1918-02-11-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14098
Zentraljournal: 1918-A-06689
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Kaukasus Kampagne
Praesentatsdatum: 02/11/1918 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Vorsitzende der Orient- und Islam-Kommission des Deutschen Evangelischen Missions-Ausschusses (Karl Axenfeld) an den Reichskanzler (Hertling)

Schreiben



Berlin, den 11. Februar 1918

Dringend!

Euer Exzellenz

bitte ich als Vorsitzender der Orient- und Islam-Kommission des Deutschen Evangelischen Missionsausschusses unsere ernste, neuerdings aufs höchste gesteigerte Sorge um das Geschick des armenischen Volkes gehorsamst vortragen zu dürfen, wie ich mich in gleicher Angelegenheit wiederholt an Euer Exzellenz Herren Amtsvorgänger habe wenden dürfen.

Wenn schon im Januar ds.Js. die durch die Verhandlungen in Brest-Litowsk eröffnete Aussicht auf Wiederbesetzung des von den Russen eroberten Teils von TürkischArmenien durch die Türken die Gefahr neuer, schlimmer Ausschreitungen nahelegte, so lässt die vom Wolffschen Büro am 4. Februar mitgeteilte Meldung der Agence Milli für die nächste Zeit Vorgänge befürchten, die alles, was schon während dieses Krieges an Greueln bekannt wurde, unter Umständen weit hinter sich lassen können. Wenn es wahr ist, dass die russischen Truppen von ihrer dortigen Front abgezogen sind, die armenischen Kadres des russischen Heeres aber, verstärkt durch armenische Freischärler von türkischer Seite, um ihre Landsleute nicht wehrlos in die Hände der nach den früheren Erlebnissen nicht ohne Grund gefürchteten Türken fallen zu lassen, sich selbständig zur Wehr gesetzt, die armenische Republik erklärt, und bereits an türkischer Bevölkerung, die ihnen erreichbar war, rohe Racheakte verübt haben, so ist nicht nur zu erwarten, dass die Türken bei der Niederwerfung dieses verzweifelten, in letzter Stunde gewagten armenischen Freiheitskampfes mit schonungsloser Grausamkeit vorgehen werden, sondern es ist auch die Lage der in Anatolien und Syrien lebenden Armenier aufs Neue und sehr ernstlich gefährdet. Es wäre ja doch nur zu begreiflich, und hätte seine Vorgänge in der Geschichte aller ähnlichen Freiheitskämpfe, wenn einzelne anatolische Armenier versuchen sollten, sich zu ihren kämpfenden Landsleuten durchzuschlagen oder die militärischen Massnahmen und rückwärtigen Verbindungen der Türken zu stören. Aber selbst wenn diese Befürchtung sich nicht bewahrheitet, sondern die armenische Bevölkerung im türkischen Machtbereich, eingeschüchtert durch ihre furchtbaren Erlebnisse in den letzten Jahren, sich gänzlich loyal verhält, so ist nicht anzunehmen, dass ihre moslemische Umwelt ihnen das glauben wird. Auf beiden Seiten sind von der Vergangenheit her Verbitterung, Rachsucht und Misstrauen jetzt so hoch gehäuft, dass schon ein grundloses Gerede genügen könnte, um Ausbrüche der Volkswut auszulösen. Sind aber solche Exzesse erst an einigen Stellen vorgekommen, so ist das Unheil unter Umständen nicht mehr aufzuhalten, und das Ende kann die fast völlige Ausrottung des armenischen Volkes werden.

Diese unsere Sorgen wären selbst in dem Falle begründet, dass die türkische Regierung jetzt den ernstlichen Willen hätte, Ausschreitungen zu verhüten, wie auch wir hofften neuerdings voraussetzen zu dürfen. Aber die erwähnte Meldung der Agence Milli spricht leider stark für das Gegenteil. Kam es der türkischen Regierung nur darauf an, militärische Massnahmen über die Waffenstillstandsgrenze hinaus zur Pazifizierung ihres früheren Gebietes im Voraus vor der Öffentlichkeit Europas zu rechtfertigen, so genügte dazu der Hinweis auf den dem Waffenstillstandsvertrag zuwiderlaufenden Abzug der russischen Truppen und auf das Auftreten irregulärer armenischer Banden. Wenn sie statt dessen in jener Meldung sich über die an Türken verübten armenischen Gewalttaten, die, so verabscheuenswert sie sind, nicht ein Tausendstel dessen ausmachen, was während dieses Krieges Türken an Armeniern begangen haben, ausführlich ergeht, so kann ihr die Wirkung solcher Schilderung auf die muselmanische Bevölkerung des eigenen Landes nicht unbewusst gewesen sein. Dazu kommt, dass in der durch die Agence Milli unter dem 5. Februar mitgeteilten Rede von Halil Pascha die Worte,

nach dem Zusammenhang und nach ihrer Betonung auffallen. Ist denn die Selbständigkeit der Türken in ihren inneren Angelegenheiten z. Z. durch irgend wen ausser durch die Ententemächte bedroht? Oder soll hier im voraus einem Einspruch auch der Bundesgenossen, den zu befürchten man allen Grund hat, ein Riegel vorgeschoben werden?


