1915-11-06-DE-011
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/171
Botschaftsjournal: A53a/1915/6600
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 838
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Das Auswärtige Amt an den Geschäftsträger in Konstantinopel (Neurath)

Erlaß



Nr. 838
Berlin, den 6. November 1915

1 Anl.

Der abschriftlich anliegende Bericht des der Roten Kreuz Expedition angehörenden deutschen Arztes Dr. Neukirch aus Erzindjan über die Armenierfrage wird zur gefälligen Kenntnisnahme ergebenst übersandt.


Anlage


Abschrift 1
A 31677

Erzindjan 5. VIII 15.

Die armenische Frage ist für Erzindjan zunächst erledigt. Ausser wenigen von der Regierung zurückbehaltenen Handwerkern ist kein einheimischer Armenier mehr hier. Schaue ich auf meine bisherigen Mitteilungen zurück, so glaube ich genau genug das Gehörte von dem selbst Gesehenen unterschieden zu haben. Will man sich allerdings nur auf Gesehenes beschränken, so bleibt wenig übrig, da bei den eventuellen Massakern Fremde auf alle Fälle ferngehalten werden. Wie solche Dinge hier vorgehen, wissen die Kenner der Armenierunruhen genügend. Andererseits ist schwer festzustellen, was an den Erzählungen, die man täglich hört, wahr ist. Immerhin schien es, mangels anderer Quellen nötig, die Dinge so zu notieren, wie ich es getan habe. Nach dem was in letzter Zeit hier zu sehen war, sind Schritte, die die Ausweisung der Armenier humaner gestalten sollten, und über die wir naturgemäß nicht näheres wissen, von Erfolg gewesen.

Während früher elende Horden von armen Weibern und Kindern ohne Habe vorbeigetrieben wurden, nur von wenigen Bewaffneten geleitet, hatten später die Leute, die vorbeikamen, auch Lasttiere und Vieh mit sich. Zuletzt kamen die Einwohner von Erzerum in riesigen wohlausgerüsteten Ochsenwagenkarawanen vorbei. Die Leute (offenbar auch die Männer vollzählig) sahen sehr gut aus, reisten in kleinen Märschen und waren durch äußerst zahlreiche Gendarmen unter Führung von Offizieren geschützt.

Den größten der Züge begleitete ein hoher Beamter, der Mutessarif von Bajazid persönlich. Die Leute bezogen in der Ebene von Erzindjan ein Zeltlager und zogen nach etwa einer Woche weiter. Das Verdienst für diese sachgemäße Beförderung der Erzerumer Armenier hat offenbar der dortige Wali, Taxim-Bey. Es ist zu bedauern, daß die hiesige Lokalbehörde anders verfahren ist. Auch die Vorgänge in Trapezunt sollen nach guter Quelle nicht korrekt gewesen sein. Die Leute aus der dortigen Gegend kamen zu Fuß und mit wenig oder keiner Habe hier durch. Die wirtschaftlichen Folgen, die in der Heimat besonders interessieren müssen, sind noch nicht zu übersehen.

Die Beziehungen der Expedition zu Behörden und Bevölkerung sind sehr gut. Dagegen werden die Armenier uns mit der Verantwortung für das Geschehene belasten wollen.


Zusammenfassung.

Es hat eine vollkommene Entfernung aller Armenier aus diesem Lande stattgefunden, offenbar als Antwort auf die Verrätereien in Wan. In den ersten Wochen sind fraglos schwerste Mißgriffe vorgekommen, späterhin ist die Sache für orientalische Verhältnisse ziemlich geordnet verlaufen. Massaker haben hier offenbar seit Mitte Juni nicht mehr stattgefunden.

Die wirtschaftlichen Folgen sind unübersehbar.


1Der Originalbericht wurde von dem Rechtsanwalt Dr. Carl Neukirch in Frankfurt/Main, dem Bruder des Arztes Neukirch, am 30. Oktober 1915 dem Geheimrat Simons im Berliner Auswärtigen Amt zugestellt.



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