1915-12-18-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14089
Zentraljournal: 1915-A-37207
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 12/25/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 725
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/25/2012


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 725
Pera, den 18. Dezember 1915

Ich habe heute mit Talaat Bey, der von Anatolien zurückgekehrt ist, die Lage der Armenier eingehend besprochen. Er habe umfassende Maßnahmen zur Ernährung der abgeschobenen armenischen Familien getroffen. Vergehungen gegen Eigentum und Leben der Armenier würden streng bestraft. Es seien kürzlich noch über 20 Personen, die sich dieser Vergehungen schuldig gemacht hätten, hingerichtet worden. In den Bezirken an der russischen Grenze und bei Aleppo wären aus Rücksichten der militärischen Sicherheit Massenverschiebungen seinerzeit notwendig gewesen. Von der russischen Regierung eingeleitete Verschwörungen unter den gregorianischen Armeniern in den Grenzbezirken und bei Aleppo seien in großem Maßstabe entdeckt worden. Anschläge auf Brücken und Eisenbahnen seien vorbereitet gewesen. Es sei unmöglich gewesen, aus der Masse einzelne Schuldige herauszugreifen. Nur der Abtransport im großen habe Sicherheit gewährt. In Syrien seien die Armenier unbehelligt geblieben, in Konstantinopel ebenfalls. Augenblicklich fänden nirgends mehr Abtransportierungen statt, und die Regierung suche die im Gefolge der Verschiebungen entstandenen Übelstände zu mildern.

Ich bemerkte, der katholisch-armenische Expatriarch und sein Stellvertreter hätten mir heute den üblichen Antrittsbesuch gemacht und mir versichert, daß sie und ihre Gemeinden loyale ottomanische Unterthanen seien und sich an keinen revolutionären Bewegungen beteiligten. Trotzdem seien die meisten vertrieben worden. Diese Geistlichen hofften, daß die Vertriebenen in ihre Gemeinden und verlassenen Heimstätten in und bei Aleppo zurückkehren dürften. Ich fragte den Minister, ob ihnen dies ebenso wie den protestantischen Armeniern, die sich auch als nicht revolutionär erwiesen hätten, gestattet werden könne. Er entgegnete, daß die katholischen und protestantischen Armenier sich im großen und ganzen nicht revolutionär betätigt hätten und, soweit dies möglich sei, sie in ihre Heimat zurückkehren würden.

Ich sprach dem Minister sodann von dem in Anatolien weit verbreiteten Gerücht, wonach die deutsche Regierung die Verfolgung der Armenier begünstigt habe. Er erwiderte, infolge meines Gesprächs mit dem Großwesir über diese Angelegenheit habe er sämtliche in Frage kommenden Behörden angewiesen, dem Gerüchte entgegenzutreten und zu erklären, daß die deutsche Regierung nichts mit der Angelegenheit zu tun habe, und daß die türkische Regierung allein für die Maßnahmen gegen die Armenier die Verantwortung trage.

Im Laufe der Unterhaltung ergab sich die merkwürdige Auffassung bei Talaat Bey, die ich auch schon bei seinen Kollegen gefunden habe, daß wir im ähnlichen Falle ebenso gehandelt hätten und eine revolutionäre Bewegung in Deutschland mit Gewalt ausrotten würden. Ich fand immer wieder die Verständnislosigkeit für den Gesichtspunkt, dass, um Schuldige zu treffen, nicht Unschuldige leiden und dass nur bewiesene Vergehen bestraft werden dürften. Ich habe dem Minister auseinandergesetzt, dass wir niemals ähnlich handeln würden und nur den einer Schuld Überführten bestraften.

Von verschiedenen Seiten wird mir mitgeteilt, dass meine ernsten Ermahnungen auf die türkischen Machthaber doch Eindruck gemacht zu haben scheinen. Ich werde nun, bis ich neue Klagen über Armenierverfolgungen hören sollte, die Angelegenheit einige Zeit ruhen lassen. Allzu häufige Vorstellungen verfehlen den Zweck, indem ihre Wirkung abstumpft. Sobald es notwendig ist, werde ich aber wieder eingreifen.


P. Metternich


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