1917-02-08-DE-001
Deutsch :: de
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1917-02-08-DE-001
Quelle: DE/PA-AA/R14095
Zentraljournal: 1917-A-04820
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 02/11/1917 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 367
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Gesandte in Bern (Romberg) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 367
Bern, den 8. Februar 1917.
Geheim!

Der armenische Pater G. Mikhaelian, der zuerst ein neues armenisches Hilfskomitee in der Schweiz gründen wollte, hat diesen Gedanken wieder aufgegeben und sich zum Sekretär des bereits bestehenden Katholischen Komitees in Freiburg wählen lassen. Dieses Komitee besass bisher keinen grossen Einfluss, Mikhaelian hofft aber, demselben bald eine grössere Bedeutung geben zu können. Er suchte mich neulich persönlich auf und übergab mir die in Abschrift beifolgende Aufzeichnung, die einige Angaben über das Freiburger Komitee enthält. Er erklärte mir, dass er grossen Wert darauf legte, sich des Wohlwollens und des Interesses der deutschen Regierung zu versichern, und bat mich, zu erwirken, dass die Kaiserlichen Amtsstellen in der Türkei dem Freiburger Hilfskomitee bei seiner Tätigkeit dieselbe Unterstützung wie den anderen Hilfskomitees zuteil werden liessen.

Der Wunsch, uns für die Tätigkeit seines Komitees zu interessieren, dürfte nicht der einzige Grund gewesen sein, weshalb Mikhaelian mich aufsuchte; er beschränkte sich nicht darauf, die Notlage der Armenier zu schildern, sondern suchte sichtlich das Gespräch auch auf das politische Gebiet hinüberzuspielen. Er gab mir zu verstehen, dass die Armenier, geteilt zwischen der Türkei und Russland, unter den gegenwärtigen Verhältnissen weder für die Zentralmächte noch für die Entente offen Partei ergreifen könnten, sondern sich abwartend verhalten müssten. Er sei jedoch in der Lage zu versichern, dass die Armenier keine Feindschaft gegen Deutschland hegten, obwohl Deutschland zur Zeit auf Seiten der Türken, der Anstifter der Armeniermassakres, stehe.

Einige bezahlte Subjekte, besonders in der Schweiz, machten vielleicht eine Ausnahme. Die maßgebenden armenischen Kreise wüssten genau, dass die Entente nur auf dem Rücken der Armenier spekuliere, und dass die armenische Greuelpropaganda keinen Beweggründen der Menschlichkeit entspränge, sondern nur unter dem Gesichtspunkte eines Kampfmittels gegen Deutschland unterhalten würde. Die Armenier gäben sich völlig Rechenschaft darüber, dass Deutschland die armenischen Greuel keineswegs billigte, aber während des Krieges auf die Türken Rücksicht nehmen müsste und daher ausser Stande wäre, eine durchgreifende Besserung in der Lage der Armenier herbeizuführen. Die Armenier nähmen Deutschland gegenüber noch denselben Standpunkt ein, wie vor dem Kriege, als der jetzige Staatssekretär des Auswärtigen mit Nubar Pacha verhandelt habe und mit dem armenischen Katholikos in Verbindung getreten sei.

Die Armenier hofften auf eine offene Unterstützung ihrer Sache durch Deutschland erst bei den Friedensverhandlungen. Sie wollten nicht unter russische Herrschaft geraten, sondern lieber unter türkischer Suverätität bleiben. Der kürzlich von Miljukow an die Armenier gerichtete offene Brief, in dem er ihre nationalen Bestrebungen verurteilt hätte, und die neuerlichen Drangsalierungen der russischen Beamten hätten ihnen die Augen geöffnet, was sie von Seiten Russlands zu erwarten hätten. Sie müssten aber nach den bisherigen Erfahrungen, wenn sie unter türkischer Oberhoheit blieben, unter allen Umständen Garantien für ihre Sicherheit und ungestörte friedliche Entwicklung erhalten, wie sie ihnen das letzte armenische Reformprogramm auf Deutschlands Betreiben verheissen hätte.

Die armenische Frage würde bei den Friedensverhandlungen sicherlich eine Rolle spielen. Wenn Deutschland dann dafür eintreten würde, dass die Armenier nicht unter russische Herrschaft kämen, und dass ihnen andererseits Garantien gegen türkische Unterdrückung gegeben würden, so könnte Deutschland der Armenier sicher sein.

Mikhaelian betonte, dass er im vorigen Jahre Sekretär beim Supérieur des Franciscains in Paris gewesen sei und daher noch vor kurzem in persönlicher Fühlung mit Nubar Pacha und dem armenischen Nationalkomitee gestanden habe. Er sei in der Lage, jederzeit mit Nubar Pacha in Verbindung zu treten.

