1916-03-25-DE-004
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Quelle: DE/PA-AA/R 20059
Zentraljournal: 1916-A-7932
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 03/25/1916 07:20 PM
Telegramm-Ankunft: 03/25/1916 10:35 PM
Praesentatsdatum: 03/26/1916 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 104
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Sofia (Oberndorff) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Sofia, den 25. März 1916

Oberstleutnant von Massow mitteilt mir folgende zwei von ihm gestern an die politische Abteilung des Großen Hauptquartiers abgesandten Telegramme:

1.) „Schon in Coburg sprach der König sehr erbittert über die Enttäuschungen, die ihm Österreichs Widerstand in der Frage des strittigen Grenzgebiets bereitet habe. Ich glaubte damals noch an eine vorübergehende Verstimmung, hervorgerufen durch die scharfen Aussprachen mit General von Hötzendorf, dem Grafen Turn-Valsassina und schließlich auch mit dem hiesigen Militärattaché Oberst Laxa, dem er bulgarenfeindliche Gesinnung ins Gesicht gesagt hat. Meine Annahme, daß die beiderseitig angewandten Druckmittel mit der Absicht, Land herauszuschlagen, schließlich zu einer Abschwächung der bulgarischen Forderungen führen würden, hat sich durch meinen gestrigen Empfang bei dem König nicht bestätigt. Zum zweiten Male sagte er mir: „Wo wir sind, bleiben wir zunächst. Es ist verfrüht, endgültige Zugeständnisse von uns zu verlangen, solange als der Sieg und damit die Frage der uns zufallenden Gebiete noch nicht entschieden ist. An diese Forderung ist der weitere Bestand des Ministeriums Radoslawow geknüpft. Meine Bundesgenossen müssen wissen, daß das Bündnis mit dem Namen Radoslawow zusammenhängt.“ Weiterhin bezeichnete der König den Streit um Elbassan und Diakowa als weniger bedeutungsvoll, denjenigen um Pristian, Prisren und Kazanik als sehr ernst. Die Parlamentsopposition würde bei einer Nachgiebigkeit bezüglich dieses von neuem gestärkt werden und das augenblickliche Ministerium unhaltbar machen. Im Heere sei die Erregung gegen Österreichs Forderungen groß, besonders nachdem der unliebsame Auftritt zwischen General Jekow und Oberst Laxa bekannt geworden sei. Die Zurückziehung der in Pristina, Prisren und Kazanik eingesetzten Präfekten bezeichnete der König als unannehmbar. In Elbassan und Diakowa werde darauf verzichtet. Im strittigen Gebiet müsse den bulgarischen Soldaten gleiche Berechtigung mit den österreichisch-ungarischen eingeräumt werden, bis die Friedensverhandlungen darüber entschieden haben. Aus den wiederholten und langen Unterredungen entnahm ich, daß der König dieses Mal schwer zu überzeugen sein wird. Das Maß seiner Verbitterung ist groß und richtet sich vor allem gegen Minister Burian und General v. Hötzendorf. Vom Erzherzog-Thronfolger und vom Erzherzog Friedrich erwartet er eine mildere Beurteilung seines Standpunkts. Zum Schluß wünschte der König, daß ich den Ministerpräsidenten aufsuche. Hierüber folgt weiterer Bericht.

Massow.“

2.) „Radoslawow war heute ungewöhnlich bedrückt. Er bestätigte mir inhaltlich das vom König Gehörte und erklärte sich mit Beziehung auf Pristina, Preisrend und Kazanik gebunden, weil der König willens sei, hiervon nicht abzugehen. Dieser habe es auch unserem Gesandten beim ersten Empfang in seiner Gegenwart klar ausgesprochen. „Ich will mit dem König hierin einige bleiben“, erklärt er mir. Wiederholt drohte er mit Amtsentsagung, wenn Österreich hartnäckig sei und ihm dadurch seine Stellung unmöglich mache. Auch liege es in seiner Macht, durch uns unangenehme Maßregeln gegen die Türkei Vergeltung zu üben. Auf meine Frage, wie er sich das denke, entgegnete er: „Wir können den Türken jeder Zeit die Verpflegungszufuhr aus Bulgarien unterbinden, um so mehr, als unserem Abkommen mit der Türkei dort noch die Sanktion durch die Kammer und die Bekanntgabe fehlen.“ Ich bat darauf den Ministerpräsidenten, seine letzten Forderungen zu nennen. Sie lauteten: Vorläufige Belassung je eines Präfekten in Prisrend und Pristina sowie eines Unterpräfekten in Kazanik. Diese Präfekturen würden, um Österreich entgegenzukommen, durch Offiziere besetz werden. In Elbassan Diakowa wird auf Präfekturen verzichtet. Die im Gebiet Pristina, Prisrend und Kazanik befindlichen bulgarischen Truppen verbleiben dort bis zur endgültigen Regelung neben den österreichisch-ungarischen. Was Diakowa und Elbassan betrifft, so hatte ich den Eindruck, daß Herr Radoslawow geneigt sei, den ersteren Ort zu räumen und im zweiten nur vorübergehend noch eine schwache bulgarische Besatzung zu belassen. Die Entsendung von Präfekten nach Pristina, Prisrend und Diakowa sei auf ausdrücklichen Rat des Generalfeldmarschalls von Mackensen geschehen, behauptete Radoslawow. Mir war diese Auffassung neu. Wenn Radoslawow nicht betont hätte, den König seit 10 Tagen nicht gesprochen zu haben, könnte der Gedanke eines vorher verabredeten Drucks naheliegen.

Massow.“

Die Unterredung mit Radoslawow ist ohne mein Wissen erfolgt.


[Oberndorff]



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