1915-12-12-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14089
Zentraljournal: 1916-A-02530
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 949
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts (Zimmermann) an den Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich)

Erlaß



No. 949

Berlin, den 12. Dezember 1915

Im Anschluß an den Erlaß No. 857 vom 10. November d.J.

Nach dem abschriftlich anliegenden Schreiben des Direktors Schuchardt vom 3. d.M.1 soll die türkische Regierung versuchen, die Überreste des armenischen Volkes gewaltsam zum Islam zu bekehren. Es liegt auf der Hand, daß wir einem derartigen Vorgehen nicht ruhig zusehen könnten. Indem ich auf das in Abschrift beigefügt Schreiben Bezug nehme, in dem der Herr Reichskanzler kürzlich zur Armenierfrage Stellung genommen hat, beehre ich mich Ew. pp. zu bitten, den Sachverhalt aufzuklären und gegebenenfalls bei der Pforte nachdrückliche Vorstellungen zu erheben. Über das Ergebnis Ihrer Schritte bitte ich zu berichten.


[Zimmermann]

Anlage 12


Deutscher Hilfsbund für christliches Liebeswerk im Orient.

Frankfurt a. Main, den 4. Dezember 1915.
Seine Exzellenz Herrn Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg, Berlin.

Eure Exzellenz, gestattet sich der ergebenst Unterzeichnete auf eine vertrauliche Verfügung der Kaiserlich Ottomanischen Regierung aufmerksam zu machen, nach der die türkischen Lokalbehörden im Innern des Landes angewiesen sind, den Ueberrest des armenischen Volkes dahin zu bringen, einen Revers zu unterzeichnen, in dem er um die besondere Gnade bittet, zur Heiligen Religion des Islam übertreten zu dürfen. Sich Weigernde sollen abtransportiert werden. Eine Anzahl armenischer Frauen sind bereits zum Islam übergetreten, um sich vor dem Hungertod zu retten.

Wie vor 20 Jahren hervorragende Armenier gezwungen wurden, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie in jeder Weise mit den Massnahmen der türkischen Regierung zufrieden gewesen seien und dass alle im Ausland verbreiteten Nachrichten über Massakres u.s.w. nicht den Tatsachen entsprächen, ebenso wird es den Machthabern im Innern auch ein Leichtes sein, nach Aussen hin den Schein der "Freiwilligkeit' für die zum Islam Uebergetretenen zu wahren.

Nach der Antwort, die Eure Exzellenz den Vertretern der Evangelischen Kreise Deutschlands gegeben hat, hoffe ich mit Bestimmtheit, dass Eure Exzellenz die Kaiserlich Deutsche Botschaft in Konstantinopel mit entsprechenden Weisungen versehen und vor allen Dingen darauf hinwirken wird, dass eine Täuschung unserer Behörde unmöglich gemacht werde.

Der Wali von Mamouret-ul-Azis hatte dem Leiter unserer Station, Herrn Prediger Ehmann, für alle Armenier vollkommene Straflosigkeit versprochen, für den Fall, dass es ihm gelänge, die Armenier der dortigen Gegend zu veranlassen, alle Waffen, die sich in ihrem Besitz befänden, abzuliefern. Herr Ehmann unterzog sich diesem Auftrag, und nichtsdestoweniger wurde auch die dortige Bevölkerung niedergemacht oder verbannt. In den Augen der Armenier hat unsre Arbeit dadurch sehr an Ansehen eingebüsst. Es war eine Unklugheit unsres Herrn Ehmann, dem Ehrenwort eines türkischen Beamten irgendwelche Bedeutung beizulegen.


Eurer Exzellenz ergebener

F. Schuchardt

Anlage 23


An das Auswärtige Amt, Berlin.

Zwei Bericht, die mir durch Schwestern, welche aus dem Innern Kleinasiens zurückkehrten, übergeben wurden, habe ich mir erlaubt, Ihnen durch die Botschaft direkt zuzuschicken. Kopien davon sind der Kaiserlichen Botschaft bereits zu den Akten gegeben worden.

Eine erschütternde Nachricht erhielt ich noch am letzten Tag meiner Anwesenheit in Konstantinopel, die in besonderer Weise das Vorgehen der türkischen Regierung kennzeichnet. Ein amerikanischer Missionar brachte ein Schriftstück mit, das seitens der Zentralbehörde an die Lokalbehörden im Innern des Landes verschickt wurde. In demselben wird die letztgenannte Behörde aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass der noch vorhandene Teil der armenischen Bevölkerung ein Schriftstück unterzeichne, in dem er um die grosse Gnade bittet, zum Islam übertreten zu dürfen. Die sich Weigernden sollen nach der seitherigen Praxis in der Verbannung dem sicheren Tod entgegengeführt werden.

