1913-03-05-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14078
Zentraljournal: 1913-A-04707
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 03/06/1913 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Aufzeichnung des Unterstaatssekretärs des Auswärtigen Amts (Zimmermann)






Berlin, den 5. März 1913

Dem Großvezier und dem Kaiserlichen Botschafter kann darin nur beigepflichtet werden, daß es nach dem Zusammenbruch der europäischen Türkei eine wichtige Aufgabe der türkischen Regierung sein wird, das armenische Element durch wirksame Reformen und für die praktische Mitarbeit am Wiederaufbau des Reiches in Asien zu gewinnen. Da uns die Erhaltung und Konsolidierung der asiatischen Türkei ebenso am Herzen liegt wie den Machthabern am Goldenen Horn, erheischt es unser eigenstes Interesse, der Pforte bei der Erfüllung dieser Aufgabe behilflich zu sein. Das Recht und die Pflicht hierzu gibt uns Art. 61 des Berliner Vertrages, der die Pforte zur Einführung von Reformen in den armenischen Provinzen anhält und den Mächten ein Überwachungsrecht einräumt.

Getreu unserer bisherigen Politik, werden wir uns indessen versagen müssen, in der armenischen Frage die Führung zu ergreifen. Wir würden hierdurch lediglich das Mißtrauen der Entente-Mächte erregen und uns in Gegensatz zu Rußland bringen, ohne der armenischen Sache zu nützen. Gemeinsam mit den übrigen Mächten werden wir der türkischen Regierung bei der Ausarbeitung des Reformprojekts gern mit Rat und Tat zur Seite stehen; auf eine besondere Beraterrolle, gleichsam unter vier Augen, werden wir besser verzichten. Schweren Bedenken dürfte Baron Wangenheims weiterer Vorschlag begegnen, unsere Konsuln mit der Wahrnehmung und dem Schutz armenischer Interessen zu betrauen. Durch die Übernahme eines derartigen Patronats würden wir uns leicht zwischen zwei Stühle setzen und das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erzielen: die Türkei würde uns für die Sünden der unruhigen armenischen Stämme verantwortlich machen, die Armenier wiederum würden es uns entgelten lassen, wenn wir in Constantinopel ihre oft übertriebenen Prätentionen nicht durchsetzen.

Auch bei der Beeinflussung unserer Presse zugunsten der armenischen Bewegung würde mit großer Vorsicht zu Werke gegangen werden müssen.

Beachtenswert erscheint Herrn von Wangenheims Anregungen wegen Vermehrung unserer Konsulate und Schulen in Anatolien, insbesondere in den westlichen Provinzen. Die anliegenden Aufzeichnungen zeigen, daß wir in diesem für uns besonders wichtigen Teil der asiatischen Türkei nach beiden Richtungen bisher nur spärlich vertreten sind. Für neu zu errichtende Konsulate käme hauptsächlich Konia in Betracht, daneben als Beobachtungsposten vielleicht auch Erzerum, wie Herr v. Wangenheim dies vorschlägt. Was die Schulfrage anlangt, so wäre, entsprechend der Anregung des Botschafters, Adana wohl in erster Linie zu berücksichtigen. Die Anforderung der erforderlichen Mittel dürfte im gegenwärtigen Augenblick, wo die Türkei ihren Schwerpunkt von Europa nach Asien verlegt, weder beim Reichsschatzamt noch beim Reichstage Schwierigkeiten begegnen.


Z[immermann]

Anlage 1

Berlin, den 5. März 1913

Das deutsche Schulwesen in Kleinasien und im Gebiete der Bagdadbahn steht in der Tat noch in den ersten Anfängen. In Kleinasien bestehen, von einer höheren Knaben und Mädchenschule in Smyrna abgesehen, nur zwei deutsche Schulen, nämlich in Haidar Pascha und in Eskischehir. Beide sind gegründet worden von der anatolischen Eisenbahngesellschaft, die die Schule in Eskischehir auch heute noch unterhält, während die Schule in Haidar Pascha durch Vertrag an die Deutsche und Schweizer Schulgemeinde in Konstantinopel übergegangen ist.