Ich bitte, das Missverständnis, als sei diese meine ehrerbietige Vorstellung aus unfreundlicher, illoyaler Gesinnung gegen unsere osmanischen Bundesgenossen geflossen, völlig ausschliessen zu dürfen. Die zu der von mir geleiteten Orient- und Islam-Kommission gehörigen evangelischen Missionen und Liebeswerke verfolgen rein religiös-charitative Ziele. Unsere Instruktion bildet der supranationale Missionsbefehl Jesu. Wir dienen den Völkern, zu denen wir uns gesandt wissen, mit dem Evangelium und sind überall der bestehenden Obrigkeit untertan. Als einen verhängnisvollen Missgriff müssten wir es verurteilen, wenn eine Mission ein unterworfenes Volk zum Freiheitskampf verleiten oder in ihm bestärken oder unterstützen wollte. Als Einzelne verfolgen wir die politischen Ziele unsres deutschen Vaterlandes, als Missionsarbeiter im fremden Lande kennen wir politische Ziele nicht. Uns treibt allein christliches Erbarmen, dieses aber ist ebenso der muselmanischen Bevölkerung zugewandt, wie der armenischen. Wir können den Untergang eines altchristlichen Volkes durch fremde und eigene Schuld nicht teilnahmlos mit ansehen, wissen auch wohl, dass die Türkei durch seine Ausrottung sich selbst den grössten Schaden zufügt, und dürfen auch nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem ungeheuren Ärgernis, mit dem dadurch der deutsche Name in aller Welt belastet wird.

Von allen Verleumdungen, die gegen Deutschland erhoben sind, hat nach unserer Kenntnis keine eine so unheilvolle Dauerwirkung erlangt, wie die, dass Deutschland der verborgene Anstifter der armenischen Greuel sei. Man geht im Auslande von der irrigen Voraussetzung aus, dass Deutschland, was es wollte, bei der Türkei habe erreichen können, ist auch beeinflusst durch türkische Äusserungen, die ohne Scheu ihre Massnahmen auf deutschen Befehl zurückführen, und durch die unseligen Ableugnungen des tatsächlich Geschehenen seitens deutscher Türkenfreunde, die, wie man im Auslande richtig sieht, dadurch die türkische Regierung gegen die Vorwürfe der übrigen Welt unempfindlich machen und in ihrer Armenierpolitik bestärken. Die Überzeugung von der Verantwortlichkeit Deutschlands für die Behandlung der Armenier durch die Türken ist tatsächlich in der neutralen und feindlichen Welt so weit verbreitet und hat so tief gewurzelt, dass auch die Empörung, die über neuerliche Massakres ausbrechen müsste, in erster Linie wieder Deutschland zur Last fallen würde. Es kann somit die Frage ihrer Verhütung nicht lediglich als eine innere Angelegenheit der Türkei angesehen werden, die Deutschland ausser Betracht zu lassen hätte.

Wie aber die politische Leitung Deutschlands deswegen angegriffen wird, so erregt es in der ausserdeutschen Christenheit auch Ärgernis, dass, wie man meint, wir deutsche Christen und besonders die Missionskreise zu dem allen gewissenlos stillschweigen. Neue Greuel müssen daher auch den Riss in der Christenheit noch weiter vertiefen.

Aus all diesen Gründen bitte ich inständigst und gehorsamst, mit allen überhaupt in Frage kommenden Mitteln auf die türkische Regierung einzuwirken, dass sie die Massnahmen gegenüber den armenischen Insurgenten in den Grenzen des Unerlässlichen halte und an ihrem Teil Ausschreitungen allerwärts ernstlich zu verhüten suche.


Euer Exzellenz gehorsamster

D. Karl Axenfeld, Missionsdirektor.

[Erlaß Bussche-Haddenhausen 14. 2.]

Dem Botschafter Pera zur gef. Kenntnis ergebenst übersandt.



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