1916-08-21-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14094; BoKon174
Zentraljournal: 1916-A-30202
Botschaftsjournal: A53a/1916/3358
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 11/09/1916 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


"Arew"





Bericht eines Augenzeugen über die Lage der deportierten Armenier am Anfang 1916.
(aus der armenischen Zeitung „Arew“ vom 21. u. 25. August 1916).1
Das Deportationsgebiet kann man in eine nördliche und eine südlich Zone einteilen.

1) Die zum weitaus grössten Teil aus Hocharmenien stammenden Deportierten sind in der nördlichen Zone, längs der Bagdadbahn in den Ortschaften: Radschu, Katma, Sadschur, Dscherablis, Huilmen, Nisib, Beredschik, Srudsch, Telabiad, Arab-Punar, Harran, Ras-ul-ain und in der Gegend von Mosul untergebracht. Ihre Zahl beträgt etwa 150000.

2) Die in der südlichen Zone an den Ufern des Euphrat, hauptsächlich in den Orten: Dschirabel, Bab, Bumbudsch, Rakka, Deiri-Zor, Mejalin, Anah, Hit und Ramadi untergebrachten Armenier sind zum grössten Teil Deportierte aus Cilicien. Ihre Zahl beläuft sich auf etwa 180 – 200000.

Ausserdem befinden sich armenische Deportierte auf der Bahnlinie Aleppo-Damaskus und in der syrischen Wüste und zwar in Aleppo etwa 30000 und in Hama, Homs, Damaskus und in der Wüste etwa 20000.

So betrug die Gesamtzahl der noch lebenden armenischen Deportierten Anfang 1916 etwa 400000.

Die Behandlung der Armenier während der Deportation war sehr verschieden, je nachdem sie aus Hocharmenien stammten oder Cilicier waren. Den letzteren gegenüber fanden Mord, Raub und Quälereien, denen die Deportierten aus Hocharmenien fast bis zur Vernichtung ausgesetzt waren, in viel geringerem Grade statt. Auch liess man – im Gegensatz zu den ersteren – viele ihrer Männer (etwa 20000) am Leben.

Dieser Unterschied in der Behandlung dauerte auch am Orte der Deportation fort. Während in der nördlichen Zone, wo hauptsächlich die Armenier aus Hocharmenien leben, die deportierten Frauen und Kinder, beraubt ihrer männlichen Angehörigen, unter strenger Aufsicht und preisgegeben der schrankenlosen Willkür untergeordneter Beamten, zusammengepfercht in Karwanderais, wo der Geruch der Leichen die Luft verpestete, oder ausgesetzt der tropischen Hitze unter freiem Himmel, mit Gras und sonstigem Grün ihren Hunger stillend, ein elendes Leben fristeten und durch Schwäche und Epidemien dezimiert wurden (sie erhielten weder Lebensmittel noch ärztliche Hilfe und es wurde ihnen auch nicht erlaubt, sich Hütten zu bauen oder ein Gewerbe zu betreiben), war die Lage der Cilicier in der südlichen Zone eine unvergleichlich bessere. Hier wurde die obrigkeitliche Aufsicht bald milder gehandhabt, die Mehlrationen wurden regelmässig verabfolgt (wenn sie auch später auf die Hälfte herabgesetzt wurden), und durch den Eintritt der milderen Jahreszeit (September, Oktober) gelang es auch der Sterblichkeit Einhalt zu tun. Auch kamen die Unterstützungen von aussen nur diesen Deportierten zugute. Es wurde ihnen erlaubt, Handel und Gewerbe zu betreiben und sich Häuser zu bauen. Viele öffneten Verkaufsläden, richteten Bäckereien ein oder zogen mit ihren Maultieren in die benachbarten Wälder, um die Umgegend mit Holz und Holzkohle zu versorgen. Selbst Handelsgesellschaften wurden von ihnen gegründet und in Rakka lieferten sie sogar das Brot für das Militär. Die Regierungsbeamten begannen miteinander zu wetteifern, indem jeder versuchte aus der schaffenden Kraft der Armenier den grösstmöglichsten Nutzen für seinen Bezirk zu ziehen. Es entstanden an den beiden Ufern des Euphrat schnell neue Dörfer, grosse Bauwerke, Werkstätten und Verkaufsläden. Der Kommandant von Dejri-Zor sprach mit Stolz von seinen Armeniern und die türkischen Beamten überredeten sie, den Gedanken einer Rückkehr in die Heimat aufzugeben.2

Jede Hilfsaktion von aussen wurde von der türkischen Regierung als „fremde Einmischung“ zurückgewiesen. Der Versuch einer indirekten Unterstützung durch den amerikanischen Konsul stiess auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Auch einige Deutsche griffen helfend ein. Die Armenier von Aleppo opferten fast ihr ganzes Vermögen, um den durchziehenden Karawanen einige Erholung und ärztlichen Beistand zu verschaffen. Als sie nichts mehr zu geben hatten, verpfändeten sie die Gemeindeliegenschaften gegen 200000 Rf., welche Summe aber auch Ende 1915 bereits erschöpft war.