Die Schule in Haidar Pascha wurde im letzten Schuljahre von 116 Schülern und Schülerinnen besucht (Zahl der Lehrkräfte 6, der Klassen 4). Die Schule in Eskischehir wies 141 Schüler und Schülerinnen auf (Zahl der Lehrkräfte 7, der Klassen 5). Bei beiden Schulen sind auch deutsche Abendkurse für erwachsene Einheimische eingerichtet worden. Die Schule in Haidar Pascha hat im laufenden Rechnungsjahre 7500 M Reichsbeihilfe und für die Sprachkurse 250 M erhalten, die Schule in Eskischehir nur für die Sprachkurse 400 M.

Im Gebiete der Bagdadbahn sind z.Z. erst zwei deutsche Schulen vorhanden, nämlich in Aleppo (gegründet 1911) und in Bagdad (gegründet 1909). In Aleppo betrug die Schülerzahl im letzten Schuljahre 80, in Bagdad 90. Außerdem bestehen auch hier deutsche Sprachkurse, deren Schülerzahl in Aleppo 50, in Bagdad 11 betrug. Beide Schulen sind auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes gegründet worden. Aus Reichsmitteln wurde Aleppo im laufenden Rechnungsjahre mit 6000, Bagdad mit 5000 M unterstützt.

Auch in Adana ist im Jahre 1910 die Gründung einer deutschen Schule von hier aus versucht worden; jedoch kam es nicht zur Ausführung des Planes, weil die Deutsche Bank damals erklärte, eine Förderung des Unternehmens ihrerseits nicht in Aussicht stellen zu können, und der Schulfonds des Auswärtigen Amtes erschöpft war. Falls dieser Fonds im nächsten Rechnungsjahr die beantragte Erhöhung erfährt, würde es nicht ausgeschlossen erscheinen, den Versuch der Schulgründung in Adana zu wiederholen. Es dürfte dann zweckmäßig sein, nach dem Muster von Aleppo vorzugehen, weil die dortige Schule von allen bisher die erfreulichste Entwicklung aufweist.

In Armenien ist die Gründung deutscher Schulen bisher weder erfolgt noch auch irgend wir angeregt worden. Sollten Anregungen kommen, würde auch in Hinblick auf die notorische Unsicherheit des Landes eingehend zu prüfen sein, ob es überhaupt angezeigt wäre, darauf einzugehen. Übrigens haben sich einige deutsche Missionen, z.B. die deutsche Orientmission, in Armenien auch auf dem Schulgebiet betätigt. Ferner ist zu bemerken, daß auch die Deutsche Schule in Aleppo von zahlreichen Armeniern besucht wird.


Anlage 2

Konsulate in Anatolien


Wir haben in Anatolien zur Zeit nur Hafenkonsulate:

1. Trapezunt: von wesentlichem Einfluß nur auf das schmale Küstengebiet bis zum nahen Gebirge.

2. Constantinopel: bedient den anatolischen Hafen von Haidar Pascha und eine kurze Strecke landeinwärts, etwa bis Eskischehir.

3. Smyrna: dessen tatsächliches Arbeitsgebiet sich fast ganz auf die Stadt und die in der Nähe endigenden Täler beschränkt.

4. Adana: neben dem unterstellten Hafen von Mersina größere InlandsAufgaben (Baumwollgesellschaft, Bahnbau). Aktionsradius im Inneren aber höchstens bis Antitaurus, cilicische Ebene.

Die amtliche Aufteilung Inneranatoliens unter diese Konsulate ist mehr oder weniger Form. Eine eigentliche Beobachtung und Beurteilung der inneren Verhältnisse ist ihnen so gut wie unmöglich. Unwegsame Gebirge, höchst mangelhafte Straßen, Rassengegensätze, Vorliebe für Weitergabe übertriebener Gerüchte, Mißtrauen oder Borniertheit aller Behörden verhindern jede entferntere Orientierung.

Für Beobachtung des inneren Anatoliens kommen in Betracht: südlich Konia, Urfa, Harput, Diarbekr, Mossul, nördlich Wan, Erserum, Siwas, Angora.

Konia: Wir unterhielten dort bis Anfang 1910 ein Vizekonsulat; es wurde im Interesse der Schaffung des Konsulats Adana aufgegeben. Die jetzt fertigen Bewässerungsarbeiten in der KoniaEbene dürften den schon vorhandenen Getreideexport noch stark heben. Zugleich würde Konia noch mehr, als jetzt, Verteilungsort für Einfuhrgüter werden. Die Wiedererrichtung eines Konsulats scheint aber nicht dringlich.