Dieses Vorgehen erinnert lebhaft an die Massnahmen, die die türkische Behörde in den grossen Massakres vor 20 Jahren angewandt hat und widerspricht in jeder Weise der Antwort, die Seine Exzellenz, der Reichskanzler auf eine Eingabe der Vertreter der Evangelischen Kirche, der theologischen Wissenschaft und der Mission erteilt hat.

Die Kaiserlich Deutsche Botschaft kann durch die Vermittlung der amerikanischen Mission in Stambul [unleserlich] näheres leicht in Erfahrung bringen.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch nicht verfehlen nochmals darauf hinzuweisen, dass unsre Anstalten nach wie vor den tatkräftigen Schutz unserer Regierung geniessen werden, und dass der türkischen Regierung nicht gestattet wird, in irgend einer Form die Arbeit in denselben zu stören.


Mit vorzüglicher Hochachtung
ergebenster
F. Schuchardt

Anlage 34


Eine erschütternde Nachricht erhielt ich noch am letzten Tag meiner Anwesenheit in Konstantinopel, die in besonderer Weise das Vorgehen der türkischen Regierung kennzeichnet. Ein amerikanischer Missionar brachte ein Schriftstück mit, das seitens der Zentralbehörde an die Lokalbehörden im Innern des Landes verschickt wurde. In demselben wird die letztgenannte Behörde aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass der noch vorhandene Teil der armenischen Bevölkerung ein Schriftstück unterzeichne, in dem er um die grosse Gnade bittet, zum Islam übertreten zu dürfen. Die sich Weigernden sollen nach der seitherigen Praxis in der Verbannung dem sicheren Tod entgegengeführt werden.

Dieses Vorgehen erinnert lebhaft an die Massnahmen, die die türkische Behörde in den grossen Massakres vor 20 Jahren angewandt hat, wo hervorragende Armenier gezwungen wurden, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie in jeder Weise mit den Massnahmen der türkischen Regierung zufrieden gewesen seien und dass alle im Auslande verbreiteten Nachrichten über Massakres usw. nicht den Tatsachen entsprächen. Ebenso wird es den Machthabern im Innern auch ein leichtes sein, nach aussen hin den Schein der "Freiwilligkeit' für die zum Islam Uebergetretenen zu wahren.

Nach der Antwort, die der Herr Reichskanzler den Vertretern der Evangelischen Kreise Deutschlands unter dem 12. November 1915 gegeben hat, hoffe ich mit Bestimmtheit, dass Euere Exzellenz die Kaiserlich Deutsche Botschaft in Konstantinopel mit entsprechenden Weisungen versehen und vor allen Dingen darauf hinwirken wird, dass eine Täuschung unserer Behörde unmöglich gemacht werde.

Die Kaiserlich Deutsche Botschaft kann durch die Vermittlung der amerikanischen Mission in Stambul [unleserlich] näheres leicht in Erfahrung bringen.

Der Wali von MamouretulAzis hatte dem Leiter unserer Station, Herrn Prediger Ehmann, für alle Armenier vollkommene Straflosigkeit versprochen, für den Fall, dass es ihm gelänge, die Armenier der dortigen Gegend zu veranlassen, alle Waffen, die sich in ihrem Besitz befänden, abzuliefern. Herr Ehmann unterzog sich diesem Auftrag, und nichtsdestoweniger wurde auch die dortige Bevölkerung niedergemacht oder verbannt. In den Augen der Armenier hat unsere Arbeit dadurch sehr an Ansehen eingebüsst. Es war eine Unklugheit unsres Herrn Ehmann, dem Ehrenwort eines türkischen Beamten irgendwelche Bedeutung beizulegen.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch nicht verfehlen nochmals der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass unsere Anstalten nach wie vor den tatkräftigen Schutz unserer Regierung geniessen werden, und dass der türkischen Regierung nicht gestattet wird, in irgend einer Form die Arbeit in denselben zu stören.


F. Schuchardt

1 Lepsius änderte in seiner Sammlung diplomatischer Aktenstücke "Deutschland und Armenien 1914-1918" das Datum vom 3. auf den 4. Dezember, weil er lediglich den Brief Schuchardts vom 4. Dezember als Anlage beifügte. Zimmermann hatte jedoch ein Schreiben als Anlage beigefügt, das zwei Schreiben vom 3. und 4. Dezember zusammenfaßte. Der Originaltext beider Schreiben sowie die Version Zimmermanns finden sich als Anlagen.
2 Brief vom 4. Dezember 1915.
3 Brief vom 3. Dezember 1915.
4 Kombinierte Version Zimmermanns.



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