreitung von Druckschriften verzichten will. Immerhin kann man wohl annehmen, daß der Eindruck meiner Vorhaltungen wenigstens einige Zeit noch bei ihm andauern und daß er es vermeiden wird, durch seine unzeitgemäße Propaganda unseren Feinden allzu sehr in die Hände zu arbeiten.

Rosen

Anlage 1

Anlage zu Bericht A 1800 v. 30.11.16

Gesandtschaft Haag

Bei mir erschien heute Dr. Johannes Lepsius, der mir, nachdem ich ihm mündlich von einem über ihn erstatteten Berichte Mitteilung gemacht hatte, folgendes zu Protokoll erklärte:

“Ich habe nur ein Exemplar meiner Schrift über die Armenier an Dr. John Mott nach Amerika geschickt, nicht, wie behauptet wird, mehrere Exemplare.

Ich stelle in Abrede daß ich für einen Plan eingetreten sein soll einen Frieden mit England auf Kosten der Türkei abzuschließen. Im Gegenteil bin ich für die Wiederherstellung der Integrität der Türkei.

Ich habe allerdings dabei mitgewirkt durch einen von Genf nach London entsandten Armenier Dr. Sabrieff, eine Einladung an Lord Bryce ergehen lassen nach der Schweiz zu kommen um dort wegen künftigen Friedensbesprechungen Fühlung zu nehmen. Ich habe aber hierüber dem Herrn Staatssekretär von Jagow ausführlich mündlich berichtet. Auch habe ich den Bericht des Dr. Sabrieff Herrn von Jagow mitgeteilt.

Über die Fühlung, die ich hier im Mai zusammen mit Herrn Hahn mit dem [nicht entziffert] (Dresselhuys [Gemeint ist der Unterstaatssekretär im Justizministerium Dresselhuis.] ) genommen und den Bericht, den Hoegenholz [Gemeint ist das Mitglied der 2. Kammer Hugenholtz]. von London mitgebracht hat, liegt schon schriftlicher Bericht von mir dem Auswärtigen Amte vor.

Alles Übrige, sowie namentlich meine angebliche Berufung auf das Auswärtige Amt und den Herrn Reichskanzler, ist vollständig unwahr.

Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben


Dr. Johannes Lepsius

Verhandelt den 24. November 1916

Rosen


Anlage 2

Anlage zu Bericht Haag A 1800.

Abschrift.

Dr. J. Lepsius.


z.Zt. Scheveningen, Genthschestraat 30.
Potsdam, den 28. November 1916.
Gr. Weinmeisterstr. 45.
Euer Exzellenz

beehre ich mich beiliegend meine Erwiderung auf die mündlichen Mitteilungen vom vorigen Freitag zu überreichen, die ich dem Auswärtigen Amt zugehen zu lassen bitte.

Zugleich erlaube ich mir Euer Exzellenz das Aprilheft des “Panther” 1916 zu übersenden. Meine Beurteilung englischer Politik, die durch die Ihnen zugegangenen entstellenden Berichte, in zweifelhaftes Licht gerückt wurde, entspricht den Anschauungen, die ich in meinem “John Bull” verkörpert habe.

In ausgezeichneter Hochachtung
Euer Exzellenz ergebener


[Dr. Johannes Lepsius]


Anlage 3

Abschrift der Anlage obigen Schreibens.


Euer Exzellenz

beehre ich mich auf die mündlichen Mitteilungen vom letzten Freitag das Folgende zu erwidern:

Ich kann nicht erklären, daß ich das von mir betriebene Hilfswerk für die deportierten Waisen und Witwen des armenischen Volkes und die dazu erforderlichen Sammlungen einstellen werde. Es hieße dies, viele Hunderte von Waisenkindern, brotlosen Frauen und Kranken, die dem Verderben entrissen wurden, dem Untergange preiszugeben.

Es ist seiner Zeit auf die von mir veranlaßte Eingabe von fünfzig deutschen Theologen und Missionsvertretern an den Herrn Reichskanzler von diesem erwidert worden, daß einer Hilfstätigkeit nichts in den Weg gelegt werden würde.

Ich halte die Tatsache, daß sich die deutsche Christenheit gegen die Not eines Christenvolkes in der Türkei nicht verschlossen und die elementaren Forderungen der Humanität, soweit es noch im Bereich der Möglichkeit lag, zu erfüllen mitgeholfen hat, für ein moralisches Aktivum unserer nationalen Ehre, das auch für den Friedensschluß und nach dem Frieden einen politischen Wert darstellt. Ich habe daher auch meine Beziehungen zu auswärtigen Armenierfreunden jederzeit dazu benützt, um die Anklagen, die von Seiten der Ententepresse und der feindlichen Staatsmänner gegen die deutsche Reichsregierung erhoben wurden, zu entkräften und zurückzuweisen.

Ich werde, um eine Gefährdung unserer politischen Beziehungen zur Türkei zu verhüten, bei der Weiterführung der Sammlungen alle Mitteilungen, durch die die Empfindlichkeit der türkischen Regierung gereizt werden könnte, unterlassen und auch die Erörterung der Schuldfrage bis zur Beendigung des Krieges zurückstellen.

Ich glaube, daß hiermit den Wünschen der Reichsregierung genug getan ist.

