1915-10-14-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14088
Zentraljournal: 1915-A-30053
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 10/17/1915 a.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Gesandte in Den Haag (Kühlmann) an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts (Jagow)

Bericht



Haag, den 14. Oktober 1915

Hochverehrter Herr Staatssekretär!

Euerer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage ein Schreiben des Grafen Bylandt ergebenst einzureichen, zugleich mit Abschrift meines an ihn gerichteten Antwortbriefes. Ich dachte, es würde Euerer Exzellenz angenehm sein, einer persönlichen Beantwortung dieses Schreibens enthoben zu werden. Ich glaube kaum, dass es noch nötig sein wird, weiter auf die Anregung des Grafen Bylandt einzugehen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung bin ich


Euerer Exzellenz
gehorsam ergebener
Kühlmann


Anlage 1
21. Alianderstr. [?]

3 Oct. 1915.


Hoch geehrter Herr von Kühlmann

Eine Frau Thoumaian (Franz. Schweitz.) verheiratet mit einem Armenischen Pastor, wohnhaft in England, war bei mir um mich zu bitten hier zu Lande, im Verein mit anderen neutralen Staaten, eine Bewegung in’s Leben zu rufen um gegen die in den Zeitungen gemeldeten Greuel der Türken gegen die Armenier zu protestieren und deren Loos helfen zu verbessern.

Ich sagte ihr dass ich mich nicht dazu wollte hergeben, weil ich nicht weiss ob die Zeitungsberichte wahr sind und ob nicht die Armenier selber Schuld sind indem sie die Waffen gegen die Türkei haben aufgenommen und nun die Folgen des Krieges bemerken.

Man müsste dann auch eine ähnliche Bewegung in’s Leben rufen um zu agitieren gegen die Gefangennahme von Deutschen Missionaren die von ihren Familien getrennt in wer weiss was für ungesunde Löcher eingesperrt sind.

Da Frau T. aber zum Minister London geht, habe ich diesen auch gewarnt; aber ich versprach ihr dass ich trachten würde aus Berlin sicheres zu erfahren und wenn diese Greuel ganz eindeutig von den Türken betrieben werden, zu fragen ob man nicht von Berlin aus auf Constantinopel könnte einwirken damit ein Morden der Armenischen Bevölkerung verhindert werden könne.

Ich könnte direct an Excellenz von Jagow schreiben, aber um sicher zu sein dass der Brief ankommt, würde ich Sie freundlichst bitten diese Zeilen an Herrn von Jagow zu übermitteln und ihn zu bitten, mir wissen zu lassen ob die Zeitungsgreuel gegen die Christ. Armenier wahr sind und ob man nicht dagegen etwas thun kann.

Es scheint dass die Bewegung zu Gunsten der Armenier in allen neutralen Ländern in Gange gesetzt soll werden und könnte man bei Zeiten dagegen [unleserlich] im Falle die Nachrichten nicht wahr sind.

Frau T. zeigte mir eine Karte von Pastor Aghnani an sich worin dieser schreibt dass Dr. Lepsius nach Constantinopel gekommen die Morde [an] Armeniern bestätigt hat!

Dürfte ich Sie nun bitten, sei es diesen Brief Exc. von Jagow zu übermitteln oder mir einige Auskunft zu ertheilen wenn Sie etwas erfahren können.

Indem ich Euer Excellenz dafür danke verbleibe ich hochachtungsvoll

Ihr sehr ergebener


T. v. Bylandt


Anlage 2
Haag, am 14. Oktober 1915

Sehr verehrter Herr Graf!

Ich habe mich sofort nach dem Empfang Ihres gefälligen Schreibens vom 3. d.Mts. bemüht, authentisches über die angeblichen Armeniergreuel festzustellen.

Nach meinen bisherigen Erkundigungen sind allerdings an einzelnen Stellen Unruhen in den von Armeniern und Kurden bewohnten Gebieten ausgebrochen, an denen die Armenier aber keineswegs unschuldig zu sein scheinen. Man vermutet, dass auf Betreiben russischer Emissäre, die den Armeniern goldene Berge versprachen, an verschiedenen Orten aufständische Bewegungen in Szene gesetzt wurden, die dann wieder zu Repressalien führten.

Unsere Beamten in der Türkei sind, wie ich Ihnen aus eigener Erfahrung während meiner sechsmonatigen Tätigkeit dort berichten kann, unaufhörlich bestrebt, alles zu tun, was in ihrer Macht steht, um Ausschreitungen vorzubeugen. Unser Botschafter Baron Wangenheim entfaltet in dieser Beziehung einen sehr regen Eifer, und unsere Konsuln wirken ebenfalls nach Kräften im Sinne der Versöhnung und Beruhigung.

Man darf nicht übersehen, dass ”Greuelberichte” eines der ältesten und bewährtesten Mittel der englischen Politik sind, mit deren Hilfe wohlmeinende Gemüter – hauptsächlich in neutralen Ländern – politisch bearbeitet werden. Die englische Politik ist hervorragend geschickt darin, wenn sie auf einem Gebiete ernste Rückschläge erlitten hat (wie dies gerade jetzt auf dem Balkan der Fall ist), durch Aufbauschung irgendwelcher sensationellen Nachrichten, wie z.B. jetzt der armenischen Greuelberichte, Stimmung gegen ihre Gegner zu machen und die öffentliche Aufmerksamkeit von eigenen Fehlern abzulenken. Ich glaube, dass jede Förderung der Armenische-Greuel-Bewegung in Holland nichts anderes heisst, als indirekt der deutschen Politik Schwierigkeiten zu machen und den Engländern in die Hände zu arbeiten. Ich vertraue auf den gesunden Sinn des niederländischen Volkes, bei dem gerade die kritisch abwägende Geistesrichtung so markant hervortritt, dass sie die plumpe englische Mache erkennen werde.

Sehr begrüssenswert hingegen wäre, wenn gegen die Gefangennahme deutscher Missionare in Indien eine Protestbewegung ins Leben gerufen werden könnte. Dies ist eine durch keinerlei politische Gründe veranlasste rohe Vergewaltigung von Menschen, die seit vielen Jahren in grösster Selbstlosigkeit leben und ihre Gesundheit für Zwecke aufopferten, die in letzter Linie nur dem britischen Reiche in Indien zugute kommen konnten.

Ich habe Ihr gefälliges Schreiben Seiner Exzellenz dem Herrn Staatssekretär weitergegeben und werde, falls ich noch weiteres über die Angelegenheit höre, nicht verfehlen, Sie sofort zu unterrichten.

Mit besten Grüssen und Empfehlungen bin ich, hochverehrter Herr Graf,


Euer Hochgeboren sehr ergebener

[von Kühlmann]




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