Die türkische Regierung hatte keinen Erfolg mit ihrem Versuch, von dem Katholikos Sahakian eine schriftliche Bestätigung dafür zu erlangen, dass bei der Deportation alle Vorkehrungen zur Sicherheit der Deportierten getroffen worden seien und dass in ihrem Verlauf keinerlei Verluste, Metzeleien oder Räubereien stattgefunden hätten – wo aber solche vorkamen, die Regierung für sie nicht verantwortlich gemacht werden könne.

Die arabischen Einwohner der Deportationsgebiete waren gegen die Armenier keineswegs feindlich und stellenweise (namentlich in Orten, wo der Türkenhass gross ist) sogar freundlich gesinnt. Aber sie selbst lebten in bedürftigen Verhältnissen und waren ausserstande, den Armenier behilflich zu sein.


[Auswärtiges Amt an Botschaft Konstantinopel (Nr. 1213) 9.11.]

Der u.R. anliegende, von Prof. Jächk unter der Hand mitgeteilte Bericht über die Lage der deportierten Armenier wird Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Geschäftsträger Herrn von Radowitz zur gefälligen Kenntnisnahme ergebenst übersandt.


[Notiz Mordtmann 16.11.]

Die Anlage interessiert AA. Der Artikel des Arew stammt anscheinend aus amerikanischer Quelle

über andere Artikel desselben Blattes, das in Alexandrien erscheint, ist diesseits vor einiger Zeit berichtet worden.

Inzwischen sind die Angaben des Arew durch die jüngsten Berichte überholt worden. Die in Der Zor u. [unleserlich] der südlichen Zone angesiedelten Armenier werden jetzt weiter getrieben u. sollen zum Teil unterwegs abgeschlachtet werden.


Vf.

Anlage v.o. zurück ans AA.

Beifolgender Auszug aus der Anlage bleibt bei dieser [unleserlich].


[Notiz Mordtmann 16.11.]

Auszug aus Anlage zu A53a No. 3358.

Bericht eines Augenzeugen über die Lage der deportierten Armenier Anf. 1916. Aus Arew 21. u. 25.8.1916.


Das Deportationsgebiet umfaßte eine nördliche und südliche Zone. In der nördlichen Zone längs der Bagdadbahn in den Ortschaften Radschu, Katma, Sadschur, Djerablis, Hiulmen, Nisib, Weredschik, Srudsch, Teliabad, Arab-Punak, Harran, Ras-ul-Ain und bei Mossul sind die Deportierten aus Hocharmenien – im Ganzen ca. 150000 – untergebracht.

In der südlichen Zone (Ortschaften Dschibrael, Bab, Bumbudsch, Rakka, Deir Zor, Mejadin, Ana, Hit und Ramadi) meist Cilicier ca. 180-200000.

Ferner an der Bahnlinie Aleppo-Damaskus u. in der Syrischen Wüste ca. 50000 wovon 30000 in Aleppo, 20000 in Hamas Homa Damascus u. in der Wüste.

So waren Anf. 1916 noch etwa 400000 Armenier am Leben. Die Zilizier wurden viel besser behandelt als die Deportierten aus Hocharmenien; u. von den Regierungsbeamten sogar ermuntert sich fest anzusiedeln; in Rakka lieferten sie sogar das Brot für das Militär; der Kommandant von Deir Zor sprach sogar mit Stolz von seinen Armeniern.

Die Araber waren den Armeniern an sich nicht feindlich gesinnt.



1Übersetzte Zusammenfassung von Prof. Jäckh dem AA mitgeteilt.
2Die unterschiedliche Behandlung der Armenier aus Armenien und derjenigen aus Cilicien führt der Berichterstatter auf die Absicht der türkischen Regierung zurück, die ersteren gänzlich aufzureiben und die letzteren zur Hebung zur Kultur in Mesopotamien dort dauernd anzusiedeln.



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