Sollte die Reichsregierung, wie Euer Exzellenz anzunehmen schienen, jede Hilfstätigkeit zu Gunsten der dem Untergange geweihten Waisen und Witwen des armenischen Volkes im politischen Interesse unterdrücken wollen, so bitte ich, daß mir ein diesbezügliches Verbot von Seiten des Auswärtigen Amts schriftlich zugestellt wird, damit ich in der Lage bin, meine dadurch verursachte Untätigkeit nach dem Kriege zu rechtfertigen. Da ich im Auslande seit zwanzig Jahren als Anwalt des armenischen Volkes bekannt bin, wird meine Haltung nicht nur als die eines beliebigen Privatmannes bewertet, sondern als die eines Vertreters deutschen Christentums und eines Wortführers deutscher Humanität.

Ich bitte Euer Exzellenz diese meine Aeußerungen dem Auswärtigen Amt zugehen zu lassen.

Euer Exzellenz ergebenster


[Dr. Johannes Lepsius]

Seine Exzellenz Dr. Rosen, Deutsche Gesandtschaft, Den Haag.

Anlage 4


Anlage zu Bericht Haag A 1800.
Abschrift.
Haag, den 30. November 1916.

Sehr geehrter Herr Doktor,

Ihre beiden Schreiben vom 28. d.M. habe ich gestern zu erhalten die Ehre gehabt.

In dem längeren dieser beiden Schreiben findet sich ein Passus, den ich nicht ohne dazu Stellung zu nehmen hingehen lassen darf. Sie schreiben:

“Sollte die Reichsregierung, wie Eure Exzellenz anzunehmen scheinen, jede Hilfstätigkeit zu Gunsten der dem Untergange geweihten Waisen und Witwen des armenischen Volkes im politischen Interesse unterdrücken wollen usw.”

Sie unterstellen mir - und dadurch mittelbar auch der Reichsregierung Aeußerungen, welche meinerseits niemals getan worden sind und zwingen mich hiergegen auf das entschiedenste Verwahrung einzulegen. Meine an Sie gestellte genau formulierte und mehrfach wiederholte Frage hatte einen ganz anderen Wortlaut und auch einen ganz anderen Sinn als die von Ihnen substituierte. In den beiden mir gefälligst zugesandten Schreiben haben Sie nicht, wie Sie mir dies in Aussicht gestellt hatten, auf diese Frage geantwortet, sondern anstatt dessen gegen eine Frage Stellung genommen, die Ihnen von mir nicht gestellt worden ist.

Ich bedauere dieses Mißverständnis umsomehr, als ich geglaubt habe, Ihren humanitären Bestrebungen das weiteste Entgegenkommen gezeigt zu haben.

Mit vorzüglicher Hochachtung


[Rosen]


Anlage 5

Anlage zu Bericht Haag A 1800.
Abschrift.

z.Zt. Scheveningen, Genthschestraat 30.
den 2. Dezember 1916.

Euer Exzellenz

sehr geehrtes Schreiben vom 30. Nov. habe ich erhalten. Es ist mir wertvoll, zu erfahren, daß meine Befürchtung daß von Seiten der Reichsregierung eine Einstellung meiner Hilfstätigkeit im politischen Interesse gewünscht sein könnte, auf einem Mißverständnis beruht. Der Vergleich, den Euer Exzellenz gebrauchten, von der Berufstätigkeit eines Baumeisters, der in einem militärisch bedrohten Gebiet genötigt ist, seine Bauarbeiten einzustellen, legte mir diese Annahme nahe. Ich bin mir aber nicht bewußt, der Frage, die mir Euer Exzellenz stellten, dem Sinne nach ausgewichen zu sein. Der Gegenstand unserer Besprechung war einerseits die Hilfstätigkeit selbst, andererseits die dazu erforderliche Sammeltätigkeit. Ich habe mit Rücksicht auf das politische Interesse, das mir nicht weniger als meine humanen Bestrebungen am Herzen liegt, zugesagt, bei der Veranstaltung der Sammlungen alles zu vermeiden, was die Empfindlichkeit der türkischen Regierung verletzen könnte, und habe damit geglaubt, den wesentlichen Punkt der mir ausgesprochenen Wünsche zu erfüllen.

Es ist erfahrungsgemäß unmöglich, für einen Notstand nennenswerte Erträge zu erhalten, wenn nicht die Geber über die Verwendung ihrer Gaben und über die Fortdauer der Not unterrichtet werden. Würde ich aufhören, den Geberkreisen vertrauliche Mitteilungen zu machen, die sie in dieser Hinsicht orientieren, so würden die Gaben sofort aufhören zu fließen. Soll die Hilfstätigkeit nicht unterdrückt werden, so muß auch die Sammeltätigkeit, und was sie im Gange hält, zulassen. Man kann nicht die Wirkung freigeben und die Ursache unterdrücken, da man sonst de facto auch die Wirkung aufhebt.

Ich weiß nicht mehr, wie Euer Exzellenz die an mich gerichtete Frage formuliert hatten, glaubte aber den Sinn derselben deutlich erfaßt und beantwortet zu haben. Es ist ja nicht das erste Mal, daß ich in den mir obliegenden Aufgaben genötigt war, meine Wünsche mit denen der Reichsregierung auszugleichen. Nach meinen bisherigen Erfahrungen kommt es hierbei weniger auf eine exacte Formulierung als auf die aufrichtige Meinung und den guten Willen an, den ich auch Euer Exzellenz bei mir vorauszusetzen bitte.

Euer Exzellenz ergebenster


[Dr. Johannes Lepsius]

An den Kaiserlichen Gesandten Dr. Rosen, Den Haag.



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