1916-12-08-DK-001
Deutsch :: da de en
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1916-12-08-DK-001
Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. D. 1, ”Tyrkiet - Indre Forhold”. Pakke 1, til 31 Dec. 1916
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 12/08/1916
Telegramm-Ankunft: 12/23/1916
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 169
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/01/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Erik Scavenius)

Bericht



Nr. 169

Konstantinopel, 8. Dezember 1916.

Vertraulich.

Herr Außenminister,

Das osmanische Parlament ist seit vier Wochen zusammengetreten, ohne dass die Diplomaten Informationen über die laufenden Vorgänge bekommen konnten.

Obgleich wir für die Protokolle der Sitzungen bezahlt haben, erhalten wir sie nicht, und jedes Mal, wenn ich sie holen lassen will, bekomme ich eine ausweichende Antwort.

Erst sagte man, sie würden bald geschickt, dann, dass die Regierung sie zurückhält, und als ich einwendete, die Sitzungen seien nicht geheim, sagte man, dass Papiermangel der Grund sei, dass die Protokolle nicht zugesandt worden seien.

Und so wie mir geht es auch meinen Kollegen, die [allerdings] dem Parlament keine Bedeutung beimessen.

Obwohl z.B. der Doyen des diplomatischen Korps, der österreichische Botschafter [Johan Pallavicini] nicht verhindert war, war er trotzdem nicht zur Eröffnungssitzung gekommen, und ich höre von anderer Seite, er habe gesagt, dass ein Botschafter einen solchen Schwindel, wie es das türkische Parlament inzwischen sei, nicht durch seine Anwesenheit ehren solle.

Die Wiedergaben der Reden des Kriegs- und Außenministers in den Zeitungen, die ich gewöhnlich einschicke, stammen deshalb auch nicht aus den Sitzungsprotokollen. Es sind vielmehr offizielle Übersetzungen auf Französisch, die die Regierung den Zeitungsredaktionen zuschickt, die nicht erfahren, ob dadurch einer Debatte ausgelöst wurde.

Nach dem, was ich höre, darf es in der Deputiertenkammer keine abweichende Meinung geben, und nur im Senat gibt es einige Mitglieder, die keine Angst haben, ihre Meinung zu sagen.

Sowohl der in meinen früheren Berichten erwähnte Senator Ahmed Riza Bey, („der einzige wirkliche Jungtürke“), als auch der frühere Kriegs- und Marineminister Mahmoud Bey [Mahmud Chevket Bey], der sich Prinz von Tchuruksou nennt, haben sich in den letzten Tagen heftig im Senat gegen die türkische Aufkündigung der Paris- und Berlinverträge [aus den Jahren 1856 bzw. 1878] gewandt sowie gegen die Art und Weise, wie die Mittel für das Kriegsministerium verwendet werden.

Die Debatte soll gestern sogar zu einen großen Skandal ausgeartet sein, der damit endete, dass der Kriegsminister [Enver Pascha] erklärte, dass er sich nicht dazu herablassen werde, auf diese Unterstellungen zu antworten, und aus Regierungskreisen wird nun das Gerücht verbreitet, dass rein persönliche Beweggründe die beiden oben genannten Redner antreiben.

Ahmed Riza Bey will anstelle des senilen Rifaat Bey Senatspräsident werden , sagt man, und Mahmoud Pascha will sich rächen, weil Enver Pascha seine Entlassung aus der Armee erwirkt hat.

Die Erklärungen, die der russische Premierminister [d.h. Boris Stürmer oder Alexander Trepov] in der Duma zu dem Abkommen der Ententemächte von 1915 bezüglich Konstantinopels und der Meerengen abgab, hat die hiesige Regierung sogleich für ihre Zwecke benutzt

Der Außenminister [Halil Bey] sagte, dass es nun jedermann klar sein müsse, dass sich die Türkei den Zentralmächten anschließen musste. Und wenn jemand dagegenhält, dass dieses Abkommen vielleicht nicht zustande gekommen wäre, wenn die Türkei neutral geblieben wäre, antwortet er in vertraulichen Gesprächen, dass er mit Bestimmtheit weiß, dass England seine traditionelle Türkei-Politik schon nach dem Balkankrieg aufgegeben hat, als es den Beweis zu haben glaubte, dass sie [die Türkei] zu schwach geworden sei, um ihre Integrität zu wahren, und dass es deshalb für England von Nutzen wäre, sie aufzugeben und Konstantinopel so teuer wie möglich an die Russen zu verkaufen.

England hätte vielleicht während des Krieges, wenn die Türkei neutral geblieben wäre, gerne den Eindruck vermittelt, die Türkei während des Krieges zu beschützen, sagt der Minister, doch spätestens beim Friedensschluss hätte es die Maske fallen lassen.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich, Herr Minister, Ihr ergebenster


Wandel



Copyright © 2006-2024 Matthias Bjørnlund: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved