1918-11-25-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14105
Zentraljournal: 1918-A-51050
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 11/30/1918 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


"Deutsch-Armenische Korrespondenz"

Die deutsche Regierung und die armenische Frage



Die Vorwürfe der Entente.

In der Ententepresse ist ständig gegen die deutsche Regierung der Vorwurf erhoben worden, daß sie die Verschickung des armenischen Volkes hätte verhindern können, wenn sie nur gewollt hätte. Sie müsse also mit der türkischen Regierung hierin einig gewesen sein. Ja man ist so weit gegangen, in ihr die eigentliche Urheberin der Deportation mit all ihren Grausamkeiten zu sehen. Armenien figuriert neben Belgien auf dem Schuldkonto der deutschen Barbareien. Man stellt dabei folgendes Raisonnement an. Deutschland ist im Vierbunde unzweifelhaft die führende Macht. Die Türkei ist in allem von ihm abhängig. Sie ist von Deutschland ohne eigentliche Neigung in den Krieg hineingezogen worden. Sie hat die Kriegsmittel, vor allem das zur Kriegführung nötige Geld von Deutschland erhalten. Deutsche Heerführer haben die Kriegspläne gemacht, deutsche Truppen die Entscheidung gegeben, sowohl an den Dardanellen wie bei Kut el-Amara. Ehe die Deutschen kamen, haben die Türken an der Kaukasusfront unter Envers Führung nur Niederlagen erlitten: dadurch, daß die Deutschen sich zurückzogen oder zurückgeschickt wurden, hat die Türkei Erzerum verloren. Die Türkei kann gar nichts ausrichten ohne die deutsche Hilfe: also muß sie auch in allem sich nach dem Willen Deutschlands richten, und dies ist für die Unternehmungen der Türken, vor allem für etwas so Einschneidendes wie die armenische Deportation, mitverantwortlich zu machen. Diese Schlußfolgerung schien so durchschlagend zu sein, daß man selbst auf türkischer Seite sich ihr gefangen gegeben hat. Oberlehrer Niepage berichtet in seiner Broschüre, daß menschlichere Türken sich die gräßlichen Vorgänge bei der Verschickung nicht anders haben erklären können, als daß ihre Regierung hier nicht frei handle. Die Hodschas haben in den Moscheen gepredigt, das sei das Werk der Deutschen, die es der türkischen Regierung befohlen hätten.

Die deutsche Schuld.


Dieser Anklage liegt ein Körnchen Wahrheit zugrunde. Die Deportation ist in erster Linie eine militärische Maßregel gewesen und konnte deshalb den deutschen Heerführern in der Türkei nicht wohl verheimlicht werden. Tatsächlich ist der Plan auch dem Feldmarschall v.d. Goltz vorgelegt und von ihm genehmigt worden. In seiner offiziellen Fassung sah er aber auch harmlos genug aus. Der Text des Regierungsbefehls lautete:

“Art. 2. Die Kommandeure der Armee von unabhängigen Armeekorps und von Divisionen dürfen im Fall militärischer Notwendigkeit und für den Fall, daß sie Spionage und Verrat vermuten, einzeln oder in Massen die Einwohner von Dörfern oder Städten fortschicken und sie an anderen Orten ansiedeln.“

In den Befehlen war vorgesehen, daß das liegende Eigentum der zu Deportierenden in Verzeichnisse eingetragen und in behördliche Verwahrung genommen, daß die Auszusiedelnden in die Gegenden der Bagdadbahn verschickt und ihnen dort neues Land vermessen werden sollte. In dieser Form, die sich leidlich mit den notwendigen militärischen Maßnahmen zivilisierter Staaten vertrug, hat v.d. Goltz dem Plane zugestimmt. Es ist ihm zum Vorwurf zu machen, daß er bei seinem langjährigen Aufenthalt in der Türkei nicht vorhergesehen hat, wie die Ausführung einer solchen Maßregel durch türkische Beamte sich gestalten würde, daß er nach der Geschichte der türkisch armenischen Beziehungen und unter Berücksichtigung des sich immer weiter ausbreitenden Pantürkismus nicht Verdacht geschöpft hat. Aber Goltz hat eben in derselben falschen Einschätzung des Türkentums gelebt wie alle, die den Türken nur als Soldaten kennen. Die Osmanen waren von je ein Kriegervolk und haben sich als Militärs stets von der besten Seite gezeigt: daher stammt das Wort von dem Türken als dem einzigen Gentleman des Orients, das bekanntlich auf Bismarck zurückgeht. Dazu begegnet man immer wieder der Erfahrung, daß infolge der Abschließung voneinander, in der die einzelnen Völker im Orient leben, auch da, wo sie dieselben Städte bewohnen, Ausländer selbst nach langjährigem Aufenthalt in der Türkei dem Charakter der einzelnen Völkerschaften wie einer Terra incognita gegenüberstehen. Ein krasses Beispiel bildet der deutsche Töpfermeister in Naumanns “Asia”, aber ein Beispiel, das sich von jedem, der sich im Orient wirklich umgesehen hat, um Hunderte vermehrt werden kann.


Das deutsch-türkische Stärkeverhältnis.


