1916-12-11-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14094
Zentraljournal: 1916-A-33736
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 12/12/1916 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Leiter der Zentralstelle für Auslandsdienst (Jäckh) an den Legationsrat im Auswärtigen Amt Rosenberg

Schreiben



Berlin, den 11. Dezember 1916
Sehr geehrter Herr von Rosenberg!

In der Beilage überreiche ich den Bericht von Pastor Stier über seine Schweizer Besprechungen der Armenischen Frage. Wir werden gelegentlich darüber reden können.

Mit ergebenem Gruß Ihr


Jäckh

Anlage

Kopie.
Marburg, den 8. Dezember 1916.

Sehr verehrter Herr Professor!

Nach Rückkehr aus der Schweiz, wo ich mit den Hilfskomités für Armenien in Basel, Genf und Zürich und den Vertretern der Armenier in Genf Besprechungen hatte, beehre ich mich Ihnen über meine Erfahrungen zu berichten; indem ich zugleich für die gütige Vermittlung der Reise besten Dank sage. Die armenische Sache wird von unseren Gegnern in Frankreich und auch in der französischen Schweiz in hervorragendem Masse benutzt, um gegen Deutschland Stimmung zu machen. In Broschüren und Flugblättern werden die Vorgänge in Armenien geschildert und die dortigen Vorkommnisse benutzt, um Empörung gegen unsere türkischen Bundesgenossen zu erregen, mit denen wir in diesem Falle gleichgesetzt werden. Diese Identifizierung von Deutschland und der Türkei erhält einen Schein von Berechtigung durch die Art, wie die deutsche Presse die armenische Frage bisher allein behandelt hat; jeder neue Artikel in einem deutschen Blatte, der die Schuldverhältnisse in einseitiger armenierfeindlicher Weise darstellt, verstärkt auch im neutralen Ausland den Eindruck, dass die deutsche Regierung und das deutsche Volk eine Mitschuld an den entsetzlichen Leiden des armenischen Volkes trüge. Man glaubt in der Schweiz, dass es ganz besonders im deutschen Interesse läge, der deutschen Presse alle Aeusserungen über die Schuldfrage in der armenischen Sache zu untersagen, wie sie noch immer vorkommen, wie die beigefügten Ausschnitte dartun.

Ich habe mich vor allem bemüht, in der Schweiz darzulegen, aus welchen zwingenden Gründen auch die deutschen Armenierfreunde solange der Krieg dauert nicht mehr in der Lage seien, in Vorträgen und wenn auch vertraulichen Druckschriften sich der armenischen Sache anzunehmen und hierfür bei allen Herren weitgehendes Verständnis gefunden. Die Schweizer Herren sind bemüht, auch in ihren Druckschriften zu vermeiden, was der deutschen Regierung in ihrem Verhältnis zu ihrem Bundesgenossen Schwierigkeiten bereiten könnte. Der Sekretär des Schweizer Komitees, Oberlehrer Dr. Graeter, früher Lehrer an der Realschule zu Aleppo, hat darnach davon Abstand genommen, eine bereits im Manuskript vorliegende Arbeit über Armenien, die ich eingesehen habe, und die ungefähr mit der des Herrn Dr. Niepage konform lief, zu veröffentlichen. Ich möchte hierbei erwähnen, dass der in dem unter Rückerbittung beigefügten Flugblatt „Drei Dokumente“ enthaltene Schriftsatz von Dr. Graeter ohne dessen Wissen und Genehmigung einem von ihm nach Amerika geschriebenen, anscheinend in Frankreich von der dortigen Zensur geöffneten Privatbriefe entnommen ist; dies Flugblatt stammt nicht aus der Schweiz, sondern ist in Paris in deutscher und französischer Sprache zur Verteilung in der Schweiz gedruckt.

