1917-04-07-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14096
Zentraljournal: 1917-A-11997
Botschaftsjournal: A53a/1917/1070
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 04/13/1917 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 237
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Botschaftsrat in Konstantinopel Waldburg an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 237
Pera, 7. April 1917

Im Anschluss an Bericht vom 5.4.17, Nr. 229.1

5 Anlagen

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg mit dem Anheimstellen der weiteren Veranlassung gehorsamst überreicht.


In Vertretung
Waldburg

Anlage 12


1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungskreis?

a) Zum Islam übergetretene Armenier: in Beirut ca. 40 Familien; in Saida und Sur ca 200 Familien. Für diese Familien sorgen die türkischen Regierungsstellen durch Brotverteilung, Arbeitsnachweis etc.

b) Nicht zum Islam übergetretene gregorianische Armenier, die sich meistenteils heimlich, d.h. ohne bei der Polizei gemeldet zu sein, hier aufhalten:

In Beirut 17 Familien, davon ein 1/3 wohlhabend, 1/3 hat Arbeit, 1/3 in Not.

Im Libanon in Zahle und Dur e Schuer ca. 50 Familien, davon reichlich 1/3 in Not.

2. Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?

In wirklicher Not sollen sich von obigen unter 1.b verzeichneten Armeniern ca 25 Familien mit etwa 100 Angehörigen befinden. Die Männer können sich aus Besorgnis zum Militärdienst gezwungen zu werden und weil sie polizeilich nicht angemeldet sind, nicht frei bewegen, demzufolge auch nicht frei arbeiten.

3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?

Ja, mit Hilfe hiesiger wohlhabender Armenier wie z.B. des Sackis Cassabian, Inhabers der angesehenen Firma Jusuffian & Cassabian in Mersina, der für die Kriegsdauer hierher übersiedelte.

4. In welchem Umfang wären Mittel erforderlich?

Bei den heutigen Preisen wären pro Person 5 Ltq monatlich, also für 100 Personen 500 Ltq zum Unterhalt erforderlich.

5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?

Nein.


Anlage 23


1) Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungskreise?

Im Mai v.J. wurde die Zahl der zwischen Aleppo und dem Hedschas befindlichen Armenier von dem Vorsitzenden der Auswandererkommission, Wali a.D. Hussein Kasim Bey, der als aufrichtig und Armenierfreund gilt, auf 60000 Seelen geschätzt. Von diesen dürfte etwa die Hälfte inzwischen gestorben sein.

Im April v.J. gab der auf Empfehlung des Kaiserlichen Konsulats Aleppo mit dem hiesigen armenischen Liebeswerk betraute armenische Hilfsprediger V. B. Tachmisian die Zahl der im Wilajet Damaskus befindlichen Armenier mit 2000 Familien zu je 5 Köpfen (10000 Seelen) an. Der Genannte schätzt jetzt die Zahl der in der Provinz Damaskus (Hama, Homs, Damaskus, Hauran und Kerak) befindlichen Armenier auf 30000 Seelen. Es ist bei der Zerstreutheit der Armenier und bei ihrer Zurückgezogenheit nicht leicht ihre Zahl genau anzugeben.

2) Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?

Sie befinden sich grösstenteils in einem beklagenswerten Zustand. Immerhin hat sich dieser in den letzten Monaten etwas gebessert, indem ihnen in den Städten die Möglichkeit zum Erwerb gegeben wurde. Als fleissige und geschickte Handwerker verstehen sie sich durchzusetzen. Viele von den Armeniern sind, wenn auch zwangsweise, Muselmanen geworden und können infolgedessen ungestörter ihren Lebensunterhalt erwerben. Bei der zunehmenden Teuerung, über die ich in der Anlage eine Zusammenstellung der wichtigsten Lebensmittelpreise beifüge und bei der Entwertung des Papiergeldes, das heute nur 25 % des Nennwertes beträgt und voraussichtlich weiter sinken wird, befinden sich die meisten Armenier in einer schweren Notlage. Es würde sich darum handeln, ihnen Brot und sonstige Nahrungsmittel, ferner Kleider und gesunde Unterkunft zukommen zu lassen.

3) Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?

Bisher hat dieses Kaiserliche Konsulat hauptsächlich durch den armenischen Hilfsprediger V. B. Tachmisian, ferner durch den hiesigen deutschen Missionsprediger Hanauer und in gewissen Fällen das Kaiserliche Konsulat direkt Geld an die Armenier verteilt. Ob der V. B. Tachmisian zuverlässig ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich habe ihm auftragsgemäss das Geld ausgehändigt. Im allgemeinen empfiehlt es sich das Geld durch einen vertrauenswürdigen Europäer verteilen zu lassen, der ein Herz für das armenische Liebeswerk hat und ausserdem in geschickter unauffälliger Weise zu arbeiten versteht. Die türkischen Behörden sehen es im allgemeinen nicht gern, wenn sich Europäer der Armenier annehmen. Sie fürchten, dass diese hierdurch in ihrer Opposition gegen die türkische Regierung gestärkt werden. Andererseits besteht ein grosser Neid gegen die verschiedenen Konfessionen unter den Armeniern, die sich gegenseitig anzeigen und Schaden zufügen. Ein gewandter Europäer oder Europäerin, die die orientalischen Verhältnisse kennen, würden trotzdem eine Organisation schaffen können, die in unauffälliger Weise den Armenier helfen könnte. Der hiesige Prediger Hanauer kennt Land und Leute und hat den Willen auch zu helfen. Es fehlt ihm aber etwas an Geschicklichkeit und dem nötigen persönlichen Mut, um erfolgreich und grosszügig zu arbeiten. Für die Konsularbehörde ist es nicht möglich eine solche Organisation zu schaffen und offen zu überwachen, da sie in den Verdacht kommen würde gegen die türkische Regierung zu arbeiten. Sie kann höchstens mit Rat zur Seite stehen und von Zeit zu Zeit unter der Hand der einen oder anderen Person und den Armen auf der Strasse Unterstützungen zukommen lassen.

4) In welchem Umfange wären Mittel erforderlich?

Von den hiesigen Armeniern sollen etwa 10 % sich selbst erhalten können. Die Anderen sollen unterstützungsbedürftig sein. Für die Person kann man täglich etwa 1 M = ca. 5 Piaster wenigstens für den Unterhalt rechnen vorausgesetzt, dass dieser Betrag in Hartgeld bezahlt wird. Bei Papiergeld müsste der 4fache Betrag gerechnet werden.

Nimmt man die Zahl der im Vilajet Damaskus unterstützungsbedürftigen Armenier mit durchschnittlich 15000 Seelen an, so würden täglich 15000 M und im Monat 450000 M zu zahlen sein, wenn man allen helfen wollte.

5) Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?

Wie bereits unter No. 3 hervorgehoben, würden besondere europäische Hilfskräfte für das gedachte Unterstützungswerk am geeignetsten sein, die sich ihrerseits armenischer Vertrauenspersonen als Unterorgane bedienen könnten.


Lebensmittel in Goldgeld.

(Hartgeld, nicht Papier)4


a) Nahrungsmittel Vor dem Kriege Jetziger Preis Erhöhung in %
Weizen 90 300 333
Bulgurl (zerstossener Weizen) 100 500 500
Reis 220 1000 455
Kartoffeln 50 250 500
Gemüse 200 1000 500
Butter 1000 3200 320
Käse 700 1700 245
Oel 800 1600 200
Hammelfleisch 550 1300 235
Zucker 200 2700 1350
Kaffee 750 4500 600
Früchte, frische u. getrocknete 500
Wein II. Qual. 125 500 400
Alkohol 450 7500 1665
Eier per 100 Stück 25 60 240

b) Kleidung
Stoffe 500
Ledersohlen 300
Baumwolle, Garn 400

Vorstehende Preise sind in Hartgeld berechnet. Bei Bezahlung in Parpiergeld erhöhen sie sich auf das Vierfache.


1 A 11673.
2 Von Konsul Mutius aus Beirut.
3 Von Konsul Loytved-Hardegg aus Damaskus.
4 Preise in Piaster per 100 Kilogramm.



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