1915-12-20-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14089
Zentraljournal: 1916-A-00469
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 01/06/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: K.No. 117/B.No. 2894
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Konsul in Aleppo (Rößler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



K.No. 117 / B.No. 2894
Aleppo, den 20. Dezember 1915

In der Angelegenheit der von der feindlichen Presse, anscheinend zuerst von der Times, gegen den deutschen Konsul in Aleppo vorgebrachten Verleumdung, er hätte Armeniermassakres in Aintab geleitet und ermutigt, habe ich zunächst der kaiserlichen Botschaft mit Bericht vom 25. Oktober d.J. zur Entkräftung etwaiger amerikanischer Augenzeugen, von denen im Oberhause gesprochen war, beglaubigte Abschrift von zwei Briefen amerikanischer Missionare aus Marasch eingereicht. Auch habe ich darin gebeten, die Benennung und Vernehmung der amerikanischen Augenzeugen herbeiführen zu wollen.

Seitdem ist mir z.T. erst in den letzten Tagen das folgende Material zugegangen:

  1. Abschrift eines Artikels aus der französischen Zeitung “Le Journal” vom 1. Oktober, offenbar desselben Artikels, der am 30. September in der Times, vielleicht auch in der Westminstergazette erschienen (Abschrift ist gehorsamst beigefügt.)
  2. Wochenausgabe der Frankfurter Zeitung vom 12. Oktober d.J. mit zwei Artikeln “Aus Armenien” Seite 2 und “Die Armenierfrage in der Türkei” (Seite 5) auf welche ich in meinem Bericht vom heutigen Tage K.No. 116 besonders eingehe.1
  3. Ausschnitt aus der Times vom 7. Oktober über die Oberhaussitzung vom 6. Oktober, durch Erlass der Kaiserlichen Botschaft vom 4.d.M. – A No. 6867 – mir übersandt.

Eine mir von dem Präsidenten der amerikanischen Mission in Aintab Mr. John E. Merril zunächst in Aussicht gestellte Bestätigung, dass es sich um eine Verleumdung handle, ist mit Rücksicht auf die den amerikanischen Untertanen von ihrer Regierung allgemein erteilte Weisung, sich in allen ihren Aeusserungen die strengste Zurückhaltung aufzuerlegen, unterblieben. Er hat mir nur in dem in Abschrift beifolgenden Schreiben bestätigt, dass Massakres in Aintab nicht vorgekommen sind. Mündlich hat er hinzugefügt, er könne sich zwei Wege denken, welche die Entstehung des Gerüchts in Kairo erklärten: Entweder durch englische Untertanen, die von Aintab nach Aegypten gegangen sind, oder durch zwei amerikanische Missionare Hill und Willcocks,2 welche die gleiche Reise angetreten haben. Diese beiden Missionare seien nur verhältnismässig kurze Zeit in Aintab gewesen und über die Verhältnisse noch nicht sehr gut unterrichtet. Auch mögen englische Reporter etwaige Aeusserungen von ihm entstellt haben.

Ich erfahre meinerseits, dass bei dem noch nicht lange zurückliegenden Eintritt der Frau Willcocks, damals Miss Tavenger, vorausgesehen wurde, ihre Wirksamkeit in Aintab werde nicht sehr lange dauern. Eine Voraussicht, die sich bestätigt hat. Auch Mr. Willcocks, früher Hauslehrer auf den Philippinen und anscheinend mehr Globetrotter und Kuriositätensammler als ernsthafter Missionar, hat es nicht zu einer langen Wirksamkeit in Aintab gebracht. Beide Eheleute sind noch jung. Sie wären wahrscheinlich eher als Quelle falscher Nachrichten anzusehen, als Mr. Hill. Vielleicht haben sie Aeusserungen in dem Sinne getan, wie es vielfach von Armeniern geschieht, dass alle, welche ihnen geraten haben, sich den Anordnungen der Regierung zu fügen und ihre Waffen abzuliefern, ihnen falsch geraten hätten und an ihrem Verderb schuld seien. Daraus mag dann ein Timesreporter eine Ermutigung der Massakres gemacht haben. In diesem Zusammenhang scheint sogar in einem Blatt der französischen Schweiz mit mir auch Herr Dr. Shepard, Vorstandsmitglied der amerikanischen Mission in Aintab als schuldig an Massakres genannt worden zu sein. Doch habe ich näheres darüber nicht in Erfahrung bringen können.

Ich schiebe gehorsamst hier ein, dass ich die Besprechungen mit der Mission in Aintab zurückhaltend geführt habe. Dr. Merill kam, nachdem ich einer hiesigen Missionarin gesprächsweise von der Verleumdung erzählt hatte, gelegentlich einer Reise nach Aleppo seinerseits zu mir. Mein Brief an ihn vom 4.d.M. enthielt nur ohne eine Bitte auszusprechen, eine Abschrift des Artikels aus dem “Journal” und die Mitteilung, dass im Oberhause ähnliche Beschuldigungen laut geworden seien.

Eine amtliche deutsche Verwarnung gegen die Beschuldigung ist mir bisher nicht bekannt. Meine Haltung in der Armenierfrage ergibt sich aus meiner telegraphischen und schriftlichen Berichterstattung.

Es ist für die deutschen Beamten und Offiziere in der Türkei schwer, die Greuel mitzuerleben und dabei die innere Empörung zu unterdrücken und dazu schweigen zu müssen, ohne helfen zu können. Es ist schwer, zu ertragen, dass unsere türkischen Verbündeten die Verantwortung auf uns abzuschieben suchen und damit weithin in der Bevölkerung Erfolg gehabt haben. Noch einen Schritt weiter aber geht es, wenn ein deutscher Beamter eine schwere Verleumdung der Feinde hinnehmen soll, etwa aus Schonung für die Gefühle unserer einer unerhörten Barbarei schuldigen Verbündeten. Was auch immer die Armenier verschuldet haben mögen, die auch an Frauen und Kindern geübte Vernichtung haben sie nicht verdient.

Die Verleumdung ist von weit verbreiteten Blättern ausgesprochen worden. Lord Cromer und Lord Crewe haben allerdings im Oberhause erklärt, sie hätten keine amtlichen Bestätigung dieser Behauptungen. Lord Crewe hat aber hinzugefügt, dass sie von amerikanischen Beobachtern stamme und dass solches Verhalten eines deutschen Konsuls nicht von vornherein unwahrscheinlich sei. (Knowing what we know elsewhere, we are bound to say, that there could not be said to be any antecedent improbability that such is the case).

Eure Exzellenz darf ich daher gehorsamst anheimstellen, mich vor der Oeffentlichkeit in Schutz nehmen zu wollen. Ich verkenne nicht, dass der Feind mit der Verleumdung bezweckt haben könnte, durch die deutsche Abwehr Uneinigkeit zwischen Deutschland und der Türkei zu säen. Sollte sich aber nicht eine Form finden lassen, welche den Angegriffenen Schutz gewährt ohne den Verbündeten zu verletzen oder sich in Grenzen hält, die von ihm noch hingenommen werden müssen und können?

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.3

Rößler
1 Dok. 1915-12-20-DE-001.
2 Orthographie des Namens mir nicht sicher bekannt.
1Anlagen sind identisch mit den Anlagen in Dok. 1915-10-15-DE-001.



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