Die Schweizer Herren waren weiter ausserordentlich erfreut über die Aussicht, dass die Bereitstellung von grösseren Mitteln als bisher für die Linderung der unbeschreiblichen Not der deportierten Armenier sich ermöglichen lassen werde. Es sind ja bei der grossen Zahl der noch lebenden Deportierten die etwa auf 400000 berechnet wird, sehr erhebliche Mittel nötig. Von den Kreisen der deutschen Missionsgesellschaften und der übrigen Armenierfreunde sind bis jetzt etwa 200000 Mk. verwendet worden. Die Schweizer Sammlung ist auf gegen 150000 Mk. zu berechnen. Es wird natürlich angenommen, dass die auf dem von ihnen seinerzeit angedeuteten Wege zu gewinnenden Mittel diese Summe beträchtlich übersteigen, da sonst bei der Grösse der Not kein Erfolg erzielt werden kann. Man weiss dabei sehr wohl, dass Deutschland und die Schweiz allein in der jetzigen Zeit nicht imstande sind, die nötigen Mittel aufzubringen. Das Schweizer Komitee ist bereit, mit den Armenierfreunden in den übrigen Ländern besonders in Amerika, Skandinavien und Holland in Verbindung zu treten. Es handelt sich dabei nicht um die in der Kriegszeit ja unmögliche Bildung eines internationalen Komitees, sondern um eine Arbeitsteilung zwischen den Komitees der einzelnen Länder, damit nicht einzelne Deportationslager und Etappenstellen zu stark bedacht werden, und andere völlig leer ausgehen. Für die Organisation dieser Verteilung rechnet das Schweizer Komitee auf die Unterstützung der deutschen Regierung und hat das deutsche Komitee gebeten folgendes zu beantragen:

1.) Eine vertrauliche Anweisung an die deutschen Konsuln, das Hilfswerk an den Armeniern insbesondere die Hinschaffung der Hilfsgelder an sämtliche armenische Deportationslager auf jede Weise zu unterstützen.

2.) Möglichst genaue Berichterstattung der Konsuln über die Zahl und Lage der Armenier in den einzelnen Deportationsgebieten, insbesondere um Auskunft darüber, inwieweit der ihnen bekannte in der Zeitung Arew vom 21. und 24. August gegebene Bericht den Tatsachen entspricht.

3.) Auskunft darüber, in welcher Höhe und an welchen Stellen die durch die deutsche Regierung vermittelten Hilfsgelder verwendet werden, damit die ausländischen Komitees sich darnach mit ihren Sendungen einrichten können. Den Vorschlag, auch die aus dem Ausland kommenden Hilfsgelder vollständig den deutschen Konsuln zur Weitergabe zuzuweisen und dadurch das Werk zu organisieren, glaubten die Schweizer Herren wegen der gegenwärtigen Kriegslage und der Herkunft eines erheblichen Teils der Gelder nicht annehmen zu können.

4.) Es ist berichtet worden, dass die türkischen Lokalbehörden sich in den letzten Monaten entgegenkommender gegenüber dem Hilfswerk an den Armeniern erwiesen haben. Es ist der dringende Wunsch vorhanden, geeignete Personen, am liebsten deutsche Untertanen, nach der Türkei zu entsenden, die in Verbindung mit den deutschen Konsuln das Hilfswerk betreiben und fördern. Da es voraussichtlich nicht möglich sein wird, hierbei offen aufzutreten, hofft man, dass deutsche Untertanen, die unter einem beliebigen Vorwand, in Wahrheit aber zur Förderung des Hilfswerks nach der Türkei zu reisen beabsichtigen, von der deutschen Regierung Pässe ausgestellt und ihnen die Reise auch über Konstantinopel hinaus ermöglicht werden wird. Man wäre besonders dankbar, wenn die Errichtung eines deutschen Hospitals speziell für die Armenier an geeigneter Stelle etwa Aleppo ermöglicht würde, für das ein Arzt, der lange Jahre im Orient tätig war, zur Verfügung steht. Nötig wäre hierbei auch die Erwirkung der Erlaubnis zur Einfuhr von Verbandstoffen und Arzneimitteln nach der Türkei.

Ich gestatte mir an die Genesis aller dieser Schritte zu erinnern, dass bei den deutschen Armenierfreunden die Bereitschaft anzunehmen ist trotz ihrer christlichen Gewissensbedrängnis in der armenischen Frage mit Rücksicht auf die Forderung der Politik zu schweigen, wenn ihnen von den politischen Stellen der moralische Gegenwert tatsächlichen Interesses und tatsächlicher Hilfeleistung gegenüber den Armeniern innerhalb der Grenzen des Möglichen, aber auch mit Benützung aller möglichen Mittel und Wege geboten wird.

Es hat sich vorgestern ein aus Vertretern der verschiedenen armenierfreundlichen Stellen in Deutschland bestehender Ausschuss gebildet, dem vorläufig folgende Persönlichkeiten angehören:

Missionsdirektor Axenfeld, Dr. Greenfield, Prof. Richter, Dr. Rohrbach, Missionsdirektor Schreiber, Direktor Schuchardt, Pfarrer Stier.

Ich würde sehr dankbar sein, wenn Sie der armenischen Sache ihre wertvolle Unterstützung weiterhin zuwenden wollten.

Mit grösster Hochachtung und herzlichstem Grusse

Ihr Ergebener


[Stier]


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