1917-07-28-DK-001
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Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. D. 1, ”Tyrkiet - Indre Forhold”. Pakke 2, fra Jan. 1917 – 1. Jan. 1919
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 07/28/1917
Telegramm-Ankunft: 08/07/1917
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 117
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Aussenminister (Erik Scavenius)

Bericht



Nr. 117

Konstantinopel, den 28. Juli 1917.

Vertraulich.

Herr Außenminister,

die in meinen früheren Berichten erwähnten Gerüchte in Bezug auf die bevorstehende Bildung einer neuen türkischen Regierung sind in den letzten Tagen wieder aufgetaucht.

Das Großwesirat ist Tewfik Pascha und Rifaat Pascha im Falle des Rücktritts von Talaat Pascha angeboten worden, aber es heißt, dass sie es beide abgelehnt haben, eine Regierung zu übernehmen, die an Händen und Füßen gebunden ist, und deren Ausübung ihnen nur erlaubt wird, wenn sie gewisse aufgezwungenen Bedingungen erfüllten, darunter die Beibehaltung von Seiner Eminenz Enver Pascha als Kriegsminister ihnen eine besondere Bürde zu sein scheint.

Hakki Pascha, der türkische Botschafter in Berlin, wird auch als möglicher Großwesir genannt.

Der Grund für diese Manöver ist u.a. vermutlich der, dass die deutsche Regierung nicht ohne weiteres Talaat Paschas Stellung stärken will, indem sie seiner Regierung die notwendigen neuen Anleihen gewährt, sondern jetzt, wo der Türkei das Geld ausgegangen ist, die Gelegenheit zu nutzen sucht, um neue Zugeständnisse und einiges mehr an Sicherheit für die Fortsetzung der deutschen Politik zu erreichen, als die, für die Talaat Paschas Haltung bis jetzt zu bürgen scheint.

Die Deutschen wünschen anscheinend einen Großwesir, der deutsche Politik nicht nur aus der Notwendigkeit heraus betreibt, sondern aus eigenem Willen und ohne Vorbehalte, um nicht einem plötzlichen Wechsel ausgesetzt zu sein, wenn sich ihr Glück wendet. Und von türkischer Seite versucht man deshalb den Eindruck zu vermitteln, dass, wenn sie sich mit Talaat Pascha nicht einigen kann, sie sich nur einem anderen Großwesir aussetzen würde, der noch weniger gefügig ist als er. Beim letzten Wechsel des Großwesirs hatte es sich ja auch gezeigt, dass die Deutschen nicht imstande waren, ihren Willen durchzusetzen.

Ein hochrangiger Freimaurer, der glaubt Talaat Paschas Vertrauen zu haben, sagte mir jedoch, dass, wenn nicht Unvorhergesehenes geschehe, es auch nicht zu einer Krise kommen werde. Talaat Pascha ziehe den Rücktritt nicht ernsthaft in Betracht, und da Deutschland weiterhin Kredite garantieren müsse, werde man sicherlich zu einem Kompromiss kommen.

Die deutsche Regierung wird, sagt mein Informant, erneut 40 Millionen türkische Pfund in deutschen Schatzbriefen der Türkei zur Verfügung stellen, und der Vertrag wird höchstwahrscheinlich an einem der nächsten Tage vom Direktor der Deutschen Bank, Herrn Bassermann, der hier momentan auf Besuch ist, unterschrieben werden.

Diese 40 Millionen sollen, wie ich höre, auf die übliche Weise zur Stützung einer laufenden Ausgabe neuer türkischer Banknoten dienen, und man verzichtet vorläufig darauf, die deutschen Schatzbriefe hier zu platzieren, da man nicht glaubt, dass der Markt mehr als 5 bis 8 Millionen aufnehmen kann.

Ein Mitglied des osmanischen Parlaments sagte mir heute auch, dass solange Enver Pascha lebe, die hiesige Regierung seiner Meinung nach weiter an Deutschland festhalten werde und blind diesem Land in guten wie in schlechten Zeiten folgen werde, da es keine andere Wahl hat.

Talaat Pascha sehe sehr wohl, sagte er, dass das Spiel verloren ist, und offenbar hält er sich hier und da zurück um den Anschein von Unabhängigkeit zu wahren; er weiß, dass das deutsche Condominium Enver Pascha eine solche Macht verleiht, dass er nachgeben muss, und mit seinem Widerstand will er nur seine Stellung in den Augen der Öffentlichkeit verbessern, was ihm später vielleicht zugute kommen wird, während der Kriegsminister so dasteht, als trage er die gesamte Verantwortung für die Regierungspolitik, was ihm jeden Tag mehr Feinde macht, und folglich gibt ihm die öffentliche Meinung die Schuld an allen Missständen, die ein Unglück für das Landes sind, und für den moralischen Verfall innerhalb der Verwaltung.

Im Gegensatz zu der unnachgiebigen und konsequenten Politik des Kriegsministers hat die Haltung Talaat Paschas oft etwas Zweideutiges an sich, was die Deutschen verunsichert und sie daran gemahnt, dass er im gegebenen Augenblick kein Jasager sein wird.

Es sind fast immer Vertraute Talaat Paschas, die auf Besuch im neutralen Ausland Fühlung zum Feind aufnehmen und dessen Friedensbedingungen erfahren wollen, selbst wenn sie wissen, dass sie bloßgestellt sind, wenn die Deutschen davon Kenntnis bekommen.

Dieses soll, so sagt man im Außenministerium neulich, auch auf Bedri Bey zutreffen, dem Polizeipräfekten von Konstantinopel, als er in Stockholm und in der Schweiz war.

Bedri Bey ist die rechte Hand Talaat Paschas, und obwohl er nun auf Deutschlands Drängen hin versetzt worden ist, gibt es keinen Grund zu glauben, dass er entgegen den heimlichen Wünschen des Großwesirs gehandelt hat oder dass er tatsächlich in Ungnade gefallen ist.

Bedri Beys Ernennung zum Mutessarif in Aleppo, welches vielleicht bald das Hauptquartier von General von Falkenhayn wird, und wo es für den Großwesir wichtig ist, einen Mann zu haben, auf den er sich verlassen kann, scheint mir ein ziemlich gutes Beispiel dafür zu sein, wie Talaat Pascha versucht „la chèvre et le chou“ zu managen, kurz „beide Seiten Glücklich zu machen“, auf eine Art und Weise, die nicht immer angenehm für die Deutschen ist.

Wenn sich die Dinge so entwickeln, dass Talaat Pascha bessere Karten in die Hand bekommt als die, die er jetzt hat, dann wird er als geschickter Opportunist, der er zweifelsfrei ist, die Gelegenheit zu nutzen wissen.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich, Herr Minister, Ihr ergebenster


Wandel



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