Das ist die deutsche Schuld: man kennt den Orient nicht und behandelt darum auch den Orientalen falsch. Daraus ist nun auch ein ganz anderes Machtverhältnis zwischen Deutschen und Türken hervorgegangen, als das Ausland anzunehmen geneigt war. Es liegt jetzt wohl offen vor aller Augen, daß Deutschland niemals in diesem Kriege so stark gewesen ist, wie man drüben geglaubt hat: daß es nur mit Aufbietung aller Kräfte, dazu gehörten aber auch die Kräfte der Bundesgenossen, selbst eines so schwachen wie der Türkei, imstande gewesen ist, dem Ansturm einer so gewaltigen Übermacht so lange standzuhalten. Deutschland war immer genötigt, auf die Türkei Rücksicht zu nehmen und das ist von der türkischen Diplomatie überall, vor allem auf finanziellem Gebiete, ausgenutzt worden. Die türkische Diplomatie ist die geschickteste der Welt, dazu hat die Geschichte sie erzogen. Nur vermöge der Gewandtheit ihrer Diplomaten ist es der osmanischen Regierung gelungen, die schon seit mehr als einem halben Jahrhundert drohende Aufteilung zu verhüten. Daß man der deutschen Diplomatie nicht das gleiche Lob zollen kann, dürfte als eingestandene Tatsache gelten. Die Türkei hatte ein Mittel an der Hand, wodurch sie ständig auf die deutsche Regierung drücken konnte: von Beginn des Krieges an weilten inoffizielle türkische Unterhändler in Lausanne und pflegten dort die Beziehungen zur Entente. So mußte Deutschland viel Rücksicht auf den Bundesgenossen nehmen, es durfte den Bogen niemals zu straff spannen, um nicht alles aufs Spiel zu setzen. Es gab eine Zeit, sie liegt nicht allzu fern von den türkischen Maßregeln gegen die Armenier, wo man alles Mögliche versuchte, um die Türkei vor der Oeffentlichkeit noch stärker zu engagieren. Das war die Zeit der Prinzenbesuche, der parlamentarischen Reisen nach Konstantinopel, die Zeit, wo es Orden hagelte. Das alles muß in Betracht gezogen werden, um das deutsch-türkische Stärkeverhältnis richtig einzuschätzen. Deutschland war in allem der Geber, aber es verstand nie, in dem Bundesverhältnis die Oberhand zu behalten.


Deutsche Hilfe für Armenien.

Trotzdem hat es an Schritten der deutschen Diplomatie für die Armenier nicht gefehlt. Wir hoffen, daß bald die Akten geöffnet werden, die von den wiederholten Noten der deutschen Regierung gegen die Deportation Zeugnis ablegen. Bisher ist nur im Hauptausschuß des deutschen Reichstags davon Kenntnis gegeben und der Oeffentlichkeit nur soviel mitgeteilt worden, daß der deutschen Regierung an der Erhaltung des Armeniertums etwas liege. Damals waren jedenfalls unsere Türkenfreunde mit der Haltung des Auswärtigen Amtes nicht zufrieden. Es hat auch sonst an Wohlwollen für die Armenier nicht gefehlt. Die deutsch-armenische Gesellschaft hat sich in ihren Bestrebungen zur Erleichterung des Loses der in Deutschland weilenden Armenier aus feindlichen Staaten der Unterstützung der Regierung zu erfreuen gehabt. Sammlungen für die deportierten Armenier sind zwar in der Oeffentlichkeit nicht erlaubt worden, so daß sie nur in geringem Umfang stattfinden konnten. Man durfte öffentlich nicht von den Vorgängen in Armenien sprechen, und das hätte doch erst die Möglichkeit zu einem großzügigen Werben gegeben. Aber die stillen Sammlungen haben die Billigung der Behörden gefunden. Die Erlaubnis zur Absendung einer Kommission, die den notleidenden Armeniern größere Mittel überbringen sollte, wurde zwar aus Rücksicht auf die türkische Antipathie nicht beantragt, aber in den deshalb geführten Verhandlungen zeigte sich doch die starke Anteilnahme der maßgebenden Kreise mit dem schrecklichen Lose der Deportierten. Die Stellung der deutschen Regierung war jedenfalls grundsätzlich verschieden von der, die sie zur Zeit der Hamidischen Massakers eingenommen hatte, wo die Kollekten verboten und die armenischen Redner ausgewiesen wurden und der Deutsche Kaiser unmittelbar nach den Ereignissen dem roten Sultan sein Bild schickte. Damals reine sogenannte “Realpolitik” ohne jede Rücksichtnahme auf Gefühle der Humanität: diesmal volle humanitäre Anteilnahme, die nur aus Rücksicht auf die Kriegslage und den schwankenden Bundesgenossen nicht gebührend sich durchsetzen konnte.


Der Fehler der deutschen Politik.

