1915-03-19-DE-011
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Quelle: DE/PA-AA/R 19968
Zentraljournal: 1915-A-10744
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 03/26/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 168
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Telegraphischer Bericht



Nr. 168.

Pera, den 19. März 1915

1 Anlage.

Euerer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage Abschrift eines Berichtes des Kaiserlichen Generalkonsuls Humbert in Smyrna zu überreichen, betreffend die dortige Lage und Stimmung, insbesondere die Haltung des Wali und die türkisch-englischen Verhandlungen. Nach allem, was ich sonst aus Smyrna höre, möchte ich die Darstellung des Berichts mit einiger Vorsicht aufnehmen. Von den verschiedensten Seiten wird mir gesagt, dass Herr Humbert es nicht verstanden habe, den Wali richtig zu behandeln, dass seine Beziehungen zu ihm sich vielmehr wenig freundlich gestaltet hätten. Wenn Rahmi Bey, der keineswegs auf die Seite der Ententemächte neigt, insbesondere mit der englischen Bevölkerung Smyrna’s gewisse Beziehungen unterhält, so geschieht dies unter Berücksichtigung der dortigen lokalen Verhältnisse und aus politischen Gründen, sowie in vollem Einverständnis mit dem Grossvezier, dessen Gründen ich durchaus beipflichte. Türkischerseits hat man sogar versucht mir eine Abberufung unseres Konsulatsvertreters nahe zu legen. Ich habe Generalskonsul Humbert vorläufig privatbrieflich auf seine unseren politischen Bestrebungen wenig förderliche Haltung aufmerksam gemacht und an ihn das dringende Ersuchen gestellt, sein ganzes Bemühen daran zu setzen, um zu besseren Beziehungen zu gelangen.


Wangenheim
Anlage

Abschrift

Kaiserlich Deutsches Konsulat.

J.Nr. 792.


Smyrna, den 14. März 1915.

Die hauptsächlich dem Wunsche ängstlicher Gemüter nach persönlicher Sicherheit entspringende hochgradige Erregung während der Beschiessung der Aussenbefestigungen Smyrnas vom 5. bis zum 9. dieses Monats hat jetzt einer fast ebenso sehr die Gemüter erregenden gänzlichen politischen Zerfahrenheit Platz gemacht.

Die kleine deutsche Kolonie freilich hat die Sachlage mit meiner Hilfe von vorn herein nüchtern zu beurteilen versucht und sieht auch jetzt noch in ihrer überwiegenden Mehrzahl einer etwaigen Wiederholung der Beschiessung mit ziemlicher Ruhe entgegen, da sie - selbst im äussersten Falle einer Forcierung des Hafens durch überlegene Kräfte - reichlich Zeit zu haben glaubt, ihre Abreise ins Innere zu bewerkstelligen.

Sie ist dabei ebenso wie die Türkei selbst der Ueberzeugung, dass der Feind, der die Stadt durch einen Handstreich einzunehmen gehofft haben mag, eingesehen hat, dass dies tatsächlich nur mit grossen Opfern möglich sein würde, die schwere innere Unruhen und Schädigung starker englischer Interessen zur Folge haben und zu dem etwa zu erreichenden militärischen Erfolge in keinem Verhältnis stehen würden. Es kommt wohl auch noch hinzu, dass die Engländer gehofft hatten, mit griechischer Hilfe die nötigen Landungstruppen zu erhalten, und dass sie sich nun nicht stark genug fühlen, um die Erzwingung des Hafeneingangs militärisch auszunutzen.

Nicht ganz so nüchtern denken die französisch und englisch gefärbten Levantiner. Seitdem ihre Freunde, die hiesigen Franzosen und Engländer, nach nur dreitägiger, ungemein milde gehandhabter Gefangenschaft wieder freigelassen worden sind, und die geheimnisvollen Verhandlungen mit dem englischen Flottenkommando mit der Einstellung der Feindseligkeiten im Zusammenhang zu stehen scheinen, ist der Vali für sie der Held des Tages und der grosse Diplomat, der es verstanden hat, den Krieg von der Stadt Smyrna fern zu halten.

Dem Vali selbst, glaube ich, ist diese Bahn, in die die öffentliche Meinung je länger je mehr einschwenkt, nicht unangenehm. So sehr er das griechische Element hasst, so sehr liebäugelt er mit den reichen Engländern und Franzosen. Noch am 12. dieses Monats, als ich ihn endlich nach mehreren vergeblichen Versuchen über den Fortgang der Unterredungen mit dem englischen Admiral befragen konnte, hat er mir vertraulich gesagt, er habe zwar das Ansinnen des Admirals, der ihm auch persönliche Vorteile versprochen hätte, falls er die Stadt „dem Handel öffne“, rundweg abgeschlagen, habe aber gleichzeitig seinen Vertreter beauftragt, gesprächsweise einfliessen zu lassen, dass er, der Vali, schon ohne die Dazwischenkunft des Admirals nach bestem Können für das ihm anvertraute Eigentum der Engländer Smyrnas gesorgt habe und die einzige Genugtuung, die er sich wünsche, darin erblicken würde, wenn es ihm gelänge, ihnen dieses Eigentum unversehrt zu erhalten.

Es ist m.E. dem Vali nicht als Fehler anzurechnen, dass er in dieser Weise sowohl dem Admiral als auch mir gegenüber seiner Engländerliebe offenen Ausdruck verliehen hat. Auch glaube ich aus der Friedenszeit her zu wissen, dass damals der hiesige Bezirk selbst in deutschen Regierungskreisen als englisch-französische „Interessensphäre“ angesehen wurde. Ich weiss aber nicht, ob auch in der Zeit eines Krieges mit England und Frankreich die englischen Interessen so sehr in den Vordergrund geschoben werden dürfen, lediglich weil der Vali, der sich nun einmal diesen Bezirk als sein Reich ausersehen hat, aus dem zu weichen er nicht willens ist, den gegenwärtigen Krieg als von Anfang an für die Türkei als politisch unrichtig angesehen hat und seinerseits alles zu tun gewillt ist, um nach Beendigung des Krieges tunlichst unvermittelt die guten Beziehungen mit England wieder aufzunehmen.

Uebrigens hat mich der Vali heute Nachmittag persönlich aufgesucht und mir ein Schreiben des englischen Viceadmirals vom heutigen Tage, geschrieben an Bord seinen Flagschiffes Euryalus, vorgezeigt, worin dieser erklärt, nachdem er von seinem Abgesandten erfahren, dass seinen Vorschlägen eine glatte Ablehnung zuteil geworden sei, betrachte er den geschlossenen Waffenstillstand als aufgehoben und behalte sich für die vereinigte englisch-französische Flotte die weitere Freiheit des Handelns vor. Zu bemerken ist, dass nach Auskunft des Vali der in dem Schreiben erwähnte Abgesandte des englischen Admirals, der gestern mit dem Vali persönlich an Land zusammentraf, ein gewisser Captain Deedes war, der bis vor zwei Jahren als Gendarmerie-Instrukteur in türkischen Diensten gestanden hat, in Smyrna und Umgegend sehr gut Bescheid weiss und vorzüglich türkisch spricht.


[Humbert]

S.E. dem Kais. Botschafter Herrn Freiherrn von Wangenheim.



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