Mossul: 100000 Einwohner. Wir unterhalten dort seit 1906 ein kommissarisches Vizekonsulat. Veranlassung zunächst Ausgrabung von Assur. Jedoch hat die Behörde inzwischen wirtschaftliche EinfuhrErfolge zu verzeichnen. Da Mossul zu den nächsten Zielen der Bagdadbahn gehört, ist ferner schon wegen der deutschen Ingenieure, alsdann aber wegen sicheren wirtschaftlichen Aufblühens des Ortes die baldige Etablierung des Konsulats Mossul empfehlenswert.

Wan: wird alljährlich während der heißen Sommerwochen von unserem Vertreter in Mossul aufgesucht. Es befindet sich dort ein französ., ein englischer, ein russischer Vizekonsul. Sonst dürfte Wan für uns an sich weniger Bedeutung haben, so daß der vorübergehende Aufenthalt eines Vertreters genügt.

Diarbekr: 304000 Einwohner, liegt an der Poststraße von Mossul nach Diarbekr-Harput-Siwas-Angora, die ihre schon jetzt nicht sehr erhebliche Bedeutung einbüßen dürfte, sobald die Bagdadbahn Mardin (südlich von Diarbekr) erreicht.

Seidenweberei. Amerikanische Mission: Die deutsche Orientmission besitzt in Diarbekir noch ein Haus, das an das englische Vizekonsulat vermietet ist. Unsere geringen Interessen steigen vielleicht durch Bagdadbahn. Errichtung eines Konsulats kommt in Betracht, weil Diarbekir von Mossul wie von Aleppo gleich weit und schwierig zu erreichen. Doch vergl. Harput.

Urfa: zwischen Diarbekir und Aleppo. Krankenhaus der deutschen Orientmission; außerdem ihr großes Armenier-Waisenhaus und Teppichweberei. Schon 1905 hat Generalkonsul Schröder Errichtung eines Konsulats beantragt. Ein Wahlkonsulat (Missionsmitglied) würde vielleicht genügen.

Harput: Von Samsun wie von Aleppo nur in 12 Tagesmärschen erreichbar. Deutsche Missionsniederlassung. Lehrerseminar mit deutscher Sprache. Da unsere gegenwärtigen Interessen in Harput die in Diarbekr überwiegen, dürfte ein Konsulat für Diarbekr und Harput zunächst an letzterem Orte richtiger plaziert sein.

Siwas: ist ein alter wichtiger Handelsplatz. Jährliche Messe. Seine Bedeutung dürfte infolge des französischen Bahnbaues Samsun-Siwas noch erheblich gewinnen. Wird weder nach Diarbekir noch nach Harput ein Konsul gesetzt, der sich von dort von Zeit zu Zeit nach Siwas begeben könnte, so rückt Siwas in handelspolitischer Beziehung an erste Stelle.

Erserum: ist wichtiger als Diarbekir. Es ist viel stärker mit Militär belegt. Rußland, England und Frankreich haben hier Konsuln, in Diarbekr nur Vizekonsuln. Es ist neben Adana wohl größtes Armenierzentrum. Der Handel erreicht etwa 20000000 M. Erserum ist Überleiteplatz von Trapezunt nach Persien.

Alle genannten Orte befinden sich noch in sehr geringer Entwicklung. Von einer handelspolitischen Bedeutung kann immer nur verhältnismäßig gesprochen werden. Sollen etwa 2 Konsulate in Anatolien neu geschaffen werden, so dürfte sich sehr empfehlen, diese neuen Konsulate beweglich zu machen, oder es sollte wenigstens von vornherein bestimmt werden, daß Nachbarorte alljährlich zu besuchen sind, wie z. B. Siwas-Harput-Diarbekr, Diarbekir-Urfa, Siwas-Angora usw. Vor endgültiger Verfügung aber wäre wohl die Bereisung der genannten Orte durch einen erfahrenen Beamten anzuordnen. 8 Wochen genügen, um brauchbare Unterlagen zu beschaffen.



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