Bei voller Anerkennung der schwierigen Lage, in der sich die deutsche Regierung bei der armenischen Frage befand, ist ihr doch der Vorwurf zu machen, daß sie sich ein Mittel hat entgehen lassen, durch das sie einen vielleicht recht wirksamen Druck auf die Türkei hätte ausüben können. Sie hat völlig darauf verzichtet, die öffentliche Meinung zur Unterstützung ihrer Stellungnahme heranzuziehen. Sie hat im Gegenteil durch die Maßnahmen der Zensur alles getan, um die Stellung der Türkei ihr gegenüber zu stärken und das Urteil im neutralen und feindlichen Auslande über die Beteiligung Deutschlands an den türkischen Barbareien zu rechtfertigen. Die deutsche Presse blieb völlig unorientiert. In der armenischen Frage herrschte eine geradezu ängstliche und rigorose Beschränkung der freien Meinungsäußerung. Selbst die Versendung von vertraulichen Mitteilungen in geringer Auflage unter Kuvert wurde verboten, auch wenn sie nur Tatsachen berichteten und sich jeden Angriffs auf die türkische Regierung enthielten. Es ist das ja nur ein kleiner Beitrag zu dem umfangreichen Kapitel von den Sünden der Zensur, die sicher nicht weniger Schlachten verloren als das Heer gewonnen hat. Aber bei unserer Frage läßt es sich direkt nachweisen, wie die Regierung sich damit in das eigene Fleisch geschnitten hat.

Die türkische Regierung hat sich nur allmählich und zögernd zu den Maßnahmen gegen die Armenier bekannt. Am 4. Juni erklärt sie in dem ersten Communiqué über die armenische Frage, daß ihre Maßregeln “keineswegs eine gegen die Armenier gerichtete Bewegung darstellen”. Erst im fünften Communiqué vom 16. Juli teilt sie mit, daß wegen der behaupteten revolutionären Bewegungen “diese Armenier aus den Grenzzonen und den Gebieten, wo Etappenlinien eingerichtet sind, entfernt worden” sind, um sie dem Einfluß der Russen zu entziehen. Noch am 27. August versichert der türkische Generalkonsul von Genf in der Presse, daß “die gesamte armenische Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder, sich in vollständiger Sicherheit des Schutzes der Behörden erfreuten”. Erst als die gesamte deutsche Presse auf die Seite der Türkei in der Armenierfrage tritt, die türkischen Behauptungen nicht bloß unbesehen und gutgläubig annimmt, sondern sie sogar noch überbietet, wagt sich die türkische Regierung offen hervor. Nach der Einnahme von Wan meldet die Agentur Milli: “Von den 180000 Muselmanen, die das Wilajet Wan bewohnen, haben sich kaum 30000 retten können. Der Rest blieb den Mordtaten der Russen und Armenier ausgesetzt, ohne daß man bis jetzt über deren Schicksal etwas erfahren konnte.” Daraus macht die deutsche Presse: “Erwiesenermaßen sind 150000 Mohammedaner den Armeniern zum Opfer gefallen” - während in Wirklichkeit kaum einem Mohammedaner etwas geschehen ist und die übergroße Mehrzahl jener Mohammedaner aus Kurden besteht, die in ihren Bergen sicher waren. Man kann sich nicht wundern, wenn die Türken durch solche Parteinahme der Presse ermutigt worden sind, den Noten der deutschen Regierung eine energische, fast höhnische Ablehnung entgegenzusetzen. Hätte die deutsche Regierung der deutschen öffentlichen Meinung nur etwas Raum gelassen, hätte sich zeigen dürfen, mit welchem Abscheu weiteste Kreise des deutschen Volkes den türkischen Maßnahmen gegenüberstanden - und das hätte sich gezeigt, sobald man nur etwas von den Tatsachen hätte erfahren dürfen - selbst die Türkei hätte dem einmütigen Urteil der zivilisierten Welt gegenüber nicht den Zynismus entwickelt, mit dem sie in der armenischen Frage vorgegangen ist.

Es hat nicht an leisen Versuchen der deutschen Regierung in dieser Linie gefehlt. Zweimal ist in den Berliner Pressebesprechungen die Diskussion der armenischen Frage überhaupt untersagt worden. Aber jedesmal kamen unmittelbar nachher offizielle türkische Berichte, die man sich für verpflichtet hielt, durch das Wolffsche Bureau verbreiten zu lassen. Während aber auch ohne jenen Ukas die armenierfreundlichen Artikel völlig aus der Presse verbannt waren, hat es niemals an entstellenden armenierfeindlichen Artikeln in der Presse gefehlt, die auf Beschwerde von seiten der Armenierfreunde zwar von oben gemißbilligt wurden, ohne daß jedoch etwas Ernstliches geschah, die Wiederholung zu verhüten.

Die Diskussion ist nun freigegeben. Wir können keine Freude mehr darüber empfinden. Denn wir stehen vor einem Berg von Scherben. Erst wenn der ungehinderte Verkehr mit dem Auslande wieder stattfinden kann, wird die deutsche Oeffentlichkeit inne werden, wie gewaltig sich Deutschland durch die falschen Zensurmaßnahmen geschadet hat und welchen ernsten Beitrag das dadurch im Auslande entstandene unrichtige Urteil über die deutsche Stellungnahme in der armenischen Frage zu dem Weltwiderstand gegen Deutschland geliefert hat.



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