Es dürfte nicht ausgeschlossen sein, dass Mikhaelian von Nubar Pacha beauftragt ist, die Beziehungen zwischen Deutschland und dem armenischen Nationalkomitee wieder anzuknüpfen. Die Armenier scheinen einerseits der Entente wenig zu trauen und zu fürchten, bei Friedensverhandlungen eventuell als Kompensationsobjekt Russland zugesprochen zu werden, andererseits sich unser Wohlwollen für den Fall sichern zu wollen, dass sie unter türkischer Oberhoheit bleiben, weil sie damit rechnen, dass wir den Ausschlag gebenden Einfluss in der Türkei behalten werden.

Euerer Exzellenz darf ich gehorsamst anheimstellen, mich mit Weisung zu versehen, wie ich mich Pater Mikhaelian gegenüber verhalten soll.


Romberg

Anlage

Œuvre de Secours aux Arméniens.


Il existe déjà à Fribourg un Comité central catholique de Secours aux Arméniens, ainsi composè:

Président: Sa Grandeur Mgr. Esseiva, Prévot de la Collégiale de Fribourg

Secrétaire: R.P.G. Michaelian

Caissier: M. Paul Blancpain, industriel

Banque: Weck & Aeby.

Il faudrait placer ce Comité sous le haut patronage des évêques catholiques suisses en leur demandant leur appui.

On devrait fonder dans chaque diocèse un comité pour centraliser les dons et les transmettre au Comité Central de Fribourg.

Ce dernier ferait aussi appel aux autres pays d’Europe, Comités de secours en Allemagne (Berlin), et d’Amérique pour obtenir des secours.

Les fonds recueillis seront transmis en Turquie par l’intermédiaire des représentants de l’Allemagne, qui en seront les dépositaires.

Le St. Siège sera près de donner les ordres nécessaires aux Délégués Apostoliques de Beyrouth et de Constantinople pour que des religieux franciscains soient désignés pour distribuer sur place, d’accord avec les consuls d’Allemagne et avec leur concours, les secours en nature et en argent.


[Antwort Zimmermann (No.169) 22.2.]


Vertraulich!

Die Förderung, die wir dem Schweizerischen Hilfswerk für Armenien zu teil werden liessen, hat sich darauf beschränkt, dass wir ihm ermöglichten, durch Vermittelung der Kaiserlichen Amtsstellen in der Türkei unter der Hand Informationen über die Lage in den verschiedenen Deportationsgebieten einzuziehen. Von unserem Angebot, die in der Schweiz gesammelten Hilfsgelder durch Vermittelung unserer Konsulate ihrer Bestimmung zuzuführen, hat das Schweizerische Hilfswerk keinen Gebrauch gemacht, da es in den Schweizer Bankvertretungen in der Türkei über ausreichende und unauffälligere Kanäle zur Uebermittelung und Verteilung der Gelder verfügt. Voraussetzung für jede Mitwirkung amtlicher deutscher Stellen war und ist, dass dieselbe in keiner Weise nach aussen in die Erscheinung tritt. Zu unserer entgegenkommenden und vertrauensvollen Haltung gegenüber dem Schweizerischen Hilfswerk bestimmte uns vor allem die Tatsache, dass in ihm die besten Namen der Schweiz vereinigt sind und dass es sich um ein rein schweizerisches, also neutrales Unternehmen handelt, das mit seiner Tätigkeit allgemein humanitäre Zwecke ohne irgendwelche politische oder sonstigen Nebenabsichten verfolgt. Diese Voraussetzungen scheinen bei dem armenisch-katholischen Hilfswerk des Paters Michaelian teils nicht vorhanden, teils nicht sichergestellt zu sein. Ich trage daher Bedenken, ihn generell des Wohlwollens und des Interesses der Kaiserlichen Regierung für sein Unternehmen zu versichern und darf Ew. pp. bitten, ihm, falls er auf die Angelegenheit zurückkommt, zu eröffnen, dass das AA. nicht in allgemeiner Form zu dem Unternehmen Stellung nehmen könne, sondern sich vorbehalten müsse, von Fall zu Fall zu prüfen und zu entscheiden, ob und wieweit es ihm amtliche Förderung zu teil werden lassen kann.

Was die politischen Fragen betrifft, die den Pater interessieren, so bitte ich Ew. pp. sich freundlich ausweichend zu verhalten. Mit Rücksicht auf die engen Beziehungen, die P. Michaelian offenbar zum armenischen Nationalkomitee unterhält und die auch den Türken bekannt sein dürften, scheint mir Zurückhaltung ihm gegenüber geboten.



Copyright © 1995-2024 Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.): www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved